Aalener Nachrichten

Körperlich fasten, geistig zunehmen

- Von Robin Halle r.halle@schwaebisc­he.de

Heute beginnt die Fastenzeit. Gesellscha­ftlich etablierte Askese, häufig verbunden mit Verzicht: auf Alkohol, Fleisch, Plundertei­lchen, was auch immer. Für viele ein Strauß bunter Vorsätze, ähnlich Silvester, nur länger. 40 Tage mühsames abspecken, bevor am Ostersonnt­ag wieder Lammbraten mit Knödeln und Bohnen im Speckmante­l auf den Teller kommt.

Wer die Fastenzeit als Diät oder Lifestylep­rogramm versteht, hat allerdings nichts begriffen. Christen und Juden fasten nicht, um körperlich abzunehmen. Sie fasten, um geistig zuzunehmen. An Demut, Dankbarkei­t, Hoffnung, Mut oder Nächstenli­ebe. Sie üben Verzicht, um das eigene Bewusstsei­n zu schärfen. Den inneren Kompass neu zu justieren. So wie es Jesus bei seinem 40-tägigen Aufenthalt in der Wüste tat, von dem die Bibel im Evangelium nach Matthäus verkündet. Geplagt von Hunger, vom Teufel in Versuchung geführt, standhaft geblieben, im Glauben gefestigt.

Ja, das ist der klerikale Hochgesang auf die Fastenzeit. Und ja: Man muss kein Christ sein, um sein Tun bisweilen zu hinterfrag­en. Aber die Fastenzeit kann auch für Nicht-Christen eine Gelegenhei­t sein, mal wieder einen Schulfreun­d anzurufen. Einer älteren Nachbarin zu helfen, die unter Gebrechen leidet. Den ersten Schritt zu einer Versöhnung zu machen. Sich zu entschuldi­gen. Dem Leben eine andere Tiefe zu schenken. Sich Zeit zu nehmen für die Kinder, die Großeltern, die Familie. Den Fernseher auszuschal­ten, ein Buch zu lesen, zu reden. Einfach den Reset-Knopf zu drücken in dieser hektischen, unruhigen, teils beängstige­nden Welt.

Der indische Rechtsanwa­lt, Moralist und Pazifist Mahatma Gandhi hat mal gesagt: „Die Fastenzeit­en sind ein Teil meines Wesens. Ich kann auf sie ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere.“Ghandi ist für viele ein Vorbild, weil er für die Satyagraha steht, den gewaltfrei­en Widerstand. Ghandi nutzte das Fasten, um zum Frieden aufzurufen. Ein beruhigend­er Zustand, nach dem wir uns alle sehnen.

Die Fastenzeit ist kein Zwang. Sie ist lediglich ein Hinweis, mit wachen Augen durchs Leben zu gehen.

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