Sechs Tore in Richtung Versöhnung
Die deutsche Nationalmannschaft versucht unter Hansi Flick die Herzen der Fans zurückzuerobern
(SID) - Im Stuttgarter Stadion war La Ola irgendwann abgeebbt, doch in den Köpfen von Hansi Flick und seinen Nationalspielern rollte die Welle auch lange nach dem Abpfiff weiter. „Da hat man ein bisschen Gänsehaut bekommen“, sagte Bundestrainer Flick nach seinem perfekten Heimdebüt. Für den überragenden Leon Goretzka war die Stimmung „Balsam auf die Seele“.
Keine Frage: Das 6:0 (4:0)-Offensivspektakel in der WM-Qualifikation gegen Armenien war auch eine Art Versöhnung der DFB-Auswahl mit ihren Fans. Die Spieler verwöhnten die 18 086 Arena-Besucher und 7,11 Millionen TV-Zuschauer mit einem lange nicht gesehenen VollgasFußball, und die Anhänger dankten es mit herzlicher Zuneigung.
„Wir machen die Runde und man sieht überall die Fahnen schwenken, strahlende Augen und leuchtende Gesichter“, berichtete Goretzka, „das ist das, worum es bei der Nationalmannschaft gehen muss. Deshalb sind wir überglücklich.“
Das unter Vorgänger Joachim Löw zuletzt arg strapazierte Band zwischen Team und Fans wieder zu stärken, ist eine von Flicks Prämissen. Und Fußball, wie ihn Goretzka und Co. gegen heillos überforderte Armenier um Henrich Mchitarjan spielten, ist dabei das beste Mittel.
Drei Tage nach dem Rumpel-Start in Flicks Amtszeit beim zähen 2:0 gegen Liechtenstein spielte Deutschland wie entfesselt auf. Der Lohn: sechs schön herausgespielte Tore, zahlreiche Chancen, viel Zuspruch von den Rängen und die Tabellenführung in der Gruppe J.
„Das ist jetzt der Maßstab“, betonte Flick, „daher haben wir einiges vor.“Doch auch Flick hatte die verheißungsvolle Fußball-Show „schon gefallen“, wie er zurückhaltend anmerkte. Die zwei zentralen Vorgaben habe die Mannschaft vollauf erfüllt: Das eine war, „uns mit einem Sieg die Tabellenführung zu holen“. Was eindrucksvoll gegen den bisherigen Spitzenreiter gelang. „Und das Zweite war, dass wir den nächsten Schritt machen wollen, dass wir einfach einen Fußball spielen, der begeistert, einen Fußball spielen, der Freude macht, Freude auf mehr. Das war der Fall“, sagte Flick wie ein stolzer Papa. „Nicht mehr und nicht weniger“sei passiert. Denn auch zum Abschluss des ersten Lehrgangs unter Flick am Mittwoch (20.45 Uhr/RTL) in Reykjavik gegen Island will der 56-Jährige Leidenschaft, Präzision im Passspiel und Abschlussstärke sehen.
Dafür dürfte Flick, der den besten Heimstart eines Nationaltrainers in der DFB-Geschichte hinlegte, wieder auf den starken Bayern-Block setzen. Gegen Armenien waren die Automatismen von Goretzka, Joshua Kimmich, Leroy Sane und Serge Gnabry herrlich anzuschauen.
Flicks Spieler genossen den Kantersieg, schätzten ihn aber auch realistisch ein. „Bei allem Respekt vor Armenien: Es war nicht der Übergegner, auf den wir vielleicht im Achteloder Viertelfinale bei der WM treffen werden“, räumte Torschütze Timo Werner (44.) ein.
Der große Antreiber Goretzka., der zwei Treffer vorbereitete, erinnerte aber daran, dass „wir auch unter Jogi immer wieder unsere Klasse haben aufblitzen lassen. Jetzt geht es darum, Konstanz reinzubekommen.“Der Anfang sei gemacht, meinte Doppelpacker Serge Gnabry (6./15.): „Wir nehmen die Euphorie mit, um Mittwoch in Island nochmal zu punkten und ein gutes Spiel abzuliefern.“Auf die Vulkaninsel sollen auch Kai Havertz (Infekt) und Robin Gosens (Fußverletzung) mitfliegen.
Jonas Hofmann dürfte wieder als Rechtsverteidiger auflaufen, der Mönchengladbacher hat sich nicht nur wegen seines Tores zum 5:0 (52.) auf der ungewohnten Position festgespielt. „Ich fühle mich da wohl, es macht Spaß – und wir sind erfolgreich damit“, sagte Hofmann.
Eine gute Visitenkarte gab auch Karim Adeyemi ab. Der 19-Jährige war „geflasht“von seinem traumhaften Länderspieldebüt mit einem Tor (90.+1) vor den Augen seiner Eltern und Freunde. „Es ist Wahnsinn, dass ich hier bin“, schwärmte der Profi von Red Bull Salzburg. Flick lobte den Youngster als „guten Vollstrecker“, der sich genau wie Vorlagengeber Florian Wirtz (17) als Alternative zum Stammpersonal anbot.
Noch wichtiger aber ist eine Aufbruchsstimmung – und die ist spätestens seit Sonntagabend zu spüren.