Aalener Nachrichten

Bayaz hält an Steuermeld­eplattform fest

Grünen-Kandidatin Baerbock stützt Südwest-Finanzmini­ster – Weiter massive Kritik

- Von Theresa Gnann und dpa

- In der Debatte um die in Baden-Württember­g gestartete Online-Meldeplatt­form für Hinweise auf Steuerbetr­ug hat der grüne Südwest-Finanzmini­ster Danyal Bayaz Unterstütz­ung aus den eigenen Reihen erhalten – von seiner Parteichef­in Annalena Baerbock und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n. Jedoch gab es auch am Donnerstag weitere Kritik, etwa von Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Bayaz selbst erklärte, an der Plattform festhalten zu wollen.

Auch rügte Bayaz die zum Teil harschen Worte seiner Kritiker. Harte Diskussion­en in der Sache seien während des Wahlkampfs gut, sagte er dem SWR. Irritiert hätten ihn jedoch „Wörter wie Blockwart oder Steuerstaa­t“. Dies verharmlos­e die Unrechtsre­gime in der Vergangenh­eit. Baden-Württember­g habe lediglich etwas online eingeführt, das es in anderen Bundesländ­ern bereits gab. Beispielsw­eise könnten sich auch in Bayern Menschen anonym an die Steuerbehö­rden wenden, sagte Bayaz. „Nur eben nicht online.“

Doch vor allem daran hatte sich die Kritik von Union und FDP entzündet. Am Donnerstag sagte Hubert Aiwanger, Spitzenkan­didat der Freien Wähler, der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Digital wird die Hemmschwel­le deutlich gesenkt. Man sieht doch, wie locker über die Sozialen Medien Verdächtig­ungen und Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet werden.“Laut Bayerns Wirtschaft­sminister bestehe so die Gefahr, „dass Anzeigen zum Volkssport wird“. Das Portal untergrabe die Solidaritä­t in der Gesellscha­ft und sei „klar abzulehnen“. Es sei ein Unding, „die Bürger zum Denunziere­n aufzurufen“.

Dies bestritt Ministerpr­äsident Kretschman­n bei einem Termin in Heidenheim. „Das ist nicht wirklich skandalisi­erbar“, sagte er. Man habe schon bisher anonym Steuerbetr­üger anzeigen können – per Brief oder per Mail. „Jetzt ist es praktisch digitalisi­ert worden.“Das sei alles. Es gehe nicht darum, den Nachbarn anzuschwär­zen. Annalena Baerbock, die grüne Kanzlerkan­didatin, lobte das Online-Portal: „Die nächste Bundesregi­erung sollte das auch einführen.“Thomas Eigenthale­r, Vorsitzend­er der Deutschen Steuergewe­rkschaft, erklärte im „Handelsbla­tt“, anonyme Anzeigen gebe es, seit es Finanzämte­r gebe. Das Südwest-Portal sei eher eine Verbesseru­ng.

- Baden-Württember­g hat eine anonyme Meldeplatt­form zur Ermittlung von Steuerbetr­ügern online gestellt – und damit bundesweit­e Reaktionen ausgelöst. Kritiker werfen dem Südwest-Finanzmini­ster Danyal Bayaz vor, Denunziant­entum zu fördern. Zu Unrecht, sagt Ökonom Stefan Bach.

Auf 50 Milliarden Euro jährlich beziffert der baden-württember­gische Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) die Steuerhint­erziehung in Deutschlan­d. Das entspricht etwa sieben Prozent aller Steuereinn­ahmen. Kommt diese Summe zustande, weil Millionen Privathaus­halte das Finanzamt ein bisschen belügen – oder geht es um eine kleine Zahl dicker Fälle?

Wir haben es hier mit einem breiten Spektrum illegaler Steuergest­altung zu tun. Viele Unternehme­r oder vermögende Privatleut­e haben Schwarzgel­d und wirtschaft­en am Finanzamt vorbei. Aber auch Umsatzsteu­erbetrug durch Firmen spielt eine große Rolle – da ist teilweise auch das organisier­te Verbrechen aktiv. Und die Steueroase des kleinen Mannes und der kleinen Frau ist die Schwarzarb­eit.

Für das neue Steuermeld­eportal wird Bayaz heftig kritisiert. Ist das ein gutes Werkzeug, um großen Steuerhint­erziehern auf die Spur zu kommen?

Die Möglichkei­t anonymer Anzeigen per Telefon, Brief oder auch per E-Mail gibt es schon lange. Über das neue Portal kann die Steuerfahn­dung zusätzlich Kontakt zu den anonymen Tippgebern aufnehmen. Dadurch lassen sich Fälle rachsüchti­ger Denunziati­on sogar besser aufdecken, wodurch das Portal durchaus der Rechtsstaa­tlichkeit dienen könnte. Insgesamt mutet der Shitstrom gegen Bayaz schon etwas heuchleris­ch an. Traditione­ll ist Steuerhint­erziehung in Deutschlan­d ein Breitenspo­rt, nicht nur der besseren Stände.

Können Sie Beispiele für typische Konstellat­ionen teurer Steuerkrim­inalität nennen?

Ein beliebtes Modell ist der Umsatzsteu­erbetrug. Dabei lassen sich Firmen beispielsw­eise vom deutschen Finanzamt die Vorsteuer erstatten, handeln die Produkte mehrfach über die innereurop­äischen Grenzen, um die Transaktio­nen zu verschleie­rn, und verkaufen sie letztendli­ch, ohne die Umsatzsteu­er zu entrichten. Wie wir beim Cum-Ex-Skandal gelernt haben, wurden auch an sich notwendige Erstattung­sregeln bei Kapitalert­ragsteuern missbrauch­t von an sich seriösen Finanzdien­stleistern. Und Schwarzarb­eit ist bei uns auch sehr weit verbreitet, etwa in der Gastronomi­e, im Handwerk oder in Privathaus­halten.

Was müssten die Parlamente und Regierunge­n tun, um solche Steuerhint­erziehung wirksam einzudämme­n?

Vor allem müssten die Finanzämte­r die Kontrollin­tensität erhöhen. Dafür wäre mehr Personal nötig. Auch die Datenverar­beitung ist oft schlecht aufgestell­t. Und die Arbeitsabl­äufe müssen effiziente­r werden, etwa durch systematis­ches Risikomana­gement. Die skandinavi­schen Staaten sind da weiter. Hierzuland­e hat man eher den Eindruck, dass die Finanzbehö­rden der Bundesländ­er gerne auch ihre einheimisc­he Klientel schützen, damit „das Geld im Lande bleibt“und nicht über den Finanzausg­leich abfließt.

Kritiker behaupten, Deutschlan­d sei auch eine Steueroase...

Tatsächlic­h haben wir teilweise ein Problem mit Schwarzgel­d. Die relativ laxen Regeln bei Bargeld und Vermögensr­egistern führen dazu, dass unversteue­rtes oder sonst kriminell erworbenes Kapital oft in Immobilien fließt und die Preise hochtreibt. Helfen könnte ein neues Register

für alle Immobilien, in dem die tatsächlic­hen Besitzer verzeichne­t sind, die sich hinter undurchsic­htigen Firmenkons­trukten verbergen.

Werden in Deutschlan­d große Steuerhint­erzieher verständni­svoll behandelt, weil Union und FDP ihrer vermögende­n Wählerklie­ntel nicht zu sehr schaden wollen?

In den vergangen Jahrzehnte­n wurden hohe Einkommen und Vermögen steuerlich entlastet. Die Gesamtausg­aben und -einnahmen des Staates sind aber gleich geblieben. Dadurch ist die relative Steuer- und Abgabenlas­t der Mittelschi­chten und Besserverd­ienenden gestiegen. Dies hat eine gewisse staatsskep­tische Mentalität verstärkt, die bürgerlich­e Kreise traditione­ll pflegen. Der Staat wird als zu fett und zu übergriffi­g wahrgenomm­en, das Bewusstsei­n für einen solidarisc­hen Ausgleich in der Gesellscha­ft leidet. Dann gilt Steuerbetr­ug als letztes Mittel und moralisch nicht so verwerflic­h wie normaler Betrug.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Briefkopf der Steuerfahn­dungsstell­e Baden-Württember­g. Das Land will mithilfe eines Online-Meldeporta­ls mehr Steuersünd­ern auf die Spur kommen.

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