Aalener Nachrichten

40 Millionen Euro für Missbrauch­sopfer

Kommission legt Jahresberi­cht vor – Betroffene warten weiter auf Gelder der Kirche

- Von Ludger Möllers ●

- Betroffene­n von sexuellem Missbrauch in der katholisch­en Kirche sind bisher mehr als 40 Millionen Euro als Anerkennun­gsleistung für erlittenes Leid zugesproch­en worden. Die von den katholisch­en Bischöfen eingericht­ete Unabhängig­e Kommission für Anerkennun­gsleistung­en (UKA) teilte am Freitag in Bonn weiter mit, dass im Durchschni­tt rund 22.150 Euro auf jeden Antrag entfielen. 2021 waren knapp 13 Millionen Euro bewilligt worden, 2022 waren es etwa 28 Millionen.

Klaus Nadler aus Weingarten ist eines der Missbrauch­sopfer. Der heute 74-Jährige war in den 50er- und 60er-Jahren in Freiburg missbrauch­t worden, erhielt 15.000 Euro Anerkennun­gsleistung und eine monatliche Rente von 350 Euro. „Die 40 Millionen Euro bezahlt die katholisch­e Kirche doch aus der Portokasse“, lautet seine spontane Reaktion, als er am Freitag die neuen Zahlen erfährt.

Das Erzbistum Freiburg mit seinen 1,7 Millionen Katholiken, aus dem Nadler stammt, sticht in dem Bericht der UKA besonders hervor: Über die Anträge von 130 Betroffene­n aus dem Südwesten hatte die Kommission zu entscheide­n und bewilligte in den Jahren 2021 und 2022 3,01 Millionen Euro. 71 Anträge wurden für das gleich große Bistum Rottenburg-Stuttgart gezählt, hier lag die Zahlungshö­he 2012 und 2022 insgesamt bei 1,48 Millionen Euro. Für das Bistum Augsburg mit 1,2 Millionen Katholiken wurden im gleichen Zeitraum 67 Anträge entschiede­n und insgesamt eine Summe von rund 1,5 Millionen Euro festgesetz­t.

Am Freitag erläutert die Vorsitzend­e der Kommission, Margarete Reske, dass die Zahl der Anträge und die Höhe der Summen keinen Rückschlus­s auf die Gesamtzahl der Missbrauch­sfälle zulasse. Einige Bistümer riefen stärker als andere Betroffene dazu auf, sich zu melden. Wenn im Erzbistum Freiburg das Missbrauch­sgutachten im Frühjahr vorgestell­t wird, dürften sich daher noch mehr Betroffene an die UKA wenden.

In der Pressekonf­erenz geht es um Geld, um unterschie­dliche Maßstäbe: Während beispielsw­eise Kläger in der Diözese Camden im US-Bundesstaa­t New Jersey mit durchschni­ttlich 290.000 US-Dollar rechnen können, sind die Leistungen in Deutschlan­d deutlich niedriger: durchschni­ttlich 22.000 Euro. Die Kommission orientiere sich bei ihren Entscheidu­ngen am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichb­aren Fällen zuerkannte­n Schmerzens­gelder, sagt Reske.

Und diese sind übersichtl­ich. Die Anerkennun­gsleistung­en liegen mehrheitli­ch zwischen 1000 und 50.000 Euro. 143-mal wurden seit 2021 auch Leistungen über 50.000 Euro festgesetz­t. In 18 Fällen wurden im vergangene­n Jahr Summen über 100.000 Euro ausgezahlt. Seit 2021 war das insgesamt 24 Mal der Fall. Etwa 80 Prozent waren Männer, wobei sich unter den besonderen Härtefälle­n, in denen mehr als 100.000 Euro zuerkannt wurden, oft Frauen befanden. Leistungen über 50.000 Euro können nur mit Zustimmung der kirchliche­n Institutio­nen ausgezahlt werden, sagt Reske. Schwierigk­eiten mit der Kirche gebe es nicht. Dafür aber klagen viele Betroffene wie Klaus Nadler über quälend lange Wartezeite­n auf Entscheidu­ngen aus Bonn: „Nach einem Zeitungsbe­richt in der „Schwäbisch­en Zeitung“ist im August 2022 ein neues Gutachten erstellt worden“, sagt Nadler, „aber immer noch ist meine Beschwerde nicht bearbeitet worden.“In einem Schreiben von Mitte Dezember, das der Schwäbisch­en Zeitung vorliegt, heißt es: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch nicht möglich, Ihnen ein konkretes Datum zu benennen, an dem Ihr Antrag bearbeitet sein wird.“Dass besonders für ältere Betroffene die Wartezeit auf Entscheidu­ngen zum Problem wird, ist der Kommission bewusst. Denn die Mehrheit der Taten sei in den 1960er- und 70er-Jahren erfolgt, in der Mehrheit der Fälle habe Missbrauch über mehrere Jahre stattgefun­den. Die Kinder seien bei der ersten Tat meist zwischen 10 und 12 Jahre alt gewesen. Mithin sind die meisten der Betroffene­n heute zwischen 60 und 80 Jahre alt, viele sind traumatisi­ert und leben in prekären Verhältnis­sen. Um schneller entscheide­n zu können, sei die Zahl der Mitarbeite­r erhöht worden, sagt die Vorsitzend­e: „Zum Stichtag 31. Dezember 2022 sind von 2112 eingegange­nen Anträgen 1839 entschiede­n oder auf andere Art abgeschlos­sen worden.“Doch Nadlers Antrag ist nicht unter diesen 87 Prozent.

Die derzeit noch offenen Anträge könnten in diesem Jahr abgearbeit­et werden, erklärt Reske. Ob damit die Arbeit der UKA beendet sei, könne sie nicht sagen: Die Möglichkei­t des Widerspruc­hs gegen die Anerkennun­gsentschei­dung bestehe. Und es gibt Betroffene wie Klaus Nadler, die mit zusätzlich­en Informatio­nen eine neue Entscheidu­ng beantragen können. Die Zahlen bei dieser Antragsart würden wohl weiter zunehmen, heißt es aus Bonn, während Nadler in Weingarten weiter wartet: „Alles andere als eine positive Entscheidu­ng wäre eine Beleidigun­g.“

„Die 40 Millionen Euro bezahlt die katholisch­e Kirche doch aus der Portokasse.“

Klaus Nadler aus Weingarten ist eines der Missbrauch­sopfer.

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