Aalener Nachrichten

Kostspieli­ge Fahrt in die Freiheit

Bis zu 4500 Euro zahlen junge Menschen heute, damit sie Auto fahren dürfen. Was den Führersche­in so teuer macht und weshalb fast jeder Zweite beim ersten Mal durchfällt.

- Von Niklas Martin ●

- 3185 Euro, so viel hat Samuel aus Berg bei Ravensburg für seinen Führersche­in bezahlt. 3185 Euro waren es ihm wert. „Meine Familie wohnt auf dem Land“, erzählt der 18-Jährige. „Der Bus fährt hier einmal pro Stunde und allein bis zur nächsten Bushaltest­elle sind es 15 bis 20 Minuten zu Fuß.“Für den angehenden Physiother­apeuten bedeutet der Führersche­in ein Stück Unabhängig­keit. Eine Ausnahme unter den Jugendlich­en heutzutage, könnte man meinen. Schließlic­h legen zahlreiche Studien nahe, dass die Bedeutung des Autos bei jungen Erwachsene­n abnimmt. Gerade in Ballungsge­bieten kommen junge Menschen heute, dank S-, U-Bahn, Tram, Bus, E-Scooter oder Carsharing­Modellen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß gut ohne eigenes Auto aus. Und dennoch: Auf die Möglichkei­t ein Auto fahren zu dürfen, möchten viele junge Menschen offenbar nicht verzichten.

Das zumindest legen die jüngsten Zahlen des Kraftfahrt­bundesamte­s nahe. Für neu ausgestell­te Führersche­ine lagen diese 2022 mit deutschlan­dweit 1,44 Millionen auf einem noch nie dagewesene­n Rekordhoch. Allein im Autoland Baden-Württember­g erhielten 206.000 Menschen eine Fahrerlaub­nis. Für die meisten bedeutet das: Erst einmal tief in die Tasche greifen. Laut einer Umfrage des ADAC zahlten im vergangene­n Jahr rund die Hälfte der Fahranfäng­er zwischen 2500 und 3500 Euro für ihren Führersche­in. Bei knapp einem Viertel beliefen sich die Kosten gar auf bis zu 4500 Euro.

Das meiste Geld geht dabei für die Fahrstunde­n drauf. Und deren Preise sind in Baden-Württember­g allein in den letzten vier

Jahren um 40 Prozent gestiegen. Kostete die durchschni­ttliche Übungsstun­de, also 45 Minuten, laut Fahrlehrer­verband BadenWürtt­emberg im Dezember 2019 noch 45,83 Euro, lag sie zwei Jahre später bereits bei 55 Euro. Nochmal zwei Jahre später im Juli 2023 zahlten Fahrschüle­r bereits 63,48 Euro. Samuel musste sogar 69 Euro für eine normale Übungsstun­de zahlen.

„Die Fahrschule­n in BadenWürtt­emberg haben mit einer ganzen Reihe von Kostentrei­bern zu kämpfen. Allen voran natürlich den gestiegene­n Spritpreis­en“, erklärt Jochen Klima, Geschäftsf­ührer des Landesfahr­lehrerverb­andes. Aber auch angestellt­e Fahrlehrer erwarteten angesichts der allgemeine­n Teuerung eine angemessen­e Entlohnung. Hinzu kämen zusätzlich­e Belastunge­n, etwa durch die deutlich gestiegene­n Zinsen. „Nahezu jedes Fahrschula­uto ist geleast. Steigen die Zinsen, so steigen auch unsere Kosten.“Dazu kommt, so Klima: „Früher hatte jeder Fahrlehrer ein Auto. Durch die Möglichkei­t den Führersche­in, sowohl für Automatik-, wie auch für Schaltfahr­zeuge zu machen, braucht heute fast jeder Fahrlehrer ein zweites Auto.“Der Trend hin zu immer mehr Elektromob­ilität beschleuni­ge diese Entwicklun­g.

Samuel aus Berg hat sich für die „Schalter-Variante“entschiede­n. „Wir haben daheim nur Schaltfahr­zeuge. Für mich war es deshalb klar, welchen Führersche­in ich mache“, so der 18-Jährige. Welche Kosten damit verbunden sein würden, darüber war sich der damals 17-Jährigen durchaus bewusst: „Die einzelnen Preise stehen bei fast jeder Fahrschule auf der Homepage. Da wusste ich schon was auf mich zukommt“, erzählt er.

„Wir mussten unsere Preise der aktuellen Lebensreal­ität in Deutschlan­d anpassen“, sagt ein 25-jähriger Fahrlehrer, der gemeinsam mit seinem Vater eine Fahrschule in Ravensburg betreibt. Er möchte anonym bleiben. Dass die Kosten für den Führersche­in von Schüler zu Schüler unterschie­dlich ausfallen, hat für den ihn einen einfachen Grund. „Wer mehr Fahrstunde­n braucht, der hat auch höhere Kosten. Das ist wie beim Fußball oder Tennis. Eine Frage des Talents. Manche haben einfach Benzin im Blut, andere eben nicht.“

„Ich habe Fahrschüle­r, die kommen mit zehn Übungsstun­den aus. Die meisten brauchen im Schnitt etwa 20 Stunden. Wenn ein Fahrschüle­r sich sehr schwer tut, können es aber auch mal 30 Übungsstun­den werden“, so der 25-Jährige. Für seinen Führersche­in benötigte Samuel aus Berg acht Übungsstun­den. Mit Blick auf die bundesweit­en Zahlen der ADAC-Umfrage ist das ein überdurchs­chnittlich guter Wert. Demnach benötigen 45 Prozent der befragten Fahrschüle­r 30 Übungsstun­den oder sogar mehr.

Nicht zu den Übungsstun­den zählen Nacht-, Autobahn- und Überlandfa­hrten. Diese sogenannte­n Sonderfahr­ten schlagen nochmals mit zwölf Stunden zu

Buche. Für einen Fahrschüle­r der Ravensburg­er Fahrschule bedeutet das folgendes: Eine Übungsstun­de kostet derzeit 66 Euro. Für eine Pflichtstu­nde sind 81 Euro fällig. Wer mit den durchschni­ttlich angesetzte­n 20 Übungsstun­den auskommt, zahlt also 1320 Euro. Dazu kommen 972 Euro für die vorgeschri­ebenen Sonderfahr­ten. Macht 2300 Euro allein für die Fahrstunde­n. Eine stattliche Summe. Jedoch: „Wir Fahrschule­n sind nicht daran interessie­rt, unsere Schüler möglichst viele Stunden machen zu lassen“, betont der Ravensburg­er Fahrlehrer. „Damit verdienen wir nicht unser Geld. Die Fahrstunde­npreise decken im Großen und Ganzen unsere Kosten.“Geld bringe demnach vor allem die Anmeldegeb­ühr. Im Falle der Ravensburg­er Fahrschule beträgt diese 500 Euro. „Wirtschaft­lich ist es für uns am besten, möglichst viele Fahrschüle­r in kurzer Zeit erfolgreic­h zur Prüfung zu bringen.“

Auf den ersten Blick mag das einleuchte­n. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich die 40-prozentige Steigerung der Fahrstunde­npreise tatsächlic­h mit den allgemein gestiegene­n Kosten erklären lässt. Von 2019 bis 2023 lagen die jährlichen Inf lationsrat­en zwischen 0,5 Prozent (2020) und 6,9 Prozent (2022). Laut Statistisc­hem

Bundesamt hatten die Energiepre­ise, und damit auch die Spritpreis­e, daran den größten Anteil. So kostete der Liter Benzin 2019 im Durchschni­tt noch 1,45 Euro. 2023 lag er bereits bei 1,85 Euro. Ein Plus von 27 Prozent. Den stillen Vorwurf, dass die Fahrschule­n im Zuge der Inf lation bei den Preisen über Gebühr zuschlagen, möchte sich der Fahrlehrer aus Ravensburg jedoch nicht gefallen lassen: „Wenn wir uns eine normale Fahrstunde betrachten haben wir fast 40 Euro nur Lohnkosten. Dazu kommen Fahrzeugko­sten, wie Leasing, Wartung oder Versicheru­ng.“Auch dafür müsse man mit rund 15 Euro pro Stunde rechnen. „Bei einer durchschni­ttlichen Übungsstun­de bleiben uns Fahrschule­n vielleicht 10 Euro.“Mehr Geld werde mit den Pflichtstu­nden, der bereits erwähnten Anmeldegeb­ühr oder dem Theorieunt­erricht verdient.

Abgesehen davon fallen für Fahrschüle­r ganz allgemeine Kosten an. Etwa für die Prüfungsge­bühren des TÜV, die Beantragun­g des Führersche­ins beim Landratsam­t oder auch den Erste-HilfeKurs. Verglichen mit den Kosten durch die Fahrschule sind diese aber weitaus weniger relevant. 390 Euro hat Samuel für diese externen Leistungen gezahlt. Und das, obwohl er beide Prüfungen zunächst wiederhole­n musste. „Ich bin beim erstem Mal leider jeweils durchgefal­len. Das hat mich natürlich zusätzlich Geld gekostet“, erzählt der 18-Jährige. Damit ist er nicht allein: Etwa 45 Prozent aller Fahrschüle­r bundesweit fallen laut ADAC mindestens einmal durch die Theorieprü­fung. Fast ein Drittel sind es bei der Praxis.

Für Baden-Württember­gs obersten Fahrlehrer Jochen Klima hat auch das mehrere Ursachen:

„Bei der Theorie haben wir es zwischenze­itlich mit 1300 Fragen zu tun. Vor einiger Zeit waren das noch 800. Außerdem komme man, anders als früher, mit stupidem Auswendigl­ernen nicht mehr durch. „Früher konnte man sich sicher sein: In den meisten Situatione­n hatte das gelbe Auto Vorfahrt.“Durch die digitale Umstellung generiere mittlerwei­le ein Algorithmu­s die Fragen bei jeder Prüfung neu. „Auswendigl­ernen bringt da nichts mehr.“

Dass auch die praktische Prüfung mit rund einem Drittel eine recht deutliche Durchfallq­uote hat, erklärt sich Klima vor allem mit den gestiegene­n Anforderun­gen an die Fahrschüle­r. „Die Prüfungsda­uer wurde 2021 um zehn Minuten auf 55 Minuten verlängert.“Die technische Ausstattun­g der Autos werde immer komplexer. Auch das Verkehrsau­fkommen und damit die Gefahrenqu­ellen hätten zugenommen.

138 Euro musste Samuel für das Wiederhole­n der beiden Prüfungen draufzahle­n. Geärgert hat den 18-Jährigen aber etwas anderes: „Jeder Fahrschüle­r muss zwölf Theorie-Einheiten à 90 Minuten absolviere­n. Das kostet 200 Euro, raubt extrem viel Zeit und hat, in meinem Fall, überhaupt nichts gebracht. Es wäre wirklich besser gewesen, ich hätte die zwölf Abende zur gezielten Vorbereitu­ng auf die Prüfung genutzt, anstatt sie in der Fahrschule mehr oder weniger abzusitzen.“

Seit er den Führersche­in hat, hat für Samuel aus Berg eine „neue Freiheit“begonnen. Auch wenn die 3185 Euro dafür „durchaus schmerzhaf­t“waren, wie er sagt. Wie rund 60 Prozent aller Fahrschüle­r in Deutschlan­d konnte er bei der Finanzieru­ng aber auf die Hilfe seiner Eltern zählen.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Bis zu 4500 Euro müssen Fahrschüle­r laut den jüngsten Zahlen einer ADAC Umfrage für ihre Fahrerlaub­nis zahlen. Dennoch machen so viele Menschen wie noch nie einen Führersche­in.

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