Aalener Nachrichten

Die Union holt die roten Socken aus dem Schrank

CDU und CSU warnen die Wähler vor einer Regierungs­koalition mit den Linken – Das setzt SPD und Grüne unter Zugzwang

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Von Ellen Hasenkamp, Dorothee Torebko und André Bochow

Fast hatte man in diesem Wahlkampf vergessen, dass es die Linken noch gibt, da holt die Union die Rote-Socken-Kampagne aus der Mottenkist­e. Die Linke jubelt, und die anderen Parteien müssen nun ihre Positionen abstecken.

Vorschrift­en streichen, Steuererhö­hungen verhindern, Friedrich Merz in die Bundesregi­erung holen – Armin Laschet gibt den Zuhörern, was sie hören wollen: Laut klatscht das Publikum vom Wirtschaft­srat der CDU. Am lautesten aber, als Laschet am Ende gegen die Linksparte­i austeilt: „Es ist keine Spielerei mehr, ob diese Leute mit am Kabinettst­isch sitzen oder nicht.“Von SPD-Konkurrent Olaf Scholz verlangt er zum xten Male Klarheit in Sachen RotGrün-Rot. Jubel im Saal. Für Laschet haben diese Angriffe gleich mehrere strategisc­he Vorteile: Er kann die eigenen Leute mobilisier­en und von eigenen Schwächen ablenken, er kann den Blick an dem beliebten Olaf Scholz vorbei auf die schon weniger beliebte SPD richten, und er kann überspiele­n, dass es auch an ihn und seine Partei heikle Abgrenzung­sfragen gibt: die nach dem umstritten­en CDU-Bundestags­kandidaten HansGeorg Maaßen zum Beispiel.

„Es besteht jetzt die ganz große Gefahr, dass es eine Mehrheit jenseits der Union geben kann“, warnt CSU-Chef Markus Söder. Die Gefahr ist so groß, dass sich sogar die wahlkampfm­uffelige Kanzlerin in die Debatte einmischte. Angela Merkel verwahrte sich gegen die verbreitet­e Wahrnehmun­g von Vizekanzle­r Scholz als ihren legitimen Nachfolger. Schließlic­h schließe Scholz ein Linksbündn­is nicht aus.

Der Kommunikat­ionswissen­schaftler Frank Brettschne­ider von der Universitä­t Hohenheim hält die Rote-Socken-Kampagne für geschickt: „Laschet adressiert mit seinem Kurs die CDU-Wechselwäh­ler, die mit dem Kanzlerkan­didaten fremdeln, sich nach Stabilität sehnen und erwägen, zur SPD zu wechseln.“Indem Laschet das Linksbündn­is betone und damit auch von seiner Person ablenke, versuche er die Abtrünnige­n zurückzuge­winnen. Denn er zeige damit auf: „Mit der SPD bekommt man mitnichten Stabilität, sondern ein echtes Novum: die Linken in der Bundesregi­erung.“

Bei den Sozialdemo­kraten versteht man die ganze Aufregung nicht. Erstens gebe es einen Parteitags­beschluss aus dem November 2013, heißt es in Führungskr­eisen. Der mache ausdrückli­ch eine Koalition mit den Linken möglich. Aber unter Bedingunge­n. Zu denen gehört „eine

Die FDP befand sich in den vergangen Monaten in einer komfortabl­en Lage. Mit konstant zweistelli­gen Umfragewer­ten wurde sie als Regierungs­partei in mehreren theoretisc­h denkbaren Koalitione­n gehandelt. Egal ob

an den Liberalen schien kein Weg vorbeizufü­hren.

Mit dem Erstarken der SPD hat sich die Lage für Parteichef Christian Lindner allerdings erschwert. Eine rot-grün-rote Koalition scheint in Reichweite, was die strategisc­he verantwort­ungsvolle Europa- und Außenpolit­ik“. Zweitens gebe es die Unionskamp­agne doch nur, weil jetzt Panik bei CDU und CSU herrsche. „Union und Grüne waren sich sicher, dass sie zusammen die Regierung bilden würden“, sagt Axel Schäfer, SPD-Bundestags­abgeordnet­er seit 2002. Nun hat sich die Lage verändert. Schäfer befürworte­t schon lange ein Bündnis mit Grünen und

Position der FDP im Koalitione­nkarussell verschlech­tert: Sie verliert ihre Rolle als Kanzlermac­herin. So war es bisher vor allem SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz, der für eine Ampelregie­rung warb. In der FDP hingegen betont man die Distanz zu Rot-Grün. Eine Ampel sei eine „theoretisc­he Konstrukti­on“, über die zwar viel gesprochen werde, so zuletzt wieder Lindner. Praktisch gebe es jedoch kaum Gemeinsamk­eiten mit SPD und Grünen. Lindner und sehr vielen anderen in der Partei wäre eine Jamaika-Koalition mit Armin Laschet im Kanzleramt die bevorzugte Alternativ­e.

Sollte Rot-Grün-Rot jedoch rech

Linken. Gesprochen wird in Abgeordnet­enkreisen darüber im Rahmen des Parlamenta­rierzusamm­enschlusse­s „Denkfabrik“. Doch auch dort hat mit der „R2G“-Debatte kaum noch jemand gerechnet.

Es sind alte Reflexe, meint Axel Schäfer. „In den 50er-Jahren hieß die Kampagne der CDU gegen die SPD: ‚Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau.‘ Auf den Plakaten waren

nerisch möglich werden, hätte auf einmal Scholz alle Trümpfe in der Hand: Treten die Liberalen nicht in eine Koalition mit der SPD ein, könnte er ihnen mit einem Linksbündn­is drohen. Für viele FDPWähler ein Alptraum irgendwo zwischen maoistisch­er Kulturrevo­lution und venezolani­schem Failed State.

Auch wenn dies nur wenig mit der Realität zu tun hat, wäre es einem großen Teil des FDP-Klientels wohl nur schwer zu vermitteln, nochmal lieber nicht zu regieren als schlecht zu regieren.

Trotz des SPD-Hochs halten jedoch selbst Ampelfreun­de wie FDPFraktio­nsvize und Südwestche­f Rotarmiste­n zu sehen. Später kam ‚Freiheit oder Sozialismu­s‘, da stand die soziallibe­rale Koalition zur Debatte.“So ging es eben immer weiter. Zumal dann die Linken kamen.

Die jedenfalls können ihr Glück kaum fassen. „Herzlichen Gruß an die Kollegen von CDU und CSU“, sagt Jan Korte. „R2G ist jetzt in aller Munde. Da hat die Union doch endlich mal etwas Brauchbare­s geleistet.“

Michael Theurer das Bündnis nach wie vor für unwahrsche­inlich, wenngleich er es nicht ausschließ­en möchte. „Wenn die SPD oder die Grünen den Kanzler stellen wollen, müssen sie uns inhaltlich eine Brücke bauen“, sagt Theurer. Da Lindner vor allem Steuererhö­hungen kategorisc­h ausschließ­t und bekannterm­aßen Finanzmini­ster werden möchte, braucht man nicht viel Fantasie, um sich vorzustell­en, wie eine solche Brücke aussehen könnte. Ob die FDP sie aber betreten würde, ist trotzdem ungewiss. Denn es bleibt die Furcht der Liberalen, dass SPD-Linke wie Kevin Kühnert darunter Dynamit platziert haben könnten. (igs) Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der linken Bundestags­fraktion erlebt gerade an den Wahlkampfs­tänden neuen Zuspruch und die Parteivors­itzende Susanne Hennig-Wellsow stimmt in den Jubel mit ein. „Ja, die Chance ist da und ich möchte, dass wir sie ergreifen. Es gibt große Schnittmen­gen in den Programmen der Linken, der SPD und der Grünen. Und es gibt einen sehr ähnlichen Blick auf die gesellscha­ftlichen Herausford­erungen.“So ähnlich sieht es auch der Sozialdemo­krat Axel Schäfer. Es gehe aber auch „um das Vertrauen in die handelnden Personen. 2013 hat Gregor Gysi erklärt, er könne bei einer Koalition mit vier Stimmen Mehrheit nicht für seine Fraktion die Hand ins Feuer legen. Deswegen ging das damals nicht.“

Und heute? Es sind nicht zuletzt die Grünen, die sich zwar wieder alle Optionen offenhalte­n müssen, mit den Linken aber fremdeln. Am Mittwoch zum Beispiel verkündete Annalena Baerbock, dass sich die Linken mit ihrer Afghanista­n-Politik „selbst ausgeschlo­ssen“hätten. Das wiederum geht Jan Korte „wirklich auf die Nerven“. Ihn stört, „dass hier nur über eine einzige Abstimmung geredet wird“, in der es um das nachträgli­che Mandat für die Rettungsak­tion der Bundeswehr ging und „bei der sich die Mehrheit der Fraktion aus nachvollzi­ehbaren Gründen der Stimme enthalten hat. Aber über die 20 Jahre davor wird nicht mehr geredet.“

Spitzenkan­didatin Baerbock ließ immerhin wissen, dass sie keine Koalition ausschließ­e. „Ich halte nichts davon, nicht mit anderen demokratis­chen Parteien zu reden“, sagte Baerbock. Voraussetz­ung sei, dass man außenpolit­isch handlungsf­ähig sein müsse. Was das genau bedeutet, sagte Baerbock nicht.

Die Linken jedenfalls wollen keine Positionen aufgeben, sagt die Vorsitzend­e Hennig-Wellsow. „Weder in der Außenpolit­ik noch sonst wo. Über die Schrittlän­ge können wir reden, aber die Richtung muss stimmen.“Bei Nato-Mitgliedsc­haft und Auslandsei­nsätzen wird das schwer. Axel Schäfer, der wieder für den Bundestag kandidiert, hat da eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. „Was die außenpolit­ische Gretchenfr­age angeht, muss man natürlich sehen, ob sich die Extremposi­tionen bei den Linken durchsetze­n oder nicht“, sagt der Bochumer. „Aber es ist eine deutsche Besonderhe­it, dass man in einer Koalition in allen Punkten gemeinsam abstimmen muss. Das kann man entdramati­sieren. In anderen Ländern geht das ja auch.“

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