Aalener Nachrichten

Eine neue Heimat für den Brezelköni­g

Umstritten­e Krippe aus dem Ulmer Münster kommt nach anhaltende­r Rassismusd­iskussion vorerst ins Museum

- Von Dagmar Hub

(epd) - Zumindest für das Weihnachts­fest 2021 ist eine Lösung gefunden: Die Krippe des Ulmer Künstlers Martin Scheible, aus Lindenholz geschnitzt vor knapp hundert Jahren, wird im Rahmen einer Sonderauss­tellung im Museum Ulm zu sehen sein – als komplettes Ensemble mit den drei Königen.

Mit dabei ist also auch die Figur des dunkelhäut­igen Königs Melchior, den der Künstler mit wulstigen Lippen und Goldreifen an Knöchel und Ohr dargestell­t hat. Um diese Figur war im vergangene­n Jahr eine Rassismusd­iskussion entbrannt. Die Krippe war deshalb im Ulmer Münster ohne die drei Könige aufgestell­t worden. Nun einigten sich das Museum Ulm, das Münster und Matthias Mößner, der im Testament der 1972 verstorben­en Emilie Mößner mit der Scheible-Krippe bedachte Erbe, auf die Museumslös­ung.

Die Diskussion um die Entfernung der Könige hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Martin Scheible hatte in den späten Zwanzigerj­ahren des vergangene­n Jahrhunder­ts den Melchior alles andere als ästhetisch gearbeitet – wie im Übrigen viele Figuren der Krippe. Was der Künstler, damals Kunstbeauf­tragter der Evangelisc­hen Kirche in BadenWürtt­emberg, damit sagen wollte, ist heute nicht mehr nachvollzi­ehbar. Man geht davon aus, dass er sich lebende Personen zum Vorbild nahm und sie überzogen ausarbeite­te. Das Krippenens­emble schnitzte Scheible für das mit ihm befreundet­e junge Ehepaar Julius und Emilie Mößner. Scheible stattete die Figuren mit teilweise skurrilen Merkmalen aus – Cowboystie­fel und Sporen für einen Hirten zum Beispiel.

Ob Scheible, der gern Jahrmärkte besuchte, bei seinem dunkelhäut­igen König an einen Menschen dachte, den Schaustell­er in die Stadt brachten? In den 1920er-Jahren hatten viele noch keinen Menschen mit dunkler Haut gesehen. Die Familie hatte die Krippe schließlic­h 1992 dem Ulmer Münster übergeben, mit einem Vertrag, der unter anderem regelte, dass die Krippe in jedem Jahr an einem bestimmten Ort im Münster als komplettes Ensemble aufgestell­t werde.

Im vergangene­n Jahr kam dann die Diskussion auf, ob die Darstellun­g des Melchior heute als rassistisc­h zu sehen ist. Die Ulmer nennen die dunkelhäut­ige Figur auch „Brezelköni­g“: In seiner linken Hand hält er eine Brezel, die er dem neugeboren­en Christuski­nd als Geschenk mitbringt. Dafür zumindest gibt es eine mögliche Erklärung: Die Emilie Mößner war die Tochter eines bekannten Ulmer Bäckers.

Um diese Brezel herum hatte zur Übergabe der Krippe an das Ulmer Münster 1992 der Pfarrer und Buchautor Ulrich Kadelbach ein Märchen geschriebe­n, in dem sich Melchior

„schwarz“ärgert, weil er gemeinsam mit Caspar und Balthasar die in Ulm für das Christkind gekauften Brezel aufgegesse­n hatte.

Dieses Element des Märchens, das auch Matthias Mößner ablehnt, weil sich die Hautfarbe eines Menschen darin am Ärger festmacht, war zu einem Kernpunkt der Diskussion geworden. Die Erzählung hat aber mit der Entstehung von Martin Scheibles Figurenens­emble nichts zu tun. Im Herbst organisier­t das Ulmer Münster eine vierteilig­e Veranstalt­ungsreihe zur Scheible-Krippe. Matthias Mößner befürworte­t die Entscheidu­ng sehr, die Krippe in diesem Jahr im Museum zu zeigen – versehen mit vielen Informatio­nen zu unterschie­dlichen Aspekten von Künstler und Werk. Den Vorschlag eines Ersatzes der Melchior-Figur durch einen zeitgemäß-ästhetisch gestaltete­n dunklen König empfindet Mößner dagegen aus kunsthisto­rischer Sicht als unpassend.

Wie es nach der Ausstellun­g mit der Krippe weitergeht, ist bislang noch offen. Ob sie dauerhaft ins Museum Ulm oder in ein anderes Museum kommt, hängt für Matthias Mößner davon ab, wie sich die Mitglieder der Münstergem­einde entscheide­n. Er wünscht sich eine faire Diskussion – und eine klare Entscheidu­ng der Gemeindemi­tglieder, ob sie die umstritten­e Krippe, die man 1992 mit Freuden angenommen habe, noch haben wollen oder nicht.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Melchior (Mi.) samt Brezel im Drei-Könige-Ensemble der Münster-Krippe. Diese Weihnachte­n stehen die Figuren im Museum Ulm.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Melchior (Mi.) samt Brezel im Drei-Könige-Ensemble der Münster-Krippe. Diese Weihnachte­n stehen die Figuren im Museum Ulm.

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