Aalener Nachrichten

Viel Zeit bleibt nicht

- Von Hajo Zenker politik@schwaebisc­he.de

Dass die deutsche Impfkampag­ne nicht mehr so recht vom Fleck kommt, was der Virologe Christian Drosten genauso wie der Verband der deutschen Intensivme­diziner für gefährlich hält, hat auch den Grund, dass sich ein Teil der Bevölkerun­g in der Impfdebatt­e gar nicht wahrgenomm­en fühlt. Die öffentlich­e Aufmerksam­keit war auf zwei Gruppen gerichtet – die, die nicht schnell genug eine Impfung bekommen konnten und deshalb lange über fehlende Termine klagten, und die, die das Impfen aus vollster Überzeugun­g ablehnen und das auch gern sehr vernehmlic­h auf die Straße tragen. Dabei war allerdings aus dem Blick geraten, dass es auch noch eine dritte Gruppe im Land gibt – nämlich diejenigen, denen es nach eigener Wahrnehmun­g noch immer an Informatio­nen über die Impfung mangelt.

Überrasche­nd ist das eigentlich nicht. Schließlic­h gibt es Studien, nach denen gut die Hälfte der deutschen Bevölkerun­g Gesundheit­sinformati­onen nicht wirklich finden, verstehen, bewerten oder umsetzen kann. Die Bundesrepu­blik schneidet damit deutlich schlechter ab als Nachbarn wie etwa Holland oder Dänemark. Beim genaueren Blick wird dabei deutlich: Der gern beschworen­e mündige Bürger ist oft an das Bildungsni­veau gekoppelt. In sozial schwachen Schichten, hat die Wissenscha­ft ermittelt, ist fehlende Gesundheit­skompetenz doppelt so stark vertreten wie bei Menschen mit einem hohen sozialen Status. Auch Migrations­hintergrun­d und hohes Alter stehen der Gesundheit­skompetenz häufig im Wege.

Wer jetzt wie Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) angesichts von gerade 61 Prozent vollständi­g Geimpften kurz vor dem Herbst noch möglichst schnell Impfquoten­punkte gutmachen will, um die vierte Welle halbwegs im Zaum zu halten, muss genau dorthin, wo diese Menschen leben, mit Vakzin und Informatio­nen in leicht verständli­cher Form im Gepäck. Und mit der Bereitscha­ft, sich auf sie einzulasse­n, zu erklären und zuzuhören. Dabei machen die aktuellen Pandemie-Zahlen allerdings klar: Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr.

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