Aalener Nachrichten

Wirtschaft wehrt sich gegen Klimaschut­z-Ziele

Grün-Schwarz legt die Latte für Verkehr, Gebäude und Industrie hoch – Die Arbeitgebe­r setzen dicke Fragezeich­en hinter die Pläne

- Von Henning Otte

(dpa) - Die Wirtschaft im Südwesten macht Front gegen die neuen Klimaziele der grün-schwarzen Landesregi­erung für die einzelnen Sektoren wie Industrie und Verkehr. Es stehe außer Frage, dass trotz der schweren Energiekri­se Klimaschut­z auch künftig eine hohe Priorität behalten müsse. „Eine Festlegung von verbindlic­hen Klimaschut­zzielen auf Landeseben­e halten wir aber nicht für zielführen­d“, sagte Peer-Michael Dick, Hauptgesch­äftsführer des Verbands Unternehme­r Baden-Württember­g, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Der Industrie- und Handelskam­mertag (BWIHK) beklagte, dass das Land die Wirtschaft in ihre Pläne noch nicht einbezogen habe. „Es ist unklar, wie das Erreichen der Sektorziel­e im industriel­len Bereich bewerkstel­ligt werden soll“, sagte BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke der dpa.

Grüne und CDU hatten vor Kurzem den Entwurf für das neue Klimaschut­zgesetz mit ehrgeizige­n Zielen beschlosse­n, doch die Umsetzung ist an vielen Stellen noch ungeklärt. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausg­asen über alle Bereiche hinweg um die Hälfte gesenkt werden.

Die Emissionen der Industrie im Land müssen demnach stark gesenkt werden. Im Jahr 1990 lagen diese bei 18,8 Millionen Tonnen, 2019 noch bei 12,7 Millionen Tonnen. 2030 sollen es nur noch 7,2 Millionen sein, ein Minus von 43 Prozent. Mit der Novelle will Baden-Württember­g das erste Bundesland sein, das konkrete Ziele für die Reduzierun­g von CO2 für Verkehr, Gebäude und Wirtschaft gesetzlich verankert.

Innerhalb der Regierung war lange um den Entwurf gerungen worden, einige Ministerie­n hatten sich

gegen zu ambitionie­rte Ziele gewehrt. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n zeigte sich jedoch überzeugt, „dass jetzt alle fest dahinterst­ehen“. Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) scheint mit Blick auf die Energiekri­se weiter skeptisch zu sein. „Die Zielsetzun­g in dem neuen Klimaschut­zgesetz ist ehrgeizig, das gilt insbesonde­re unter den veränderte­n Rahmenbedi­ngungen, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen“, sagte ihr Sprecher auf Anfrage. „Um die ehrgeizige­n Ziele im

Industrieb­ereich zu erreichen, brauchen wir eine neue Infrastruk­tur und brauchen wir innovative Technologi­en, die uns auf dem Weg zur klimaneutr­alen Produktion voranbring­en.“Wie das konkret umgesetzt und bezahlt werden soll, bleibt unklar.

Hauptgesch­äftsführer Dick hält die Klimaschut­znovelle für überdreht. Es sei schon schwierig genug, globale Klimaziele auf die Europäisch­e Union und deren Mitgliedss­taaten zu verteilen. „Eine noch kleinteili­gere Betrachtun­g, also das Herunterbr­echen auf die Ebene der Bundesländ­er, ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.“Er fordert: „Entscheide­nd für uns ist, dass die Klimaziele ohne einen Verlust der Wettbewerb­sfähigkeit unserer Unternehme­n erreicht werden können.“BWIHK-Präsident Grenke mahnte: „Die aktuell vorgeschla­genen Maßnahmenp­akete reichen in keinem Sektor wirklich aus, um die Klimaschut­zziele zu erreichen. Gerade die Industrie wird hier gewisserma­ßen sich selbst überlassen, wie die ambitionie­rten Ziele realisiert werden sollen.“Viele Firmen hätten in den vergangene­n Jahren vielfältig­e Klimaschut­z-Maßnahmen ergriffen, vor allem bei Energieeff­izienz und erneuerbar­en Energien. „Doch die kontinuier­lichen Emissionsm­inderungen im baden-württember­gischen Industries­ektor wurden durch die gestiegene Wirtschaft­sleistung nahezu kompensier­t.“

Grenke schlug eine andere Rechnung beim Klimaschut­z vor: Es müsse im Sinne eines „Effizienzg­ebots“gehandelt werden, bei der jede eingespart­e Tonne CO2 mit dem eingesetzt­en Kapital verrechnet werde. Denn: Im Fokus müsse die „Gesamtziel­erreichung“stehen. Der BWIHK-Präsident dringt zudem auf eine deutliche Beschleuni­gung von Genehmigun­gsverfahre­n für erneuerbar­e Energien und Industriea­nlagen. „Denn ohne massiven Zubau erneuerbar­er Energien und ohne den drastische­n Umbau der Industrie inklusive Transforma­tion der Produktion­sanlagen ist eine Zielerreic­hung im Industries­ektor nicht realistisc­h.“

Die Regierung hat die Klimaziele aus einem Gutachten übernommen, dass mehrere Forschungs­institute für das Umweltmini­sterium erstellt hatten. In der Studie ist von einem „ambitionie­rten Wandel in Richtung einer Treibhausg­as-neutralen Industriep­roduktion“die Rede. Dieser umfasse Maßnahmen und Umsteuern in allen Bereichen: So müsse die Energieund Materialef­fizienz gesteigert, die Kreislaufw­irtschaft ausgebaut sowie auf erneuerbar­e Energien umgestiege­n werden.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Baden-Württember­g will das erste Bundesland sein, das konkrete Ziele für die Reduzierun­g von CO2 gesetzlich verankert.

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