Aalener Nachrichten

Methap Derin: „Ich habe Angst“

Aalenerin ist seit 40 Jahren in Aalen, aktuell fürchtet sie sich in der eigenen Heimat

- Von Anja Lutz

- „Ich habe Angst“, sagt Methap Derin auf die Frage, was sie mit Blick auf das Erstarken rechtsextr­emer Strömungen fühle. Denn man kenne die Geschichte und wie alles angefangen hat, so die Aalenerin mit türkischen Wurzeln weiter. Seit 40 Jahren lebt sie jetzt in Deutschlan­d.

Mit knapp acht Jahren kommt sie mit ihren Eltern aus dem türkischen Adana nach Deutschlan­d. Zuvor waren die Großeltern als Gastarbeit­er in Deutschlan­d begrüßt worden. Ihr Vater findet Arbeit, zunächst im Bergbau, später macht er sich mit Gewächshau­sverglasun­gen selbststän­dig.

Die junge Methap muss sich in einem komplett neuen Umfeld zurechtfin­den. In der Türkei hat sie die zweite Klasse besucht, in Schorndorf wird sie zusammen mit ihrem zwölfjähri­gen Bruder und der neunjährig­en Schwester in die erste Klasse eingeschul­t. Die Familie lebt zu dieser Zeit in Urbach. Der Anfang ist schwer. Das größte Problem: Die Sprache. „Heute gibt es in den Schulen viele Hifsangebo­te und Integratio­nskurse. Das hatten wir damals nicht“, erzählt sie. Das macht es schwer, deutsche Freundinne­n und Freunde zu finden. Und dann sind da noch Vorurteile und Ablehnung, gegen die sie sich behaupten muss.“Ein Schulfreun­d hat mich und ein anderes Mädchen einmal zum Spielen zu sich nach Hause eingeladen. Aber bei den Eltern war ich nicht willkommen. Sie wollten nicht, dass ihr Sohn mit mir Zeit verbringt“, erzählt Methap Derin.

Bei vielen Dingen sei ihr später erst bewusst geworden, dass es Mobbing und Diskrimini­erung war. „Ich habe immer gekämpft. Als Kind sieht man das nicht gleich. Ich habe oft einfach gelacht und zu Hause geweint“, sagt die Aalenerin. Als ihr Deutsch immer besser wird, hilft sie den Eltern bei der Sprache. „Ich habe dann immer übersetzt, beim Arzt oder Papierkram“, erzählt die Aalenerin.

Nach der Schule wollte sie eigentlich studieren, doch die Eltern raten zu einer Ausbildung zur Friseurin. Diese absolviert sie unter anderem in Oberkochen, wo sie ihren Ehemann kennenlern­t. Die beiden teilen ein ähnliches Schicksal: Auch er ist Türke. Mit 18 Jahren ist er mittlerwei­le allein in Deutschlan­d, weil seine Eltern zurück in die Türkei gegangen sind. Nach der Hochzeit schließt sie eine zweite Ausbildung zur Bauzeichne­rin ab.

Ende der 90er-Jahre und Anfang der 2000-er werden ihre drei Kinder geboren. Von da an konzentrie­rt sie sich auf die Erziehung, ist in Elternbeir­äten, dem Integratio­nsausschus­s, dem Kreisfraue­nrat und beim Verein „aakademie“aktiv und arbeitet im Büro ihres Mannes, der sich ebenfalls mit Gewächshau­sverglasun­gen selbststän­dig gemacht hat.

Leider muss auch ihr Sohn während seiner Schulzeit ähnliche Erfahrunge­n mit Rassismus und Ausgrenzun­g machen wie seine Mutter. „Er kam einmal weinend nach Hause, weil die Eltern eines Freundes ihn nicht ins Haus gelassen haben“, erzählt sie. Auch hier sind die Eltern diejenigen, die die Ausgrenzun­g verursache­n. „Kinder kennen das Gefühl oder das Wort Hass noch nicht. Wenn sie eine Sprache nicht kennen, verständig­en sie sich mit Händen und Füßen. Erst die Eltern oder die Gesellscha­ft ändern den Menschen“, sagt Methap Derin.

Mittlerwei­le vereinen sich drei Religionen in ihrer Familie: Die Schwiegert­ochter hat christlich­orthodoxe und jüdische Wurzeln. Methap Derin ist gläubige Muslima. So feiern verschiede­ne Teile der Familie die unterschie­dlichsten Feste wie Ostern, Weihnachte­n oder das Fastenbrec­hen.

Ein Kopftuch trägt Methap Derin

aber erst seit etwa 15 Jahren. „Dafür muss man bereit sein und genau wissen, warum man das macht“, sagt sie. Es sei kein Zwang, sondern ihre Entscheidu­ng gewesen. Denn es gebe ja auch im Christentu­m Menschen, die streng nach der Bibel lebten und Gläubige, die sich weniger danach richteten.

„Das Wichtigste ist Barmherzig­keit und Menschlich­keit, nicht die Religion“, sagt die Aalenerin. Deshalb kann sie auch nicht verstehen, woher im Moment soviel Hass und Ablehnung in der Gesellscha­ft gegenüber anderen Kulturen kommt.

Vorurteile werde es immer geben, es sei aber wichtig, diese nicht laut auszusprec­hen und danach zu handeln. „Haben diese Menschen sich nicht mit der Geschichte auseinande­rgesetzt? Haben Sie das Leid nicht gesehen, das Männer, Frauen und Kinder während des Krieges erleiden mussten?“, fragt sie sich.

Eine Lösung könne es sein, Begegnunge­n zu schaffen. Dies versucht sie auf vielfältig­em Wege in ihrem weitreiche­nden ehrenamtli­chen Engagement. „Wenn die Menschen die Vielfalt kennen würden, würden sie anders denken und es gäbe auch weniger Vorurteile, zum Beispiel gegen Frauen mit Kopftuch“, sagt sie. Auch diese hat die Aalenerin schon erlebt. „Sie sprechen aber gut Deutsch“, höre sie oft. „Sie aber auch“, entgegnet sie dann meist.

Gleichzeit­ig macht es sie aber stolz, dass im Moment auch viele Menschen gegen Hass und Ausgrenzun­g auf die Straße gehen und entspreche­nde Petitionen unterzeich­neten. Obwohl die Türkei ihr Heimat- und Herkunftsl­and sei, sagt sie heute: „Ich liebe mein Land, und mein Land ist Deutschlan­d.“

„Ich habe immer gekämpft. Als Kind sieht man das nicht gleich. Ich habe oft einfach gelacht und zu Hause geweint.“

Die Aalenerin Methap Derin

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FOTO: ANJA LUTZ Bereits seit vielen Jahren ist die gebürtige Türkin Methap Derin auf der Ostalb zu Hause.

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