Kostspielige Fahrt in die Freiheit
Bis zu 4500 Euro zahlen junge Menschen heute, damit sie Auto fahren dürfen. Was den Führerschein so teuer macht und weshalb fast jeder Zweite beim ersten Mal durchfällt.
- 3185 Euro, so viel hat Samuel aus Berg bei Ravensburg für seinen Führerschein bezahlt. 3185 Euro waren es ihm wert. „Meine Familie wohnt auf dem Land“, erzählt der 18-Jährige. „Der Bus fährt hier einmal pro Stunde und allein bis zur nächsten Bushaltestelle sind es 15 bis 20 Minuten zu Fuß.“Für den angehenden Physiotherapeuten bedeutet der Führerschein ein Stück Unabhängigkeit. Eine Ausnahme unter den Jugendlichen heutzutage, könnte man meinen. Schließlich legen zahlreiche Studien nahe, dass die Bedeutung des Autos bei jungen Erwachsenen abnimmt. Gerade in Ballungsgebieten kommen junge Menschen heute, dank S-, U-Bahn, Tram, Bus, E-Scooter oder CarsharingModellen, mit dem Fahrrad oder zu Fuß gut ohne eigenes Auto aus. Und dennoch: Auf die Möglichkeit ein Auto fahren zu dürfen, möchten viele junge Menschen offenbar nicht verzichten.
Das zumindest legen die jüngsten Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes nahe. Für neu ausgestellte Führerscheine lagen diese 2022 mit deutschlandweit 1,44 Millionen auf einem noch nie dagewesenen Rekordhoch. Allein im Autoland Baden-Württemberg erhielten 206.000 Menschen eine Fahrerlaubnis. Für die meisten bedeutet das: Erst einmal tief in die Tasche greifen. Laut einer Umfrage des ADAC zahlten im vergangenen Jahr rund die Hälfte der Fahranfänger zwischen 2500 und 3500 Euro für ihren Führerschein. Bei knapp einem Viertel beliefen sich die Kosten gar auf bis zu 4500 Euro.
Das meiste Geld geht dabei für die Fahrstunden drauf. Und deren Preise sind in Baden-Württemberg allein in den letzten vier
Jahren um 40 Prozent gestiegen. Kostete die durchschnittliche Übungsstunde, also 45 Minuten, laut Fahrlehrerverband BadenWürttemberg im Dezember 2019 noch 45,83 Euro, lag sie zwei Jahre später bereits bei 55 Euro. Nochmal zwei Jahre später im Juli 2023 zahlten Fahrschüler bereits 63,48 Euro. Samuel musste sogar 69 Euro für eine normale Übungsstunde zahlen.
„Die Fahrschulen in BadenWürttemberg haben mit einer ganzen Reihe von Kostentreibern zu kämpfen. Allen voran natürlich den gestiegenen Spritpreisen“, erklärt Jochen Klima, Geschäftsführer des Landesfahrlehrerverbandes. Aber auch angestellte Fahrlehrer erwarteten angesichts der allgemeinen Teuerung eine angemessene Entlohnung. Hinzu kämen zusätzliche Belastungen, etwa durch die deutlich gestiegenen Zinsen. „Nahezu jedes Fahrschulauto ist geleast. Steigen die Zinsen, so steigen auch unsere Kosten.“Dazu kommt, so Klima: „Früher hatte jeder Fahrlehrer ein Auto. Durch die Möglichkeit den Führerschein, sowohl für Automatik-, wie auch für Schaltfahrzeuge zu machen, braucht heute fast jeder Fahrlehrer ein zweites Auto.“Der Trend hin zu immer mehr Elektromobilität beschleunige diese Entwicklung.
Samuel aus Berg hat sich für die „Schalter-Variante“entschieden. „Wir haben daheim nur Schaltfahrzeuge. Für mich war es deshalb klar, welchen Führerschein ich mache“, so der 18-Jährige. Welche Kosten damit verbunden sein würden, darüber war sich der damals 17-Jährigen durchaus bewusst: „Die einzelnen Preise stehen bei fast jeder Fahrschule auf der Homepage. Da wusste ich schon was auf mich zukommt“, erzählt er.
„Wir mussten unsere Preise der aktuellen Lebensrealität in Deutschland anpassen“, sagt ein 25-jähriger Fahrlehrer, der gemeinsam mit seinem Vater eine Fahrschule in Ravensburg betreibt. Er möchte anonym bleiben. Dass die Kosten für den Führerschein von Schüler zu Schüler unterschiedlich ausfallen, hat für den ihn einen einfachen Grund. „Wer mehr Fahrstunden braucht, der hat auch höhere Kosten. Das ist wie beim Fußball oder Tennis. Eine Frage des Talents. Manche haben einfach Benzin im Blut, andere eben nicht.“
„Ich habe Fahrschüler, die kommen mit zehn Übungsstunden aus. Die meisten brauchen im Schnitt etwa 20 Stunden. Wenn ein Fahrschüler sich sehr schwer tut, können es aber auch mal 30 Übungsstunden werden“, so der 25-Jährige. Für seinen Führerschein benötigte Samuel aus Berg acht Übungsstunden. Mit Blick auf die bundesweiten Zahlen der ADAC-Umfrage ist das ein überdurchschnittlich guter Wert. Demnach benötigen 45 Prozent der befragten Fahrschüler 30 Übungsstunden oder sogar mehr.
Nicht zu den Übungsstunden zählen Nacht-, Autobahn- und Überlandfahrten. Diese sogenannten Sonderfahrten schlagen nochmals mit zwölf Stunden zu
Buche. Für einen Fahrschüler der Ravensburger Fahrschule bedeutet das folgendes: Eine Übungsstunde kostet derzeit 66 Euro. Für eine Pflichtstunde sind 81 Euro fällig. Wer mit den durchschnittlich angesetzten 20 Übungsstunden auskommt, zahlt also 1320 Euro. Dazu kommen 972 Euro für die vorgeschriebenen Sonderfahrten. Macht 2300 Euro allein für die Fahrstunden. Eine stattliche Summe. Jedoch: „Wir Fahrschulen sind nicht daran interessiert, unsere Schüler möglichst viele Stunden machen zu lassen“, betont der Ravensburger Fahrlehrer. „Damit verdienen wir nicht unser Geld. Die Fahrstundenpreise decken im Großen und Ganzen unsere Kosten.“Geld bringe demnach vor allem die Anmeldegebühr. Im Falle der Ravensburger Fahrschule beträgt diese 500 Euro. „Wirtschaftlich ist es für uns am besten, möglichst viele Fahrschüler in kurzer Zeit erfolgreich zur Prüfung zu bringen.“
Auf den ersten Blick mag das einleuchten. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich die 40-prozentige Steigerung der Fahrstundenpreise tatsächlich mit den allgemein gestiegenen Kosten erklären lässt. Von 2019 bis 2023 lagen die jährlichen Inf lationsraten zwischen 0,5 Prozent (2020) und 6,9 Prozent (2022). Laut Statistischem
Bundesamt hatten die Energiepreise, und damit auch die Spritpreise, daran den größten Anteil. So kostete der Liter Benzin 2019 im Durchschnitt noch 1,45 Euro. 2023 lag er bereits bei 1,85 Euro. Ein Plus von 27 Prozent. Den stillen Vorwurf, dass die Fahrschulen im Zuge der Inf lation bei den Preisen über Gebühr zuschlagen, möchte sich der Fahrlehrer aus Ravensburg jedoch nicht gefallen lassen: „Wenn wir uns eine normale Fahrstunde betrachten haben wir fast 40 Euro nur Lohnkosten. Dazu kommen Fahrzeugkosten, wie Leasing, Wartung oder Versicherung.“Auch dafür müsse man mit rund 15 Euro pro Stunde rechnen. „Bei einer durchschnittlichen Übungsstunde bleiben uns Fahrschulen vielleicht 10 Euro.“Mehr Geld werde mit den Pflichtstunden, der bereits erwähnten Anmeldegebühr oder dem Theorieunterricht verdient.
Abgesehen davon fallen für Fahrschüler ganz allgemeine Kosten an. Etwa für die Prüfungsgebühren des TÜV, die Beantragung des Führerscheins beim Landratsamt oder auch den Erste-HilfeKurs. Verglichen mit den Kosten durch die Fahrschule sind diese aber weitaus weniger relevant. 390 Euro hat Samuel für diese externen Leistungen gezahlt. Und das, obwohl er beide Prüfungen zunächst wiederholen musste. „Ich bin beim erstem Mal leider jeweils durchgefallen. Das hat mich natürlich zusätzlich Geld gekostet“, erzählt der 18-Jährige. Damit ist er nicht allein: Etwa 45 Prozent aller Fahrschüler bundesweit fallen laut ADAC mindestens einmal durch die Theorieprüfung. Fast ein Drittel sind es bei der Praxis.
Für Baden-Württembergs obersten Fahrlehrer Jochen Klima hat auch das mehrere Ursachen:
„Bei der Theorie haben wir es zwischenzeitlich mit 1300 Fragen zu tun. Vor einiger Zeit waren das noch 800. Außerdem komme man, anders als früher, mit stupidem Auswendiglernen nicht mehr durch. „Früher konnte man sich sicher sein: In den meisten Situationen hatte das gelbe Auto Vorfahrt.“Durch die digitale Umstellung generiere mittlerweile ein Algorithmus die Fragen bei jeder Prüfung neu. „Auswendiglernen bringt da nichts mehr.“
Dass auch die praktische Prüfung mit rund einem Drittel eine recht deutliche Durchfallquote hat, erklärt sich Klima vor allem mit den gestiegenen Anforderungen an die Fahrschüler. „Die Prüfungsdauer wurde 2021 um zehn Minuten auf 55 Minuten verlängert.“Die technische Ausstattung der Autos werde immer komplexer. Auch das Verkehrsaufkommen und damit die Gefahrenquellen hätten zugenommen.
138 Euro musste Samuel für das Wiederholen der beiden Prüfungen draufzahlen. Geärgert hat den 18-Jährigen aber etwas anderes: „Jeder Fahrschüler muss zwölf Theorie-Einheiten à 90 Minuten absolvieren. Das kostet 200 Euro, raubt extrem viel Zeit und hat, in meinem Fall, überhaupt nichts gebracht. Es wäre wirklich besser gewesen, ich hätte die zwölf Abende zur gezielten Vorbereitung auf die Prüfung genutzt, anstatt sie in der Fahrschule mehr oder weniger abzusitzen.“
Seit er den Führerschein hat, hat für Samuel aus Berg eine „neue Freiheit“begonnen. Auch wenn die 3185 Euro dafür „durchaus schmerzhaft“waren, wie er sagt. Wie rund 60 Prozent aller Fahrschüler in Deutschland konnte er bei der Finanzierung aber auf die Hilfe seiner Eltern zählen.