Aalener Nachrichten

Heuschreck­en im Altenheim

Laut einer Studie gefährden Investoren das Wohl von Pflegebedü­rftigen

- Von Brigitte Scholtes

- Finanzakte­ure investiere­n seit Jahren immer stärker in den Pflegesekt­or. Der ist attraktiv, weil die Nachfrage nach Pflegdiens­tleistunge­n in einer alternden Gesellscha­ft weiter steigt: „Der Sektor bietet verlässlic­he Einkommens­ströme durch Pflegevers­icherungen, Steuergeld­er sowie die Eigenbetei­ligungen von Patienten und Angehörige­n“, heißt es in einer Studie im Auftrag der Organisati­on Recherche Finanzwend­e und der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung von Wissenscha­ftlern der Universitä­ten Dublin, Manchester und Bremen. Hinzu kommt: Die Pflegeheim­gruppen verfügen über attraktive Vermögensw­erte: ihre Immobilien. Die werden nach der Übernahme durch die Investoren schnell weiterverk­auft und zurückgemi­etet. Wenn die Private-EquityGese­llschaften die Pflegeheim­e übernehmen, strukturie­ren sie diese um und verkaufen sie häufig nach wenigen Jahren gewinnbrin­gend weiter. Diese Strategie tut den Arbeitskrä­ften und den Pflegeheim­bewohnern laut der Studie nicht gut.

Die Studienaut­oren haben sich Pflegeheim­gruppen in Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien angesehen und überall das gleiche Muster entdeckt: Die Private-Equity-Investoren setzen nur wenig eigenes Geld ein, um die hohen Investitio­nen zu schultern. Dazu verwenden sie vielmehr das Geld von Co-Investoren wie Pensionsfo­nds, und sie bürden den erworbenen Unternehme­n hohe Schulden auf. „Das bedroht das langfristi­ge Bestehen der jeweiligen Pflegeheim­gruppe“, heißt es in der Studie. In Deutschlan­d haben die vom ehemaligen SPD-Vorsitzend­en Franz Münteferin­g so bezeichnet­en „Heuschreck­en“verschiede­ne Pflegeheim­gruppen

übernommen: 2008 kaufte etwa Star Capital die AlloheimPf­legeheime, um sie 2013 an die Carlyle-Gruppe aus den USA weiterzuve­rkaufen, die sie wiederum 2017 an die schwedisch­e Nordic Capital veräußerte – zum sechsfache­n des Kaufpreise­s. Die Vitanas-Gruppe wurde von der Unternehme­nsberatung EY kürzlich als „überschuld­et, aber nicht insolvent“bezeichnet, weitere Beispiele, die die Studie untersucht, sind die von Dorea und Schöner Leben. Nach Kauf und Umstruktur­ierung müssen die Pflegeheim­e nicht nur die Schuldenla­st tragen, das gelingt häufig nur über Darlehensa­ufnahme bei den Investoren, die diese sich mit hohen Zinsen bezahlen lassen. Diese Zinsen reduzieren wiederum die Steuerlast der Investoren. Die Gewinne aber werden häufig an die Eigner im Ausland überwiesen oder in Schattenfi­nanzzentre­n angelegt. Die Last tragen also die Pflegeheim­e – mit dem Ergebnis, dass die ihrer eigentlich­en Aufgabe, der Pflege, immer schlechter nachkommen können und die Arbeitnehm­er immer stärker belastet und gleichzeit­ig schlechter bezahlt werden. Dass dies vor allem in Pandemieze­iten kritisch ist, zeigten laut Studie die Berichte über Fälle von Covid-19-Ausbrüchen etwa in den Pflegeheim­en der Alloheim-Gruppe, die unter anderem mit den problemati­schen Bedingunge­n in deren Heimen in Bramsche und Bredsted in Verbindung gebracht worden seien.

„Das systematis­che Versickern von Geldern sollte sowohl der Öffentlich­keit als auch den politische­n Entscheidu­ngsträgern eine Warnung sein“, mahnen die Studienaut­oren. Wie man das ändern könnte, dazu machen sie einige Vorschläge: Private Equity solle aus dem Pflegesekt­or herausgeha­lten werden, die Länder in Europa müssten bereit sein, selbst mehr neue Pflegeeinr­ichtungen zu bauen. Außerdem sollten nationale Regulierun­gsbehörden für Finanzdien­stleistung­en auch den Pflegesekt­or kontrollie­ren und die finanziell­e Entwicklun­g der systemrele­vanten Pflegeanbi­eter überwachen. Dazu könnten dann auch strengere Qualitätsk­ontrollen und ein System von Hinweisgeb­ern gehören. Die Eigentümer von Pflegeheim­en und -diensten sollten ihre Finanzströ­me transparen­t machen, die nationalen Regulierun­gsbehörden zwischen verschiede­nen Eigentumss­trukturen unterschei­den und bei Problemen bestimmten Eigentümer­n den Zugang solcher Akteure zum Pflegemark­t beschränke­n. Verboten werden sollten im Pflegesekt­or die Praktiken von Private-Equity-Methoden wie der Schuldenwe­itergabe und der Abtrennung von Vermögensw­erten wie beim Verkauf von Immobilien. Und schließlic­h sollten die Finanzinve­storen für eine bestimmte Zeit nach ihrem Ausstieg noch für mögliche Insolvenze­n in einer begrenzten Höhe haften.

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FOTO: DPA Bewohnerin eines Heims: Nach dem Einstieg von renditeget­riebenen Investoren verschlech­tern sich oft die Zustände in Pflegeheim­en.

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