Statt SS-Totenkopf ein Tattoo mit Versace-Brille
Ex-Nazi Philip Schlaffer hat den Ausstieg geschafft – Auch in Aalen warnt er vor braunen Rattenfängern
AALEN - „Einmal Nazi, immer Nazi: Wer solche Vorurteile im Kopf hat und sich nicht vorstellen kann, dass sich Menschen ändern können, den lade ich gerne zu meinem Vortrag an der Aalener Hochschule am 5. Oktober ein“, sagt Philip Schlaffer im Gespräch. Der 44-Jährige, der neben seiner „Karriere“in der rechten Szene als Rocker im Rotlichtmilieu agierte, hat den Ausstieg geschafft und gezeigt, dass auch ein hasserfüllter Nazi den Weg zurück in ein normales Leben finden kann. Jeder Mensch habe eine zweite Chance verdient, findet er.
Wenn Philip Schlaffer an seine Vergangenheit denkt, schämt er sich. Er ist geschockt, welch hohes Aggressionspotenzial in ihm schlummerte. Und er bereut es, sich als 15-Jähriger keine Hilfe gesucht zu haben. In diesem Alter ist er in die rechte Szene abgerutscht. Als Außenseiter an der Schule und von den Eltern missverstanden, war er ein gefundenes Opfer für die braunen Rattenfänger. In der rechtsradikalen Szene habe er Halt und Anerkennung gefunden und auch einen Familienersatz.
Von einem anfänglichen Mitläufer wurde der heute in Lübeck lebende 44-Jährige zu einem der bekanntesten Neonazis von Mecklenburg-Vorpommern. Er war Gründer und Anführer der „Kameradschaft Werwolf ” in Wismar und Präsident des Rockerclubs „Schwarze Schar MC“. Neben rechtsradikalem Gedankengut gehörte die organisierte Kriminalität zu seinem Alltag, der von Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung geprägt war. Wegen Drogenhandels in nicht geringem
Maß wurde er schließlich zu einer über zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Der Aufenthalt im Knast in Stralsund markierte den Wendepunkt in seinem Leben. Hier habe er sein altes Leben mithilfe von Seelsorgern und Psychologen aufgearbeitet. Aus dem einst empathielosen Nazi, der zu allem bereit gewesen sei, „um eine menschenverachtende Ideologie zu unterstützen und ein viertes Reich zu schaffen“, wurde ein Aussteiger, der sich mittlerweile unter anderem als Antigewalt- und Deradikalisierungstrainer engagiert, Mitglied des Vereins Extremislos ist und auf Youtube und Facebook junge Menschen für die Gefahren des braunen Sumpfs sensibilisiert.
Mit seinem Buch „Hass. Macht. Gewalt: Ein Ex-Nazi und Rotlicht-Rocker packt aus“schaffte er es 2020 sogar auf die Bestsellerliste des Spiegel. Dieser Erfolg sei ihm nicht wichtig. Ihm sei es ein Anliegen, mit seiner Biografie jungen Menschen zu zeigen, dass Extremismus
ein Alptraum sei und kein versprochener Traum. Sein Ausstieg sei von der rechtsextremen Szene verurteilt worden. Bedrohungen seien anfangs an der Tagesordnung gewesen. Noch heute werde der 44-Jährige in den sozialen Medien mit den Worten „Dich müsste man ins KZ stecken und Deine Familie vergasen“angegriffen.
Von Schlaffers aktiver Zeit als Neonazi zeugen heute noch etliche Tätowierungen. Analog zu seiner heutigen Einstellung habe er sich viele überstechen lassen. Eine Unterschrift von Adolf Hitler sei Sushirollen, inklusive Stäbchen und Sojasoße, gewichen. Das auf dem Bauch tätowierte Symbol kämpfender deutscher Soldaten sei durch die Figur Alf samt Bierflasche ersetzt worden, und der SS-Totenkopf am Arm sei mit einer Brille von Versace und einem Joint im Mund verdeckt worden.
Ein Heiliger wollte Philip Schlaffer nach seinem Ausstieg aus der rechten und kriminellen Szene nicht werden. Ein Lebensmotto wie „Carpe diem“entspreche auch heute nicht seinem Charakter. Vielmehr halte er es wie Harald Juhnke. „Meine Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen.” Authentisch zu sein und sich nicht verbiegen zu lassen, sei dem 44-Jährigen nach wie vor wichtig. „Ich wollte nur die großen Dinge loswerden“, sagt er und meint damit Gewalt und Fremdenfeindlichkeit.
Derzeit ist Schlaffer im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung auf Präventionsreise an Schulen und bei Veranstaltungen. In deren Zuge kommt er am 5. Oktober auch nach Aalen. Hier sei er noch nie gewesen. Idyllisch, schwäbisch und sparsam stellt er sich die Kreisstadt vor. Doch Idylle und Gutbürgerlichkeit schützten nicht vor Rechtsextremismus. Der Osten von Deutschland sei zwar als Hochburg von Neonazis bekannt, doch es sei eine Illusion zu glauben, dass Rechtsradikale nicht auch in Baden-Württemberg aktiv sind. Gerade in ländlichen Gegenden, in denen die Traditionen hochgehalten werden, würde rechtes Gedankengut auf fruchtbaren Boden fallen, sagt Schlaffer. Auch in Fußballvereinen seien rechte Strömungen und ein erstarkter Antisemitismus zu erkennen. Und angesichts von Landeserstaufnahmestellen (LEA) wie in Ellwangen sei klar, das nach wie vor Konflikte nicht ausblieben. Die Menschen hätten Angst vor Veränderung, Angst vor anderen Kulturen, Angst, dass die Flüchtlinge dem Staat mehr wert seien. Ausschreitungen wie erst vor wenigen Tagen in der LEA würden diese Angst befeuern.
Sorge bereitet Schlaffer auch die derzeitige Situation in Europa. Angesichts von Corona, dem UkraineKrieg
„Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient“, sagt Philip Schlaffer.
und der damit verbundenen Flüchtlingswelle und Energiekrise „erleben wir einen erstarkten Nationalismus“. Der 44-Jährige denkt nicht nur an Italien, sondern auch an Ungarn und Polen. „Viele Menschen in Europa sind enttäuscht von der derzeitigen Politik und haben Angst vor der Zukunft.“Die Lösung der Probleme sei allerdings nicht im Nationalsozialismus zu suchen, denn dieser habe für Probleme nur einfache und volksverhetzende Lösungen parat und schaffe Feindbilder, die für die Situation verantwortlich gemacht würden.
Die Welt verändern kann auch Schlaffer nicht. Er möchte allerdings seinen Teil dazu beitragen, dass junge Menschen nicht in den braunen Sumpf abrutschen, sondern die Demokratie und die damit verbundene Freiheit schützen und verhindern, dass Menschen, wie er einst einer war, an die Macht kommen.