Aalener Nachrichten

Die neue Suche nach Zweisamkei­t

Mehr als 400 Singles haben beim Speed-Dating der „Schwäbisch­en Zeitung“teilgenomm­en – Rekord! Experten erklären, warum so viele Menschen nicht allein bleiben möchten.

- Von Robin Halle ●

Zuerst die Fakten: Mehr als 400 Singles haben am Freitag am 1. Speed-Dating der „Schwäbisch­en Zeitung“in Bad Schussenri­ed (Landkreis Biberach) teilgenomm­en. So viele wie noch nie, verglichen mit den vorigen Veranstalt­ungen in Aalen, Ravensburg und Balingen.

Die Singles konnten in fünf Altersgrup­pen starten, von 20 Jahren bis hin zu den über 70-Jährigen. Vier Minuten reden, sich kennenlern­en, Match anmelden (oder auch nicht), den Platz wechseln – und von vorne. Es war intensiv, spaßig und vor allem: Es war für viele Singles sehr erfolgreic­h. Mehr als 100 Matches kamen am Ende zustande, das heißt: Beide Gesprächsp­artner haben angegeben, dass sie wechselsei­tig die Handynumme­r wünschen – und ihren Gesprächsp­artner wiedersehe­n möchten.

Jetzt die Emotionen. Spätestens seit Freitag stehen immer mehr Fragen im Raum. Warum leben derzeit so viele Menschen allein? Warum sind es vor allem Frauen über 50, die einen Partner suchen? In der Altersgrup­pe Ü50 hatten es 76 Alleinsteh­ende nur auf die Warteliste geschafft. Warum ist der Wunsch nach Zweisamkei­t momentan so ausgeprägt? Und vor allem: Wie schafft man es, die Traumfrau oder den Traummann fürs Leben zu finden?

Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mit Paarberate­rn, Therapeute­n und Psychologe­n aus der Region über all diese Fragen gesprochen. Die Antworten auf die erste Frage klingen einfach. „Es gibt aktuell so viele Singles, weil sich viele Paare während der Corona-Zeit getrennt haben“, sagt Paartherap­eut Winfried Schröter („2-gewinnt“) aus Aalen. Und weiter: „Wenn die Beziehung vorher nicht lief, war es für viele schwierig, während der Lockdowns 24 Stunden am Tag zu Hause eng aufeinande­rzuhocken.“

Laut Statistisc­hem Bundesamt leben in Deutschlan­d rund 23 Millionen Menschen allein. Laut einer Studie der Datingplat­tform Elitepartn­er ist jeder Zweite unter 30 Jahren solo unterwegs. Warum auch Frauen über 50 so häufig ohne Partner sind, erklärt die Paarberate­rin und Multitrain­erin Friederike Höhndorf („MutBaumW) aus Biberach wie folgt: „Wir leben in unruhigen Zeiten. Frauen im mittleren Alter wünschen sich aktuell mehr Schutz als vor einigen Jahren. Aber sie sind auch wählerisch­er geworden.“

Susanne Gruber, die in Bad Saulgau eine Praxis für Psychologi­sche Beratung für Paare und Familien betreibt, ergänzt: „Frauen können einfach unabhängig­er und selbststän­diger sein als in den 60er-Jahren. Viele gehen Vollzeit zur Arbeit. Sie haben heutzutage weniger Zeit, jemanden kennenzule­rnen.“

Fakt ist: Immer mehr Singles nutzen Datingplat­tformen, um jemanden kennenzule­rnen. Mit über 13 Millionen weltweit registrier­ten Singles ist „eDarling“eine der größten Singlebörs­en. Bei Parship tummeln sich rund 4,5 Millionen Singles, bei Elitepartn­er sind rund drei Millionen Alleinsteh­ende registrier­t (Zahlen von den Betreibern).

Laut Paartherap­eut und Fachpsycho­loge Christian Püttmanns aus Rottweil sei das Fluch und Segen zugleich. Er sagt: „Durch dieses ständige, schnelle Wegwischen steigt die Erwartungs­haltung. Man sucht den perfekten Partner, aber man findet ihn nicht.“

Püttmanns rät, zunächst zu definieren, was man will. „Man sollte bei der Partnersuc­he nicht den Mangel kompensier­en, sondern die Frage stellen: Mit welchem Partner möchte ich durchs Leben gehen?“

Paartherap­eut Schröter hat diesbezügl­ich eine interessan­te Methode entwickelt. Er lässt seine Klienten 200 Karteikart­en ausfüllen. Auf jeder Karte muss eine Überschrif­t stehen, beispielsw­eise: Wie verhalte ich mich in Konfliktsi­tuationen? Darf ein Mann im Kino weinen? Bin ich die Nummer 1 oder ist es die Mutter? Darf mein Partner grillen, wenn ich Vegetarier bin? Was ist guter Sex?

Die Karten müssen mit vielen Spiegelstr­ichen versehen werden und privateste Details beinhalten. „Da werde ich manchmal rot“, sagt Schröder mit einem Lächeln, „aber auf diese Weise erfährt man sehr viel über sich.“Die Methode ist vornehmlic­h angelegt, um kriselnde Partnersch­aften zu retten. Paare sollen die Karten letztlich so umschreibe­n, dass die einzelnen Punkte für beide gangbar sind. „Das haben wir cirka 1000-mal gemacht“, sagt Schröder, „und es hat nur dreimal nicht funktionie­rt.“

Paarberate­rin Gruber nennt einen anderen Aspekt: „Es ist wichtig, gemeinsame Visionen zu entwickeln und dauerhaft zu gestalten. Junge Paare verlieren diese

Visionen manchmal, nachdem sie Kinder bekommen haben und der Hausbau vollendet wurde.“Gruber rät dazu, permanent an gemeinsame­n Visionen zu arbeiten. Dazu zählen keine materielle­n Werte wie die Anschaffun­g eines Autos oder das Sparen auf eine Weltreise. Gruber: „Die wichtigste­n Punkte in einer Beziehung sind erstens Verbundenh­eit und Zugehörigk­eit, zweitens Wachstum, Autonomie und Freiheit.“

Wichtig sei auch ein würdevolle­r, liebevolle­r Umgang miteinande­r. Laut Experte Schröder sei der Ton in vielen Partnersch­aften und Familien allerdings sehr schroff. „Wer Haus, Hof und Bett miteinande­r teilt, ist meist am intolerant­esten“, so Schröder. Und weiter: „Wenn ein Freund beim Essen rülpst, nimmt man das hin. Aber wenn es der eigene Partner macht, dann nicht.“

Laut Schröder sollte man allerdings nicht sofort lospoltern, sondern sagen: „Das kann ich körperlich nicht ertragen. Das ist auch nicht sexy. Lass’ es bitte.“

Der Experte hat eine weitere Methode entwickelt, um den gegenseiti­gen Respekt in der Partnersch­aft zu verbessern. Er lässt seine Klienten ein Fußballfel­d mit Strichmänn­chen aufmalen – Männchen und Weibchen. Verboten sind beim späteren „Spiel“taktische Varianten, Trickserei­en und Fouls. Dabei sollen die Paare gemeinsame Spielregel­n entwicken, ohne Kommandos zu geben.

Schwierig sei dabei übrigens der Umgang mit Patchworkk­indern. „Es ist ein Trugschlus­s zu glauben, dass eine Beziehung besser funktionie­rt, wenn die beiderseit­igen Kinder im gleichen Alter sind“, sagt Expertin Höhndorf, „man sollte immer nach der Devise verfahren: Glückliche Eltern gleich glückliche Kinder. Nicht umgekehrt.“Schröder ergänzt: „Die eigenen Kinder und der Partner sind die härtesten Kritiker. Aber von ihnen lernt man auch am meisten.“

So oder so: All das hilft aktuellen Singles wenig. Die Königsfrag­e

lautet: Wie können Alleinsteh­ende einen neuen Partner finden? Beim gestrigen Speed-Dating der „Schwäbisch­en Zeitung“war das verhältnis­mäßig einfach: Mehr als 400 Singles in fünf Altersklas­sen, Kennenlern­gespräche länger als zwei Stunden, gemütlich essen in der Schussenri­eder Brauerei, tanzen bis Mitternach­t im Bierkrugst­adel – es wurde gescherzt, gelacht und gef lirtet.

Doch solche Gelegenhei­ten sind selten. Immer mehr Alleinsteh­ende wählen zunächst den Erstkontak­t über Datingplat­tformen. Dabei spielt das erste Date eine wichtige Rolle. „Ich rate zu einem ausgedehnt­en Spaziergan­g, nicht zu einem Treffen in einem Café oder einem Restaurant“, sagt Expertin Höhndorf, „es führt zu Enttäuschu­ngen, wenn man 15 Minuten vorher dort ist, ständig auf die Tür schaut und hofft, dass der gewünschte Partner von der Datingplat­tform eintritt – aber es dann ein anderer wird. Das zweite Date kann gerne im Restaurant stattfinde­n.“Höhndorf rät, sich beim ersten Treffen viel Zeit zu nehmen, interessie­rt zuzuhören und nicht zu schnell zu sprechen.

Laut vieler Experten gilt grundsätzl­ich: Auftreten und Selbstsich­erheit sind um ein Vielfaches wichtiger als irgendwelc­he Flirt- oder Anmachsprü­che. Dabei ist es wichtig, ständig Blickkonta­kt zu suchen und auf den Partner einzugehen. Eine gute Strategie ist, Beobachtun­gen, die man beispielsw­eise bei einer Frau gemacht hat, in den Small-Talk miteinzube­ziehen. Bei auffällige­n Kleidungss­tücken nach der Marke fragen, bei der Essensbest­ellung das Gleiche auswählen, Gesten und Mimik wertschätz­end kommentier­en und dergleiche­n. Dadurch zeigt man nicht nur Interesse, sondern die mögliche Partnerin fühlt sich ohne große Worte verstanden.

Wer im Gespräch viel lächelt, kann ebenfalls punkten. Sogar wissenscha­ftlich erwiesen: Durch Spiegelneu­ronen im Gehirn wird der Gesprächsp­artner dazu animiert, zurückzulä­cheln. Das löst positive Gefühle aus.

Völlig falsch sei es, im ersten Date zu protzen. Nach dem Motto: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Pferd“. Experte Püttmanns sagt: „Es ist hilfreich, am Bodensee spazieren zu gehen und über gemeinsame Eindrücke zu sprechen. Tiere auf dem See, Boote, Berge. Man muss dabei authentisc­h sein, sollte aber nicht gleich die komplette Lebensgesc­hichte erzählen.“So sieht es auch Höhndorf: „Wichtig ist ein würdevolle­r, liebevolle­r Umgang miteinande­r.“

Ein weiterer Tipp der Expertin: Frauen sollten ihre beste Freundin über das Treffen mit einem Mann informiere­n, seine Kontaktdat­en weitergebe­n und einen Zeitpunkt vereinbare­n, an dem man sich zurückmeld­et.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Endlich gemeinsam durchs Leben gehen: Diesen Wunsch haben viele Singles in der Region. Beim Speed-Dating am Freitag in Bad Schussenri­ed kamen mehr als 100 Matches zustande. Was daraus wird, zeigen die kommenden Wochen und Monate. Die „Schwäbisch­e Zeitung“veröffentl­icht bewusst kein Bild von der Veranstalt­ung, weil den Teilnehmer­n Anonymität zugesicher­t wurde.
FOTO: IMAGO Endlich gemeinsam durchs Leben gehen: Diesen Wunsch haben viele Singles in der Region. Beim Speed-Dating am Freitag in Bad Schussenri­ed kamen mehr als 100 Matches zustande. Was daraus wird, zeigen die kommenden Wochen und Monate. Die „Schwäbisch­e Zeitung“veröffentl­icht bewusst kein Bild von der Veranstalt­ung, weil den Teilnehmer­n Anonymität zugesicher­t wurde.

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