Aalener Nachrichten

Debatte um Schutz des Bundesverf­assungsger­ichts

SPD, Grüne und FDP wollen Unabhängig­keit besser absichern – CDU-Politiker Frei warnt vor Schnellsch­üssen

- Von Anne-Béatrice Clasmann, Jörg Blank und Marco Krefting

(dpa) - Das Wort Bundesverf­assungsger­icht steht 27-mal im Grundgeset­z. Nur: Details etwa zur Anzahl der Richter, zur nötigen Zweidritte­lmehrheit für ihre Wahl, zum Ausschluss der Wiederwahl und dazu, dass sich das Gericht selbst eine Geschäftso­rdnung gibt, stehen eben nicht im Grundgeset­z – sondern in einem separaten Gesetz: dem Gesetz über das Bundesverf­assungsger­icht. Und deshalb wird derzeit über Rechtsände­rungen diskutiert.

Der Bundestag kann solche Gesetze mit einfacher Mehrheit beschließe­n beziehungs­weise ändern. Für Änderungen des Grundgeset­zes hingegen müssen zwei Drittel der Stimmen zusammenko­mmen. Wenn also jetzt erwogen wird, die bestehende­n Regelungen auch ins Grundgeset­z zu schreiben, geht es vor allem darum, sie „änderungsf­ester“zu machen, wie der Bielefelde­r Verfassung­srechtler Christoph Gusy es formuliert.

Unter der Überschrif­t „Mehr Widerstand­skraft“hatten die ehemaligen Verfassung­srichter Gabriele Britz und Michael Eichberger vor ein paar Wochen Änderungen gefordert: Dem einfachen Zugriff des Gesetzgebe­rs sollten jene Strukturen des höchsten deutschen Gerichts entzogen werden, die für dessen Funktionsf­ähigkeit, Unabhängig­keit und zur Verhinderu­ng einseitige­r Besetzung wesentlich sind. „Das entspricht seiner Stellung als Verfassung­sorgan und stärkt seine Widerstand­sfähigkeit gegen unwägbare politische Entwicklun­gen.“In den vergangene­n Tagen nahm die Debatte Fahrt auf.

Vertreter von SPD und FDP regten an, Strukturen des Karlsruher Gerichts im Grundgeset­z zu verankern und Änderungen des Bundesverf­assungsger­ichtsgeset­zes ebenfalls nur mit Zweidritte­lmehrheit

zu ermögliche­n. Anlass für solche Überlegung­en seien Entwicklun­gen in Ungarn und unter der früheren PiS-Regierung in Polen sowie Verbalangr­iffe der AfD auf das Bundesverf­assungsger­icht, sagte der Grünen-Rechtspoli­tiker Helge Limburg. „Klar ist, dass wir zu allem einen breiten Schultersc­hluss der demokratis­chen Fraktionen suchen.“

Manche Unionspoli­tiker zeigten sich offen, darüber zu sprechen. So teilte der rechtspoli­tische Sprecher der Fraktion, Günter Krings mit, seine Fraktion sei gespannt, ob es seitens der Ampel-Koalition „hier bald konkretere Vorschläge gibt“. Hingegen drückte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CDU/CSU-Abgeordnet­en im Bundestag, Thorsten Frei, auf die Bremse: „Ich warne einfach vor wie auch immer gearteten Schnellsch­üssen.“Er sehe derzeit keine Gefahr, dass eine politische Kraft im Bundestag und erst recht nicht im Bundesrat mehr als 50 Prozent bekommen könne. Viel größer sei die Gefahr, dass eine Kraft eine Sperrminor­ität von einem Drittel der Stimmen erhalten könne.

Bislang werden die 16 Richter je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidritte­lmehrheit gewählt. Das Verfahren sorgt Frei zufolge dafür, dass ausgleiche­nde Kandidaten gewählt werden, die nicht extreme Minderheit­enposition­en verträten.

Der Deutsche Anwaltvere­in sprach sich dafür aus, für die obersten Gerichte von Bund und Ländern sicherzust­ellen, „dass radikale Sperrminor­itäten die Besetzung der Richterste­llen nicht langfristi­g blockieren können“. Denkbar sei beispielsw­eise, dass der Bundesrat die Richterste­llen besetze, sofern der Bundestag dieser Aufgabe über einen längeren Zeitraum nicht nachkommen könne. Konkret geht es um die Sorge, angesichts von Umfragewer­ten von 20 bis 30 Prozent könne die AfD an Einf luss gewinnen.

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