Körperlich fasten, geistig zunehmen
Heute beginnt die Fastenzeit. Gesellschaftlich etablierte Askese, häufig verbunden mit Verzicht: auf Alkohol, Fleisch, Plunderteilchen, was auch immer. Für viele ein Strauß bunter Vorsätze, ähnlich Silvester, nur länger. 40 Tage mühsames abspecken, bevor am Ostersonntag wieder Lammbraten mit Knödeln und Bohnen im Speckmantel auf den Teller kommt.
Wer die Fastenzeit als Diät oder Lifestyleprogramm versteht, hat allerdings nichts begriffen. Christen und Juden fasten nicht, um körperlich abzunehmen. Sie fasten, um geistig zuzunehmen. An Demut, Dankbarkeit, Hoffnung, Mut oder Nächstenliebe. Sie üben Verzicht, um das eigene Bewusstsein zu schärfen. Den inneren Kompass neu zu justieren. So wie es Jesus bei seinem 40-tägigen Aufenthalt in der Wüste tat, von dem die Bibel im Evangelium nach Matthäus verkündet. Geplagt von Hunger, vom Teufel in Versuchung geführt, standhaft geblieben, im Glauben gefestigt.
Ja, das ist der klerikale Hochgesang auf die Fastenzeit. Und ja: Man muss kein Christ sein, um sein Tun bisweilen zu hinterfragen. Aber die Fastenzeit kann auch für Nicht-Christen eine Gelegenheit sein, mal wieder einen Schulfreund anzurufen. Einer älteren Nachbarin zu helfen, die unter Gebrechen leidet. Den ersten Schritt zu einer Versöhnung zu machen. Sich zu entschuldigen. Dem Leben eine andere Tiefe zu schenken. Sich Zeit zu nehmen für die Kinder, die Großeltern, die Familie. Den Fernseher auszuschalten, ein Buch zu lesen, zu reden. Einfach den Reset-Knopf zu drücken in dieser hektischen, unruhigen, teils beängstigenden Welt.
Der indische Rechtsanwalt, Moralist und Pazifist Mahatma Gandhi hat mal gesagt: „Die Fastenzeiten sind ein Teil meines Wesens. Ich kann auf sie ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere.“Ghandi ist für viele ein Vorbild, weil er für die Satyagraha steht, den gewaltfreien Widerstand. Ghandi nutzte das Fasten, um zum Frieden aufzurufen. Ein beruhigender Zustand, nach dem wir uns alle sehnen.
Die Fastenzeit ist kein Zwang. Sie ist lediglich ein Hinweis, mit wachen Augen durchs Leben zu gehen.