Streit ums Streikrecht
Union angesichts des GDL-Ausstands für Einschränkung – Zwangsschlichtung unzulässig
- Immer wenn die Lokführer streiken, wird über strengere Regeln für Arbeitskämpfe diskutiert. So auch dieses Mal. Die CDU-Wirtschaftspolitikerin Gitta Connemann fordert ein neues Arbeitskampfrecht, das vor Streiks bei kritischen Infrastrukturen eine obligatorische Schlichtung vorsieht
In Deutschland ist fast alles gesetzlich geregelt, nicht aber das Streikrecht. Der Bundestag verzichtete bisher auf eine Regelung, weil im Zweifel sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber unzufrieden wären. Die rechtlichen Vorgaben für Streiks beruhen deshalb ausschließlich auf Gerichtsurteilen, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt. Das BAG verlangt vor allem, dass Streiks verhältnismäßig sein müsssen.
Über ein Arbeitskampfgesetz wird aber regelmäßig diskutiert, wenn Streiks die öffentliche Infrastruktur lahmlegen. Zur sogenannten Daseinsvorsorge gehören neben dem Schienenverkehr auch Internet-, Energie- und Wasserversorgung, Müllabfuhr, Krankenhäuser, Rettungsdienste und Kinderbetreuung. Hier leiden nicht nur die Arbeitgeber unter den Streikfolgen,
sondern auch die Allgemeinheit.
Gitta Connemann meldete sich jetzt zu Wort, weil sie Vorsitzende des Mittelstands- und Wirtschaftsrats (MIT) der CDU/CSU ist. Dieser hat im November einen Beschluss zum Streikrecht gefasst, der die üblichen Vorschläge enthält.
So sollen Streiks bei kritischen Infrastrukturen erst zulässig sein, wenn ein Schlichtungsverfahren erfolglos endete. Ähnliches gab es bereits in der Weimarer Republik. Eine Verordnung von 1923 sah eine Zwangsschlichtung durch den Wirtschaftsminister vor. Allerdings ist seit nunmehr 75 Jahren die Tariffreiheit und damit auch das Streikrecht im Grundgesetz garantiert. Unter Arbeitsrechtlern gilt deshalb eine so massive Beschränkung des Streikrechts wie bei einer Zwangsschlichtung weithin als verfassungswidrig.
Weniger Probleme gibt es mit zwei anderen Forderungen des MIT. So sollen Streiks im Bereich der Infrastruktur mindestens vier Tage vorher angekündigt werden, damit sich die Betroffenen darauf einstellen können. Außerdem sollen Notdienste eingerichtet werden. Beides wird von den Gewerkschaften bereits weitgehend so praktiziert. Für die Notdienste gibt es auch gerichtliche Vorgaben.
Hier rennt Connemann also offene Türen ein. Auch deshalb wird die Forderung nach einem Streikgesetz mit dem Ende des Bahnstreiks vermutlich bald wieder in der Versenkung verschwinden. SPD, Grüne und Linke lehnten Connemanns Forderung ohnehin bereits ab.
Wenig ermutigend sind auch die Erfahrungen, die der Gesetzgeber mit dem Tarifeinheitsgesetz gemacht hat. Dieses war 2015 von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen worden. Arbeitgeber und Gewerkschaften hatten es vorher gemeinsam gefordert.
Seither gilt das Prinzip, dass pro Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten soll - und zwar der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die in der jeweiligen Betriebsstätte am stärksten ist. Dies sollte verhindern, dass ein Betrieb nie zur Ruhe kommt, weil immer wieder andere Gewerkschaften für ihren Tarifvertrag streiken. Indirekt sollte das Tarifeinheitsgesetz also auch das Streikrecht beschränken. Daraufhin gingen die kleinen Gewerkschaften zum Bundesverfassungsgericht und klagten gegen das Gesetz. Mit dabei: die Lokführergewerkschaft GDL, die Unabhängige Flugbegleiter-Organisation (UFO), die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Pilotenvereinigung Cockpit. Karlsruhe erklärte das Tarifeinheitsgesetz 2017 zwar für verfassungskonform, nahm ihm aber die „Schärfen“, wie es im Urteil hieß. So ist garantiert, dass auch die jeweils kleinere Gewerkschaft für ihren Tarifvertrag streiken darf. Denn nur eine Gewerkschaft mit einem eigenen Tarifvertrag darf laut Gesetz den Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft für ihre Mitglieder übernehmen. Langfristig relevante Errungenschaften eines Tarifvertrags, etwa eine Arbeitsplatzgarantie, dürfen gar nicht verdrängt werden.
So sicherte das Bundesverfassunsgericht zwar einerseits die Koalitionsfreiheit und das Recht der kleinen Gewerkschaften, Arbeitskämpfe zu führen. Andererseits ist das Tarifeinheitsgesetz inzwischen eher kontraproduktiv geworden. Statt Streiks zu vermeiden, bietet es sogar einen besonderen Anreiz für Arbeitskämpfe. Wenn eine kleinere Gewerkschaft zur größeren Gewerkschaft werden will, muss sie für spektakuläre Ziele streiken und diese durchsetzen. So versucht die Lokführergewerkschaft GDL derzeit zu zeigen, dass sie mehr erreichen kann als die große Eisenbahnund Verkehrsgewerkschaft (EVG). Eine Abschaffung des Tarifeinheitsgesetzes würde die GDL aber wohl auch nicht mehr von diesem Kurs abbringen.