Der Mann, der Anthony Quinn tanzen ließ, ist tot
Er war der Mozart unserer Zeit – In seiner Heimat galt er als Volksheld – Zum Tod des Komponisten und Politikers Mikis Theodorakis
Er wurde nicht nur als Komponist, sondern auch als Widerstandskämpfer, Schriftsteller und Politiker zu einer Ikone Griechenlands – und die ganze Welt kennt die Musik von Mikis Theodorakis. Am Donnerstag ist er im Alter von 96 Jahren in Athen gestorben. Griechenlands Regierung ordnete drei Tage Staatstrauer an. Kulturministerin Lina Mendoni sagte: „Heute haben wir ein Stück der griechischen Seele verloren.“Zur bekanntesten Melodie von Theodorakis tanzte Hollywood-Star Anthony Quinn 1964 im weltberühmten Film „Alexis Sorbas“Sirtaki.
Griechische Musik, griechischer Widerstand, griechische Kultur – all das versinnbildlicht Mikis Theodorakis. In seiner Heimat heißt es, „Mikis“habe die griechische Seele in die Sprache der Musik übersetzen können, sodass sie weltweit verstanden wurde. Als Komponist, Dirigent, Schriftsteller, Widerstandskämpfer und Politiker wurde Theodorakis international berühmt. Für seine Landsleute ist er bis heute die Stimme des Volkes und die „Stimme Griechenlands“. Am 29. Juli hatte er noch seinen 96. Geburtstag gefeiert, nun starb Theodorakis am Donnerstag in Athen. „Heute haben wir ein Stück der griechischen Seele verloren“, teilte die griechische Kulturministerin Lina Mendoni mit.
Der fast zwei Meter große Mann wirkte in den vergangenen Jahren gebrechlich und hatte das Dirigieren aufgegeben, nahm jedoch noch im Juni 2019 an einem Konzert zu seinen Ehren im alten Athener Olympiastadion teil. Theodorakis war dabei geistig stets wach und dynamisch. Etwa wenn er sich, im Rollstuhl sitzend, mit lauter Stimme und leuchtenden Augen zu politischen Themen seines Landes äußerte. Auch auf seiner Internetseite kommentierte er bis zuletzt das Geschehen griechischer Tagespolitik.
Bei jedem seiner Live-Auftritte gab es Wellen der Begeisterung. Vor allem auch während der schweren Finanzkrise des Landes zwischen 2008 und 2018 erhob Theodorakis die Stimme und rief die Griechen dazu auf, nach vorne zu blicken und das Land wieder auf Kurs zu bringen. Gleichzeitig gründete er, typisch „Mikis“, eine Widerstandsbewegung gegen die harten Sparmaßnahmen, die die internationalen Gläubiger dem Land auferlegt hatten. Begründung: Er könne nicht tatenlos zusehen, wie weite Teile des Volkes im Elend lebten.
Bilder von Theodorakis, auf denen er mit weit ausgestreckten Armen (die griechische Presse nannte ihn „Adler“) Orchester, Sänger und oft auch das Publikum in den musikalischen Himmel lotste, waren in den vergangenen Jahren nur noch im Fernsehen oder in alten Filmaufnahmen zu sehen.
Mit seiner volksnahen Musik begleitete und inspirierte er in historisch dramatischen Zeiten viele Griechen musikalisch und auch seelisch bei ihren Kämpfen für Demokratie und Freiheit. Zur Musik kam der 1925 auf der Ägäisinsel Chios geborene Theodorakis durch einen alten deutschen Film über Ludwig van Beethoven. „Ich sah den Film zusammen mit meinem Vater. Ich war fasziniert“, erzählte er einmal in einem Interview des griechischen Fernsehens. „Ich bat meinen Vater, der beruflich nach Athen fuhr, mir alles zu bringen, was er in der Hauptstadt über Musik finden konnte. So fing es an.“
Später studierte Theodorakis Musik am Athener Konservatorium und in Paris. Zunächst komponierte er klassische Musik. Seine musikalische Genialität offenbarte sich erst 15 Jahre später: Anfang der 1960er-Jahre fand er zu den Wurzeln der griechischen Musik zurück. Er baute auf dem Musikstil Rembetiko auf, der Volksmusik der griechischen Arbeiter und Außenseiter.
Bald produzierte er seinen „MikisSound“, der bis heute unverkennbar ist – mal tragisch und melancholisch, dann wieder überraschend triumphal und revolutionär.
Seine Musik habe eine Vitalität und einen Melodienfluss, der scheinbar nie ende, erklärt der Pianist, Komponist und Theodorakis-Interpret Gerhard Folkerts aus Wedel bei Hamburg. In seiner Kunst sei ein Aufbegehren. „Mikis Theodorakis ist der Mozart unserer Zeit“, findet Folkerts, der jahrelang mit dem Komponisten befreundet war und ihn regelmäßig in Athen besuchte.
Eine Art Magie zeichne seine Musik aus, sagen viele seiner Landsleute. Und auch international zählte der Komponist unzählige Fans – darunter Prominente wie Arthur Miller, François Mitterrand, Wolf Biermann, Martin Walser und Roger Willemsen. Letzterer schrieb nach einem Treffen mit dem Komponisten: „Europa hatte keinen Che Guevara, es hatte Mikis Theodorakis. (…) Wir waren mit ihm. Wer nie vom Umsturz der Diktaturen geträumt hat, wird bekanntlich nie erwachsen.“
Theodorakis formulierte es selbst folgendermaßen: „Ich gehöre einer Generation an, die sich einem extremen Idealismus verschrieben hatte. Mein ganzes Leben war ein endloser Kampf zwischen dem Idealistischen und dem Wirklichen, dem Alltäglichen und der Vision.“
Um eine Vision ging es auch im Film „Alexis Sorbas“mit Anthony Quinn in der Hauptrolle, dessen Filmmusik den Komponisten Theodorakis Anfang der 1960er weltweit bekannt machte. Bis heute gilt der Titelsong als heimliche griechische Nationalhymne – mitsamt des Tanzes, bei dem Menschen weltweit Arm in Arm die Beine zum immer schnelleren Takt in die Höhe werfen. Er selbst war über den Ohrwurm nur begrenzt glücklich: Wie ein Stein habe „Sorbas“an ihm gehangen, hat er einmal gesagt. Die Popularität führte dazu, dass er zu oft auf dieses eine Stück reduziert wurde.
Der Film lässt gerne vergessen, dass Theodorakis eine überaus harte Zeit im Widerstand hinter sich hatte. Bereits während des Zweiten Weltkrieges war er Widerstandskämpfer. Beim anschließenden Bürgerkrieg (1946-1949) schloss er sich den Linken an, wurde in einem Lager interniert und schwer gefoltert. Später kämpfte er gegen die griechische Militärdiktatur (1967-1974), wurde festgenommen und wieder gefoltert. Schließlich durfte er auf internationalen Druck hin ausreisen und lebte bis 1974 im Pariser Exil.
Nach der Etablierung der Demokratie 1974 kehrte er in seine Heimat zurück und startete ein politisches Wechselspiel. Zunächst wurde Theodorakis Abgeordneter für die Kommunisten. Als diese ihn enttäuschten, wurde er als unabhängiger Kandidat mit der Unterstützung der Konservativen ins Parlament gewählt. Eine Weile war er Minister der konservativen Partei, danach näherte er sich den Sozialisten an.
Als Opportunist aber wurde er nie gesehen. Mikis Theodorakis kämpfte stets gegen jede Art anmaßender Autorität, ganz gleich welcher politischen Richtung. Unrecht und harte Maßnahmen, die das Volk und nicht die Reichen trafen, waren ihm zuwider. Genau dafür liebten sie ihn. (dpa/epd)
„Europa hatte keinen Che Guevara, es hatte Mikis Theodorakis.“
Publizist Roger Willemsen nach einem Treffen mit dem Komponisten