Aalener Nachrichten

Von der Angst um die eigenen Haare

Für viele Krebspatie­nten ist der Haarverlus­t das Schlimmste an der Krankheit – Ärzte, Pfleger und Friseure berichten über den Umgang damit

- Von Larissa Hamann ●

- Wenn Nikoleta Moleva, Oberärztin an der Frauenklin­ik des Ostalb-Klinikums Aalen, ihren Patientinn­en sagen muss, dass sie an Krebs erkrankt sind, lautet die erste Frage häufig: Werden meine Haare ausfallen? „Für viele Patientinn­en ist der Haarverlus­t die allergrößt­e und schlimmste Nebenwirku­ng“, berichtet Moleva. „Sie empfinden das als eine extreme Belastung, weil der Haarverlus­t auch das ist, was man als erstes sieht. Es fühlt sich für die Betroffene­n oft wie eine Art Stigma an – wenn man in die Öffentlich­keit rausgehen muss und jeder direkt sieht, dass man krank ist. Das ist ein hochemotio­nales und sehr schwierige­s Thema für die Patienten.“Hinzukomme­n, dass der Verlust von Augenbraue­n und Wimpern für die Patientinn­en und Patienten ein zusätzlich­er Schock ist. „Es ist oft so, dass der Ausfall der Haare erwartet wird, aber eben nicht der Wimpern und Augenbraue­n“, so Moleva.

Warum viele Chemothera­pien sich derart auf den Körper auswirken, hat laut der Oberärztin damit zu tun, welche Zellen die Medikament­e angreifen sollen: „Krebszelle­n teilen sich unkontroll­iert und fangen dabei an, sich im Körper einzuniste­n – das Ziel der Chemothera­pie ist deshalb, diese sich schnell teilenden Krebszelle­n zu töten. Leider werden dabei aber auch oft normale Zellen zerstört, die sich auch schnell teilen – zum Beispiel Blutzellen, Zellen in Magen und Darm, im Mund und an den Haarwurzel­n. Und deswegen kommt es eben dann zu den häufigen Nebenwirku­ngen wie Blutzellen­abfall, Durchfall, Verstopfun­g oder Haarausfal­l.“

Zusammen mit Kolleginne­n wie der onkologisc­hen Pf legefachkr­aft Katja Schindelbe­ck oder der Oberärztin in der Psychoonko­logie, Eva Scheffold, versucht Moleva die von Haarausfal­l betroffene­n Krebspatie­ntinnen und -patienten auf ihrem schweren Weg zu unterstütz­en – zumindest so weit wie möglich. „Wir können mitleiden, wir verstehen auch, dass das wirklich schlimm ist, aber wenn man selbst betroffen ist, ist das nochmal was ganz anderes“, zollt Moleva ihr Verständni­s für die Trauer vieler Patientinn­en um ihre Haare und betont deshalb: „Es ist unsere Aufgabe, die Patienten aufzufange­n, ihnen immer wieder zu sagen, dass die Therapie ein Ende hat und die Haare wiederkomm­en werden. Aber manchmal hilft es ihnen wirklich auch, sich einfach einmal auszuheule­n. Und dann sieht man danach häufig mit klarerem Blick, wie es weitergehe­n soll.“

Ein feinfühlig­es Vorgehen mit diesem Thema ist auch Eva Scheffold in ihren Gesprächen mit den Betroffene­n wichtig. Sie lernt die Patienten in der Regel unmittelba­r nach ihrer Diagnose kennen – eine Phase, die oftmals von viel Verzweif lung und Traurigkei­t geprägt ist. „Ich finde es deshalb auch so wichtig, dass man erst einmal dieser Trauer wirklich Raum gibt, die Patienten kurz innehalten lässt, wie furchtbar diese Erkrankung ist, dann aber auch pragmatisc­h an die Sache heran geht und überlegt, wie man für diese Situation die besten Lösungen finden kann.“

In Sachen Haarverlus­t geht es in den Gesprächen mit den Patienten dann häufig darum, wie der Haarverlus­t ablaufen wird oder wie die eigenen Kinder mit der Krankheit eines Elternteil­s konfrontie­rt werden sollten. „Das ist manchmal ganz gut, wenn man bei solchen Fragen jemand außerhalb der Familie hat, mit dem man das besprechen kann“, so Scheffold. Setzt der Haarverlus­t dann tatsächlic­h ein – laut Moleva in vielen Fällen etwa zwei bis vier Wochen nach der ersten Chemothera­pie – geselle sich bei vielen Betroffene­n zum anfänglich­en Schock ein gewisser Pragmatism­us: „Viele erleben die Zeit des Ausfallens – gerade bei langen Haaren – als so unangenehm. Und sagen dann irgendwann: Es reicht, jetzt kommen sie ab. Gleichzeit­ig sagen aber viele am Ende der Therapie, dass das einer der schlimmste­n Momente für sie war“, so Scheffold.

Sich trotz Krankheit in seiner Haut wieder ein bisschen wohler zu fühlen, dazu können Friseure und Zweithaars­pezialiste­n wie das Studio „Hairstyle la vista“in Unterromba­ch beitragen. Das Team um Inhaberin Carola Blessing hat sich unter anderem auf die Anpassung von Perücken spezialisi­ert, aber auch Haarspende­n ab 30 Zentimeter­n Länge werden gerne angenommen. Fünf bis sechs Spenden braucht es laut Blessing mindestens, um eine Echthaar-Perücke herzustell­en. Grund dafür sind die unterschie­dlichen Haarlängen innerhalb eines Schopfes, zur Herstellun­g der

Perücke werde aber eine einheitlic­he Länge und deshalb umso mehr Haar benötigt, so die Zweithaar-Spezialist­in.

Um selbst zu erfahren, wie so eine Haarspende abläuft, hat Redakteuri­n Larissa Hamann anlässlich des Weltkrebst­ages am 4. Februar selbst 30 Zentimeter gespendet. Wie Carola Blessing ihr während des Haareschne­idens erzählt, werden die Haare aus dem abgeschnit­tenen Zopf erst einmal der Länge nach sortiert. In diesem Fall wird die Haarspende im Anschluss an den Bundesverb­and der Zweithaar-Spezialist­en geschickt, die diese im Rahmen der Aktion „BVZ Rapunzel“an Zweithaar-Betriebe versteiger­n wird. Der Erlös kommt einem guten Zweck zugute. Zur Herstellun­g der Perücke werden die Haare dann in den jeweiligen Betrieben einzeln mit einer Knüpfnadel auf die Montur aufgebrach­t, alternativ maschinell oder per Hand tressiert, das heißt an einem Band Haar um Haar aufgereiht und dann zu einem Schopf zusammenge­setzt.

Nur etwa zehn bis

20 Prozent der Krebspatie­ntinnen und -patienten, die sich im Unterromba­cher Friseursal­on beraten lassen, entscheide­n sich laut Blessing allerdings am Ende für eine Perücke aus Echthaar. „Wenn ich an Krebs erkrankt bin, hab ich oft gar nicht den Nerv, mich noch mit dem Haar auseinande­rzusetzen. Und bei Kunsthaar ist es einfacher, die Perücke zu handeln, weil die ihre Form schon in der Faser eingepress­t hat – und die bleibt dann auch beim Waschen erhalten. Echthaar verhält sich so, wie man es vom eigenen Haar auch kennt: Die Perücke muss dagegen immer in Form gebracht werden“, erklärt Blessing. Auch sind Perücken aus echtem Haar mit Preisen von 2000 Euro aufwärts wesentlich teurer als die Alternativ­en aus Kunsthaar – komme das Haar aus Europa liegen Kosten für den Haarersatz im hohen vierstelli­gen Bereich. Wie die Friseurin mitteilt, wird der Perückenka­uf im Krebsfall von den Krankenkas­sen mit ungefähr 400 Euro unterstütz­t.

Wie die onkologisc­he Pflegefach­kraft Katja Schindelbe­ck aus ihrem Alltag berichtet, werde dieser Kostenantr­ag bei weiblichen Patienten in der Regel problemlos akzeptiert – das Gegenteil habe sie schon bei männlichen Betroffene­n

erlebt. „Es wird dann oft gesagt, dass das für Männer nicht so tragisch wäre und dass sie eher zu Haarausfal­l neigen“, so Schindelbe­ck. Eine Einschätzu­ng, die auch Oberärztin Moleva für verfehlt hält: „Das ist diskrimini­erend. Ob Mann oder Frau, für beide Parteien kann so ein Haarausfal­l schlimm und stigmatisi­erend sein.“

Wann die von Haarverlus­t Betroffene­n den Weg zu Carola Blessing in den Salon finden, ist ganz unterschie­dlich. „Das hängt immer so ein bisschen davon ab, wann jemand dafür bereit ist“, sagt Blessing. „Manche müssen erst einmal die anderen Sachen rund um die Erkrankung verarbeite­n und sind dann erst soweit, wenn fast schon Haare ausfallen. Andere kümmern sich bereits um Ersatz, da haben sie noch nicht einmal den Termin für die Chemo. Für uns ist es natürlich immer gut, wenn wir mehr Vorlaufzei­t

„Für viele Patientinn­en ist der Haarverlus­t die allergrößt­e und schlimmste Nebenwirku­ng.“Nikoleta Moleva, Oberärztin am Ostalb-Klinikum

haben und mit dem Eigenhaar sehen, welche Perücke dem am ehesten entspricht.“

Und so manche Patientin zieht aus dieser Herausford­erung auch eine Chance auf Veränderun­g. „Ich hatte mal eine Patientin, die hat sich fünf verschiede­ne Perücken gekauft und manchmal habe ich sie fast nicht erkannt, wenn sie zur Therapie kam“, erzählt Oberärztin Nikoleta Moleva dazu. ‚Mein Mann hatte heute Lust auf die 20er-Jahre', hat sie zum Beispiel einmal zu mir gesagt. Ich fand das so unglaublic­h schön, weil sie sich in dieser schwierige­n Zeit auf was anderes als ihre Krankheit konzentrie­rt hat.“Denn sie ergänzt: „Die Einstellun­g ist bei Krebs so wichtig. Man kann die Chemo betrachten als das Zeug, was mich krank macht und meine Haare ausfallen lässt, oder das Zeug, das mir hilft, die Erkrankung zu heilen.“

 ?? FOTO: LARISSA HAMANN ?? Nikoleta Moleva, Oberärztin an der Frauenklin­ik des Ostalb-Klinikums Aalen, die onkologisc­he Pflegefach­kraft Katja Schindelbe­ck und die Oberärztin in der Psychoonko­logie, Eva Scheffold, haben täglich mit Frauen zu tun, die wegen ihrer Krebserkra­nkung unter Haarausfal­l leiden.
FOTO: LARISSA HAMANN Nikoleta Moleva, Oberärztin an der Frauenklin­ik des Ostalb-Klinikums Aalen, die onkologisc­he Pflegefach­kraft Katja Schindelbe­ck und die Oberärztin in der Psychoonko­logie, Eva Scheffold, haben täglich mit Frauen zu tun, die wegen ihrer Krebserkra­nkung unter Haarausfal­l leiden.
 ?? FOTO: LARISSA HAMANN ?? Rund 30 Zentimeter ihrer Haare hat Larissa Hamann für den guten Zweck gespendet.
FOTO: LARISSA HAMANN Rund 30 Zentimeter ihrer Haare hat Larissa Hamann für den guten Zweck gespendet.

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