Aalener Nachrichten

Bilanz des Sommers

Die Bilanz dieses Sommers bereitet Regio-Wetterexpe­rte Roland Roth in Sachen Klimawande­l große Sorgen

- Von Cornelia Meyer

Regio-Wetterexpe­rte Roland Roth in großer Sorge

- Ein Traumsomme­r war es dieses Jahr im Südwesten nicht: Ständig Regen und kalte Tage – so haben viele diesen Sommer in der Region wahrgenomm­en. Die Wetterwart­e Süd, der Wetterpart­ner der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Bad Schussenri­ed, hat alle Daten zusammenge­tragen. Die Bilanz fällt eindeutig aus: Der Sommer war zu nass, aber mit durchschni­ttlich 17,4 Grad dennoch auch zu warm. Das sind zwar 1,1 Grad weniger als im vergangene­n Jahr, aber eben immer noch 1,2 Grad über dem Mittelwert des Referenzze­itraums zwischen 1961 und 1990. Im Interview spricht Roland Roth (Foto: Katja Korf), der Leiter der Wetterwart­e Süd, über das Wetter des Sommers, den Klimawande­l in der Region und die Hoffnung auf einen sonnigen Spätsommer.

Herr Roth, provokant gefragt: Der Klimawande­l hat sich dieses Jahr wenig gezeigt, oder?

Doch, sogar sehr ausgeprägt. Kein Sommer bislang stand so deutlich im Zeichen des Klimawande­ls wie der Sommer dieses Jahr.

Woran liegt das?

Man sieht jetzt deutlich, was wir schon seit zehn oder zwölf Jahren vorhersage­n: Der Jetstream – ein starkes Windband in mehreren Kilometern Höhe und die Antriebskr­aft unseres Wettergesc­hehens – hat deutlich an Kraft verloren. Das liegt daran, dass der Temperatur­anstieg in den nördlichen Breiten deutlich höher ist als in den Subtropen. Der Jetstream lebt von dem Temperatur­unterschie­d zwischen dem kalten Norden und dem subtropisc­hen warmen Süden. Weil der Temperatur­unterschie­d zwischen beiden geringer wird, wird der Jetstream schwächer. Das bedeutet – und das haben wir dieses Jahr wunderbar gesehen –, dass es lange Zeit an derselben Stelle Tiefdruckg­ebiete gibt und lange Zeit an derselben Stelle Hochdruckg­ebiete. Wir haben in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre viel zu hohe Temperatur­en, extreme Trockenhei­t und Hitzerekor­de verzeichne­t. Hier dagegen lagen wir seit Mai bis jetzt in einer Tiefdruckd­elle. Im Grunde gemer nommen haben wir den Regen der gesamten Nordhalbku­gel abbekommen. Das Wetter wird extremer in alle Richtungen. Von den gemäßigten mitteleuro­päischen Sommern müssen wir uns verabschie­den.

Noch in den 1980er-Jahren lag die durchschni­ttliche Sommertemp­eratur an Ihrer Messstatio­n in Bad Schussenri­ed meist um die 16 Grad – also deutlich niedriger als 2021. Haben wir uns schon so an die heißen Sommer gewöhnt, dass uns dieses Jahr so kalt vorkommt?

Ganz genau. Dieser Sommer ist gefühlt zu kühl ausgefalle­n, aber verglichen mit den Zahlen aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren war dieser Sommer überdurchs­chnittlich warm! Daran sieht man, wie sehr sich das Klima mittlerwei­le schon verändert hat. Wir sind geprägt von Hitzesomme­rn wie 2018, 2015 oder auch 2003. Wir haben seit mehreren Jahren überdurchs­chnittlich warme bis heiße Sommer.

Kommt es uns nur so kalt vor, weil die Hitzeperio­den im Juni und August so kurz ausgefalle­n sind?

Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass wir im Sommer mehrere Tage über 30 Grad haben. Das kam früher nur selten vor. In den 1950er- bis 1970er-Jahren hatten wir im Durchschni­tt 1,9 Hitzetage. In diesem Somwaren es acht. Das heißt, so eine Hitzewelle wie im Juni hat es früher in dieser Form so gut wie nie gegeben. Das politische Ziel lautet, dass wir beim weltweiten Temperatur­anstieg unter 1,5 Grad oder höchstens zwei Grad bleiben sollen. Bisher verzeichne­ten wir eine globale Erwärmung von 1,1 Grad im Vergleich zu vor 100 Jahren. Im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“liegt die Erwärmungs­rate jedoch zwischen 1,5 und zwei Grad im Vergleich zu vor 40 Jahren. Wir haben das politisch gewollte Maximalzie­l bereits erreicht!

Warum macht eine Erwärmung von einem oder zwei Grad so viel aus? Vor 12 000 Jahren lag über dem mittleren Schussenbe­cken, dort, wo sich heute Ravensburg befindet, das Gletschere­is 300 bis 400 Meter hoch. Damals war es nur vier bis fünf Grad kälter als 1970. Da kann man sich vorstellen, was eine Erwärmung von zwei Grad ausmacht. Das ist enorm viel. Die Erwärmung um 1,5 bis zwei Grad fand in nur 40 Jahren statt. Nach der Eiszeit waren es 3000 Jahre.

Was wir zuletzt an Treibhausg­asemission­en ausgestoße­n haben, hat sich noch gar nicht in den Temperatur­en niedergesc­hlagen. Wenn die Erwärmung schon so weit fortgeschr­itten ist, was ist dann für die nächsten Sommer zu erwarten?

Weltweit war dieser Sommer der heißeste seit Messbeginn. Nur wir lagen in diesem Tiefdruckt­al. Ich habe, was die kommenden Jahre und Jahrzehnte angeht, die allerschli­mmsten Befürchtun­gen. Und ich bin keiner, der gleich schwarzsie­ht. Aber was das Klima anbelangt, werden wir uns auf noch weit gravierend­ere Veränderun­gen einstellen müssen. Was wir in Westdeutsc­hland und auch hier in Oberschwab­en an Unwettern erlebt haben, das gehört mit zu dieser Medaille. Durch die höheren Temperatur­en haben wir auch mehr Wasserdamp­f in der Atmosphäre, sprich mehr Energie. Ich vergleiche das immer mit einem VW-Käfer der 1960erJahr­e, von dem wir klimatolog­isch umgestiege­n sind auf einen SUVTurbo. Da passiert weitaus mehr – in alle Richtungen. Wenn sich beispielsw­eise ein Tiefdruckg­ebiet im Winter wochenlang über uns hält, werden wir sehr viel Schnee haben. Wir müssen uns auch auf Spätfröste in den Mai, in manchen Jahren sogar bis in den Juni hinein einstellen. Das stellen auch die Bauern, die Sonderkult­uren am Bodensee betreiben, immer wieder fest: Das Wachstum beginnt wesentlich früher, aber dann kommen zum Teil verheerend­e Nachtfröst­e im späteren Frühjahr.

Im Juni gab es einen Niederschl­agsrekord in der Region?

Der Mai war an der Messstatio­n in Bad Schussenri­ed der regenreich­ste seit 1906 – bis dahin geht die Statistik. Dann hatten wir den regenreich­sten Juni überhaupt. Der Juli liegt auf Platz zwei. Im August war es etwas weniger. An manchen Stationen haben wir schon jetzt mehr Niederschl­ag registrier­t als ansonsten im gesamten Jahr.

Wird die Gefahr von Hochwasser­n uns nun begleiten?

Dieser Sommer hat gezeigt, dass Hochwasser auch an kleineren Flüssen und Bächen entstehen kann. Das ist das große Problem beispielsw­eise im mittleren Schussenbe­cken: Wenn von den Seitenhäng­en in den engen Tälern auch noch das Hangwasser mit dazukommt, nicht nur vom Fluss und von oben, potenziert sich das natürlich. Wir müssen uns noch viel mehr darauf vorbereite­n, was auf uns zukommt. Da ist der Schutz der Wälder ganz wichtig und dringend. Die Wälder saugen den Regen wie ein Schwamm auf und geben das Wasser dann langsam wieder ab. Im mittleren Schussenbe­cken, im Ballungsra­um Ravensburg, Weingarten, Baienfurt, muss in heißen Sommern die Frischluft­zufuhr von den Seitenhäng­en frei gehalten werden. Bei der Bebauung dieser Täler muss man enorme Vorsicht walten lassen. Die Städte müssen wesentlich mehr Grünbereic­he ausweisen oder zumindest die vorhandene­n Grünfläche­n schützen.

Haben Sie noch Hoffnung, dass sich etwas verändert – jetzt, da wir den Klimawande­l immer mehr spüren? So bitter es klingt: Kann sein, dass Ahrweiler tatsächlic­h etwas gebracht hat. Aber Sie wissen auch, wie schnell Menschen wieder vergessen. Kaum gibt es Lockerunge­n nach Corona, geht es wieder los mit Flugreisen ohne Ende. Ich habe wenig Hoffnung.

Wie sieht Ihre Vorhersage für den Spätsommer aus?

Es sieht so aus, als ob uns bis in die kommende Woche hinein spätsommer­liches Wetter erhalten bleibt, mit etwas Glück sogar bis zum übernächst­en Wochenende. Man kann für drei bis vier Tage eine echte Wettervorh­ersage machen, zwischen dem fünften und zehnten Tag einen Wettertren­d abgeben. Darüber hinaus muss man auf Wettermode­lle oder die Statistik zurückgrei­fen. Diese besagt, dass sich in der dritten Dekade im September oftmals eine Schönwette­rperiode einstellt.

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FOTO: KATJA KORF
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FOTO: ANDREAS SPENGLER Die Folgen des immer häufiger auftretend­en Starkregen­s: Überflutet­e Straßen, wie hier im Juni in Ummendorf im Landkreis Biberach, gab es in diesem Sommer auch im Südwesten mehrfach.
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