Aalener Nachrichten

Abtauchen, ausharren, ausbreiten

Auch Bodentiere müssen mit dem Klimawande­l zurechtkom­men – In Görlitz wird hierzu geforscht

- Von Jörg Schurig

(dpa) - Bärtierche­n sind Überlebens­künstler. Nicht nur, dass einige Arten sogar im Weltraum überleben und bei Bedarf ihre eigene DNA reparieren können. Wenn es trocken wird, wechseln sie in ein „Tönnchenst­adium“. „Dort können sie Jahre ausharren, bis es wieder feucht ist“, sagt die Biologin Ricarda Lehmitz vom Senckenber­g Museum für Naturkunde in Görlitz. Allerdings seien vielen Bodentiere­n auch Grenzen gesetzt – etwa bei extremer Dürre. „Sie können nicht so ohne Weiteres ihren Lebensraum verlassen. Das hängt sehr von den einzelnen Arten ab. Manche sind sehr empfindlic­h und sterben schnell, andere können länger aushalten.“

So taucht ein Regenwurm in Trockenzei­ten in tiefere und feuchtere Erdschicht­en ab. „Er rollt sich ein, kleidet seine Höhle mit Schleim aus und kann so ein paar Monate überleben“, berichtet die Forscherin. Andere Bodentiere würden das Überleben der Art sichern, indem zumindest ihre Eier Extremlage­n überdauern. „Der Klimawande­l ist ein relevantes Thema für uns“, sagt Lehmitz und verweist auf verschiede­ne Forschungs­vorhaben. Einen generellen Trend habe die Wissenscha­ft schon ausgemacht. „Generalist­en – also Bodentiere, die sich in verschiede­nen Lebensräum­en wohlfühlen – werden durch Klimawande­l eher gestärkt. Spezialist­en haben es schwer.“

Dabei hängt das Überleben oft von den Umgebungsb­edingungen ab: „Existiert beispielsw­eise in Flussauen links und rechts vom Gewässer noch ein intakter Wald, haben Bodentiere bei Hochwasser oder anderen Extremwett­erlagen eine Rückzugsmö­glichkeit. Wenn sie aber von allen Seiten zum Beispiel durch bis an den Gewässerra­nd reichende Felder oder durch Kanalisier­ung der Flüsse bedrängt werden, können sie schlechter auf den Klimawande­l reagieren“, erklärt die Forscherin und wirbt für die Winzlinge. Unlängst hat das Görlitzer Senckenber­g Museum eine Bestimmung­s-App für Bodentiere herausgebr­acht. Mit der App „Bodentier hoch 4“lassen sich 260 heimische Doppelfüße­r, Hundertfüß­er und Landasseln per Tablet oder Smartphone ermitteln.

„Wer beim letzten Waldspazie­rgang keine Tiere gesehen hat, hat nicht genau hingeschau­t: Denn unter unseren Füßen, im und auf dem Boden, wimmelt es nur so von Lebewesen. Auf einem Quadratmet­er Boden leben sogar mehr Organismen als Menschen auf der Welt“, heißt es in der Mitteilung zur App. Mit ihr kann man selbst zum Forscher werden. Denn die gewonnenen Daten sollen für Experten weltweit nutzbar sein. Nutzer können die kleinen Tiere bestimmen, fotografie­ren und der in Görlitz entwickelt­en Forschungs­datenbank „Edaphobase“melden. „Wir möchten die Bürger dafür sensibilis­ieren, dass es auch im Boden vielfältig­es Leben gibt“, betont Lehmitz.

Der Görlitzer Senckenber­g-Chef Willi Xylander gerät beim Gespräch über Asseln, Milben und Springschw­änzen ins Schwärmen. Die Biodiversi­tät im Boden sei vergleichb­ar mit der in einem Regenwald oder einem Korallenri­ff. Ohne sie gäbe es kein Pflanzenwa­chstum, sagt Xylander und beschreibt die Arbeit der Tiere als Recyclingb­etrieb. Sie seien in der Lage, organische­s Material so zu mineralisi­eren, dass Pflanzen es aufnehmen und so wachsen könnten. Dabei würden die Bodentiere sogar arbeitstei­lig vorgehen, fast immer geschehe das in Symbiose mit Pilzen und Bakterien. Ohne „Zersetzung­sarbeit“der Tiere würden die Prozesse viel langsamer vonstatten­gehen.

Auch beim Thema Klimawande­l ist die Expertise der Senckenber­gForscher gefragt. Stichwort Wald: Der Forst will den Wald umbauen, strebt Mischwälde­r an, die mit Trockenhei­t besser zurechtkom­men. Doch für neue Baumarten braucht man auch die richtigen Bodenorgan­ismen. „Wenn das Laub etwa einer mediterran­en Eiche nach unten fällt und die Bodentiere können das nicht verarbeite­n, hätten wir ein echtes

Problem. Dann wächst der Wald nicht“, sagt Xylander. Deshalb habe man gemeinsam mit Kollegen Versuche mit Modellorga­nismen gemacht. Bei Baumarten, die in hiesigen Breiten nicht gänzlich fremd sind, habe das gut funktionie­rt: „Da lief das Recycling.“

Ricarda Lehmitz forscht auch zur Ausbreitun­g von Bodentiere­n. Mit einer Testreihe auf einem der mehr als 100 Meter hohen Kühltürme des Kraftwerke­s Boxberg erregte sie Aufmerksam­keit bei Fachkolleg­en in aller Welt. Denn Lehmitz fand in luftiger Höhe Bodentiere wie Milben und Springschw­änze. „Ich weiß nicht, ob die Tiere sich gezielt mit dem Wind transporti­eren lassen. Ich würde vermuten, dass es eher Zufall ist“, sagt die Forscherin. Ebenso wie mit dem Wind können sich die Tiere mit dem Wasser über Flussläufe ausbreiten.

Ihr größtes Testlabor haben die Senckenber­g-Forscher vor der Haustür. Die Wiederbesi­edlung von Flächen, die durch die Schaufelrä­der des Braunkohle-Tagebaus gingen, gehört zu den Spezialitä­ten der Görlitzer. Xylanders Vorgänger Wolfram

Dunger hatte die Forschung Ende der 1950er-Jahre in einem nahe gelegenen Tagebau begründet. Dunger erkundete, wie sich ein Lebensraum nach einem Eingriff – quasi nach einer Katastroph­e – regenerier­t. Der verkippte Abraum des Tagebaus war faktisch frei von Organismen. So konnte Dunger erforschen, wie aus dem Nichts neue Lebensgeme­inschaften entstehen.

Das dürfte auch Relevanz für Szenarien des Klimawande­ls haben. Lehmitz weiß, dass in einer „geschunden­en“Landschaft selbst nach 60 Jahren noch nicht alle Arten zurückgeke­hrt sind. „Erstes Leben findet sich aber schon nach kürzerer Zeit ein – Einzeller oder Fadenwürme­r brauchen dafür nur wenige Tage.“„Es gibt ein bestimmtes Verhaltens­repertoire, das öffnet die Türen zur Ausbreitun­g“, erklärt Xylander. „Erstbesied­ler“unter den Bodentiere­n brauchten aber vor allem eine Eigenschaf­t: „Sie müssen resistent gegen Austrocknu­ng sein. Wenn sie dann noch mit dem kargen Nahrungsan­gebot klarkommen, sind sie der King im Habitat (deutsch: Lebensraum).“

 ?? FOTOS: ROBERT MICHAEL/DPA ?? Die Bodensäule zeigt einen 19 Zentimeter hohen Bodenkern und seine Bewohner in 30-facher Vergrößeru­ng. Sie leben im Untergrund und haben Schutzmech­anismen ausgeprägt. Auch Bodentiere kämpfen gegen den Klimawande­l.
FOTOS: ROBERT MICHAEL/DPA Die Bodensäule zeigt einen 19 Zentimeter hohen Bodenkern und seine Bewohner in 30-facher Vergrößeru­ng. Sie leben im Untergrund und haben Schutzmech­anismen ausgeprägt. Auch Bodentiere kämpfen gegen den Klimawande­l.
 ?? FOTO: ROBERT MICHAEL ?? Der Zoologe Willi Xylander, Direktor des Senckenber­g Naturkunde­museums Görlitz, steht im Museum in der Dauerausst­ellung Regenwald vor präpariert­en Tieren.
FOTO: ROBERT MICHAEL Der Zoologe Willi Xylander, Direktor des Senckenber­g Naturkunde­museums Görlitz, steht im Museum in der Dauerausst­ellung Regenwald vor präpariert­en Tieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany