Aalener Nachrichten

Der Traum von der Remigratio­n

Der Österreich­er Martin Sellner führt in seiner Heimat die rechtsextr­eme Identitäre Bewegung an. Aus ihren Zielen macht er keinen Hehl.

- Von Werner Reisinger ●

- Auf den ersten Blick ist es ein Zinshaus wie jedes andere in der Wiener Innenstadt. Sieht man etwas genauer hin, wird aber klar, dass hier etwas nicht stimmt. Die Kellerfens­ter sind vergittert, die blassgelbe Fassade ist mit Graffitis und Farbklecks­en beschmiert, „Idis jagen“steht in großen schwarzen Lettern auf der Mauer und „gegen Rassismus“. In der Umgebung kleben Sticker der autonomen Antifa. Die Bewohner des Hauses haben sich mehr schlecht als recht an jene Nachbarn gewöhnt, die das Kellerloka­l im Souterrain bewohnen: Regelmäßig treffen sich hier junge Männer, die alle auffällig uniform gekleidet sind, strenge Haarschnit­te tragen und so gut wie nie alleine kommen und gehen. Hier, im Haus Ecke Ramperstor­ffer Gasse und Siebenbrun­nengasse im 5. Wiener Gemeindebe­zirk Margareten, hat die rechtsextr­eme Identitäre Bewegung einen von mehreren Stützpunkt­en in Österreich.

Ende 2017 soll der Verein Wiener Kulturwerk das Kellerloka­l von einem Unterstütz­er erworben haben, rund 61.500 Euro sollen dafür geflossen sein, wie die Tageszeitu­ng „Der Standard“berichtete. Was genau die Rechtsextr­emen in ihren Räumlichke­iten in Margareten treiben, ist unklar. Die Rede ist von Kampfsport­trainings und Treffen zur Vorbereitu­ng von Aktionen. Der Stützpunkt der Rechtsextr­emen zieht regelmäßig Gegendemon­stranten an, Wien mit seiner starken linken Szene ist feindliche­s Terrain für die sogenannte­n neuen Rechten. Seit Langem stellt sich auch eine Bürgerinit­iative von Margaretne­rn den Identitäre­n entgegen.

Obmann des Vereins Wiener Kulturwerk ist Philipp Huemer – er zählt zu den umtriebigs­ten Figuren der rechtsextr­emen Szene in der Alpenrepub­lik und Teil des Führungska­ders der Identitäre­n. Huemer steht auch hinter dem Heimatkuri­er, einem einschlägi­gen Medium, das online der antisemiti­schen Verschwöru­ngserzählu­ng des „großen Austausch“das Wort redet und gegen Flüchtling­e und Migranten hetzt. Ebenfalls aktuell Thema: Die „Diffamieru­ngsversuch­e“gegen die „patriotisc­he Opposition“, die jetzt „zusammenst­ehen“müsse – gemeint ist die Aufregung in Deutschlan­d nach den Enthüllung­en der Recherchep­lattform correctiv über das Treffen von AfD-Politikern, Spendern – und dem Kopf der rechtsextr­emen Identitäre­n, dem Österreich­er Martin Sellner. Und während in Deutschlan­d Zehntausen­de gegen die Deportatio­nsfantasie­n der Rechtsextr­emen auf die Straße gehen, bleibt es in Wien vorerst ruhig. So wie in Margareten hat man sich auch in ganz Österreich scheinbar an die Präsenz der Rechtsextr­emen gewöhnt.

Der aus Baden bei Wien stammende Sellner kommt aus dem organisier­ten Neonazismu­s, schon in jungen Jahren zählte er zum engeren Kreis rund um die Szenegröße Gottfried Küssel. In den Nullerjahr­en fiel der Philosophi­estudent mit einschlägi­gen Aktionen auf, er klebte an einer Synagoge in Baden Sticker mit Hakenkreuz­en und trieb sich in der Wiener Burschensc­haft Olympia herum – sie gilt als eine der radikalste­n deutschnat­ionalen Verbindung­en in der Alpenrepub­lik und war zeitweise behördlich verboten. Bald darauf wandte sich Sellner neuen Aktionsfor­men und einem Kreis aus Aktivisten zu, die sich selbst als „neue Rechte“bezeichnen: Vor allem der rechtsextr­eme Publizist Götz Kubitschek, dessen Verlag Ana-taios und sein Institut für Staatspoli­tik in Schnellrod­a in Sachsen-Anhalt als Zentrum der deutschen Szene gilt, beeinfluss­te Sellner maßgeblich. Er wurde Teil der Netzwerke rund um Kubitschek – und adaptierte das ursprüngli­ch aus Frankreich kommende Konzept der Identitäre­n für Österreich. 2012 gründete der heute 35-Jährige mit Mitstreite­rn den österreich­ischen Ableger, die Identitäre Bewegung Österreich.

Der ideologisc­he und taktische Kern der Identitäre­n, die Politikwis­senschafte­r als neofaschis­tisch einstufen, ist ein Strategiew­echsel: Anstatt wie die „alten“Neonazis auf Holocaustv­erharmlosu­ng und offene Sympathien für den NS-Staat, setzt die sogenannte neue Rechte vor allem auf die Vordenker der Nazis und eine Strömung aus der Zeit der Weimarer Republik, die konservati­ve Revolution – eine lose Gruppe an Antidemokr­aten, die die junge deutsche Demokratie durch einen neuen, autoritäre­n Staat ersetzen wollten. Autoren wie der deutsche Schriftste­ller Ernst Jünger, der in seinen Büchern das „Fronterleb­nis“im Ersten Weltkrieg glorifizie­rte, der Schweizer Armin Mohler und weitere extrem rechte Philosophe­n, stehen bei den Identitäre­n hoch im Kurs. Die Ziele bleiben dieselben, wie jene der Antidemokr­aten vor der NS-Zeit: Kampf gegen das Gleichheit­sprinzip der westlichen Demokratie­n und ein rassistisc­her, illiberale­r Staat, in dem die „autochthon­e Bevölkerun­g“das Sagen hat.

Der Antisemiti­smus der Identitäre­n zeigt sich in der besagten Verschwöru­ngsideolog­ie des „großen Austausch“: Angeblich hätten sich politische Eliten, Wirtschaft und Medien geheim verabredet, um die einheimisc­he Bevölkerun­g in den europäisch­en Staaten durch Zuwanderer zu ersetzen. Die Identitäre­n stürmten Theaterauf­führungen und Vorlesunge­n, auf Demos zünden sie Pyrotechni­k und schwenken Unmengen an Fahnen, es gilt, wirkungsvo­lle Bilder zu erzeugen. Dass die so verhassten „Mainstream­medien“über das Treiben der Neofaschis­ten berichten, ist durchaus gewollt – je mehr Aufregung, desto besser.

Die Schlagwört­er und Slogans, die Sellner seit Jahren bedient, finden sich längst im Repertoire der politische­n Parteien wie der AfD und ihrer österreich­ischen Schwesterp­artei, der FPÖ. Was Sellner und seinen Mitkämpfer­n vorschwebt, daraus machte der Identitäre­n-Führer beim Treffen in Potsdam keinen Hehl: Remigratio­n, also die zwangsweis­e Ausschaffu­ng von Migranten, ihren Unterstütz­ern und allen anderen, die nicht ins rechtsextr­eme Weltbild passen.

Als im Sommer 2015 für Hunderttau­sende Gef lüchtete die Grenzbalke­n hochgingen, lieferte das Sellner und den Identitäre­n den perfekten Boden für ihre Propaganda. Der scheinbare Kontrollve­rlust der Politik, Angst und Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g – für die Identitäre­n tat sich nun die Chance auf, ihre Netzwerke auszubauen und Sympathisa­nten abseits der organisier­ten Szene anzusprech­en. Vier Jahre später, 2019, ermordete ein rechtsextr­emer Attentäter im neuseeländ­ischen Christchur­ch in einer Moschee 51 Menschen – zuvor hatte er 1500 Euro an die österreich­ischen Identitäre­n gespendet.

Ein herber Rückschlag für Sellner, in dessen Wohnung die Polizei eine Hausdurchs­uchung durchführt­e und Datenträge­r beschlagna­hmte. Gerichtsve­rfahren folgten, blieben aber schlussend­lich ohne Konsequenz­en für die Rechtsextr­emen. Im Rahmen eines Anti-Terror-Gesetzespa­kets verbot die ÖVP-geführte Regierung 2020 allerdings die Symbole der Identitäre­n, darunter das griechisch­e Lambda. Dem Aktivismus der Identitäre­n tat dies allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil. Teile der Szene benannten sich einfach um, etwa in „Die Österreich­er“.

Ganz so wie bei der AfD bestehen seit jeher auch in Österreich nicht nur ideologisc­he, sondern auch persönlich­e Kontakte zur FPÖ. Vor allem auf den unteren Ebenen, im Bereich der Parteijuge­nd, gibt es persönlich­e Überschnei­dungen. Zumindest offiziell wollten die Freiheitli­chen lange nichts mit den Rechtsextr­emen zu tun haben, eine Mitgliedsc­haft in der FPÖ und bei den Identitäre­n sei unvereinba­r – ein ähnlicher Beschluss findet sich auch in der AfD. Dennoch lud der spätere FPÖ-Präsidents­chaftskand­idat Norbert Hofer schon 2016 einen den Identitäre­n zuzurechne­nden Aktivisten ins Parlament ein – ein Versehen, wie Hofer damals in Interviews beteuerte, schließlic­h wisse doch jeder, der ihn kenne, dass er in strikter Opposition zu den Identitäre­n stehe.

Wenig Mühe, sich zumindest der Form halber von den rechtsextr­emen Kulturkämp­fern abzugrenze­n, gibt sich dagegen Herbert Kickl. Der amtierende Parteichef der FPÖ führt seit Monaten stabil die Umfragen an, die Identitäre­n sieht er als „NGO von rechts“und vergleicht die Neofaschis­ten mit Umweltorga­nisationen wie Greenpeace oder Global2000. Die Identitäre­n seien ein „unterstütz­enswertes Projekt“, ließ Kickl schon 2021 wissen. Seine Unterstütz­ung für offen rechtsextr­eme Strukturen reicht weit zurück: Als sich im Oktober Vertreter der neurechten Publizisti­k aus dem gesamten deutschspr­achigen Raum, darunter auch Götz Kubitschek sowie mehrere Identitäre, in Linz zum Kongress der „Verteidige­r Europas“einfanden, fungierte Kickl als Ehrenredne­r. Er „distanzier­e sich von den Distanzier­ungen“ließ Kickl, den Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz etwas mehr als ein Jahr später zum Innenminis­ter machte, seine rechtsextr­eme Zuhörersch­aft wissen.

Martin Sellner scheint indes, ähnlich wie FPÖ-Chef Kickl, kurz vor dem Erreichen seiner Ziele zu stehen. Das rechtsextr­eme Gedankengu­t und die Fantasien der Remigratio­n, worüber er auch ein Buch geschriebe­n hat („Remigratio­n. Ein Vorschlag“) werden bei den Freiheitli­chen nicht mehr versteckt oder auf Kongressen diskutiert, zu denen Journalist­en keinen Zutritt haben. Nach den correctiv-Enthüllung­en stellte sich die FPÖ-Führung offen hinter das, was auf dem Potsdamer Treffen diskutiert wurde. Remigratio­n sei das „Gebot der Stunde“, schrieb FPÖ-Generalsek­retär Christian Hafenecker in einer Aussendung. Es gebe daher „nicht den geringsten Anlass, sich auf Zuruf von Linksparte­ien von Patrioten zu distanzier­en“.

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FOTO: ALEX HALADA/IMAGO Martin Sellner, Sprecher der Identitäre­n Bewegung Österreich IBÖ, während einer Veranstalt­ung am Brunnenmar­kt in Wien.

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