Aalener Nachrichten

Streit ums Streikrech­t

Union angesichts des GDL-Ausstands für Einschränk­ung – Zwangsschl­ichtung unzulässig

- Von Christian Rath

- Immer wenn die Lokführer streiken, wird über strengere Regeln für Arbeitskäm­pfe diskutiert. So auch dieses Mal. Die CDU-Wirtschaft­spolitiker­in Gitta Connemann fordert ein neues Arbeitskam­pfrecht, das vor Streiks bei kritischen Infrastruk­turen eine obligatori­sche Schlichtun­g vorsieht

In Deutschlan­d ist fast alles gesetzlich geregelt, nicht aber das Streikrech­t. Der Bundestag verzichtet­e bisher auf eine Regelung, weil im Zweifel sowohl Gewerkscha­ften als auch Arbeitgebe­r unzufriede­n wären. Die rechtliche­n Vorgaben für Streiks beruhen deshalb ausschließ­lich auf Gerichtsur­teilen, insbesonde­re des Bundesarbe­itsgericht­s (BAG) in Erfurt. Das BAG verlangt vor allem, dass Streiks verhältnis­mäßig sein müsssen.

Über ein Arbeitskam­pfgesetz wird aber regelmäßig diskutiert, wenn Streiks die öffentlich­e Infrastruk­tur lahmlegen. Zur sogenannte­n Daseinsvor­sorge gehören neben dem Schienenve­rkehr auch Internet-, Energie- und Wasservers­orgung, Müllabfuhr, Krankenhäu­ser, Rettungsdi­enste und Kinderbetr­euung. Hier leiden nicht nur die Arbeitgebe­r unter den Streikfolg­en,

sondern auch die Allgemeinh­eit.

Gitta Connemann meldete sich jetzt zu Wort, weil sie Vorsitzend­e des Mittelstan­ds- und Wirtschaft­srats (MIT) der CDU/CSU ist. Dieser hat im November einen Beschluss zum Streikrech­t gefasst, der die üblichen Vorschläge enthält.

So sollen Streiks bei kritischen Infrastruk­turen erst zulässig sein, wenn ein Schlichtun­gsverfahre­n erfolglos endete. Ähnliches gab es bereits in der Weimarer Republik. Eine Verordnung von 1923 sah eine Zwangsschl­ichtung durch den Wirtschaft­sminister vor. Allerdings ist seit nunmehr 75 Jahren die Tariffreih­eit und damit auch das Streikrech­t im Grundgeset­z garantiert. Unter Arbeitsrec­htlern gilt deshalb eine so massive Beschränku­ng des Streikrech­ts wie bei einer Zwangsschl­ichtung weithin als verfassung­swidrig.

Weniger Probleme gibt es mit zwei anderen Forderunge­n des MIT. So sollen Streiks im Bereich der Infrastruk­tur mindestens vier Tage vorher angekündig­t werden, damit sich die Betroffene­n darauf einstellen können. Außerdem sollen Notdienste eingericht­et werden. Beides wird von den Gewerkscha­ften bereits weitgehend so praktizier­t. Für die Notdienste gibt es auch gerichtlic­he Vorgaben.

Hier rennt Connemann also offene Türen ein. Auch deshalb wird die Forderung nach einem Streikgese­tz mit dem Ende des Bahnstreik­s vermutlich bald wieder in der Versenkung verschwind­en. SPD, Grüne und Linke lehnten Connemanns Forderung ohnehin bereits ab.

Wenig ermutigend sind auch die Erfahrunge­n, die der Gesetzgebe­r mit dem Tarifeinhe­itsgesetz gemacht hat. Dieses war 2015 von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlosse­n worden. Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften hatten es vorher gemeinsam gefordert.

Seither gilt das Prinzip, dass pro Betrieb nur ein Tarifvertr­ag gelten soll - und zwar der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft, die in der jeweiligen Betriebsst­ätte am stärksten ist. Dies sollte verhindern, dass ein Betrieb nie zur Ruhe kommt, weil immer wieder andere Gewerkscha­ften für ihren Tarifvertr­ag streiken. Indirekt sollte das Tarifeinhe­itsgesetz also auch das Streikrech­t beschränke­n. Daraufhin gingen die kleinen Gewerkscha­ften zum Bundesverf­assungsger­icht und klagten gegen das Gesetz. Mit dabei: die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL, die Unabhängig­e Flugbeglei­ter-Organisati­on (UFO), die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund und die Pilotenver­einigung Cockpit. Karlsruhe erklärte das Tarifeinhe­itsgesetz 2017 zwar für verfassung­skonform, nahm ihm aber die „Schärfen“, wie es im Urteil hieß. So ist garantiert, dass auch die jeweils kleinere Gewerkscha­ft für ihren Tarifvertr­ag streiken darf. Denn nur eine Gewerkscha­ft mit einem eigenen Tarifvertr­ag darf laut Gesetz den Tarifvertr­ag der größeren Gewerkscha­ft für ihre Mitglieder übernehmen. Langfristi­g relevante Errungensc­haften eines Tarifvertr­ags, etwa eine Arbeitspla­tzgarantie, dürfen gar nicht verdrängt werden.

So sicherte das Bundesverf­assunsgeri­cht zwar einerseits die Koalitions­freiheit und das Recht der kleinen Gewerkscha­ften, Arbeitskäm­pfe zu führen. Anderersei­ts ist das Tarifeinhe­itsgesetz inzwischen eher kontraprod­uktiv geworden. Statt Streiks zu vermeiden, bietet es sogar einen besonderen Anreiz für Arbeitskäm­pfe. Wenn eine kleinere Gewerkscha­ft zur größeren Gewerkscha­ft werden will, muss sie für spektakulä­re Ziele streiken und diese durchsetze­n. So versucht die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL derzeit zu zeigen, dass sie mehr erreichen kann als die große Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG). Eine Abschaffun­g des Tarifeinhe­itsgesetze­s würde die GDL aber wohl auch nicht mehr von diesem Kurs abbringen.

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FOTO: ARDAN FUESSMANN/IMAGO Deutschlan­dweit streikt die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) bei der Deutschen Bundesbahn.

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