Aalener Nachrichten

Wenn die eigenen Eltern alt werden

Hilfsbedür­ftigkeit im hohen Alter führt zu Problemen – Vorwürfe sind falsch

- Von Marcel Maack ●

(epd) - Früher wischte Mutter jedes Staubkorn weg und Vater überholte mit Tempo 190 auf der Autobahn. Heute hängen Spinnweben im Türrahmen und das Auto kriecht wie eine Schnecke über die Straße. Oft kommt irgendwann der Tag, an dem Kinder bei ihren Eltern Veränderun­gen wie diese bemerken. Sie fragen sich dann: „Wie sage ich Mama und Papa, dass sie Hilfe benötigen?“

Hilfreich sei, die Frage „Was ist eigentlich, wenn “bereits dann bei den Eltern anzusprech­en, wenn diese noch fit sind, rät Katrin Kell, Fachbereic­hsleitung Pf lege und Senioren bei der Diakonie Hamburg. Eltern falle es dann vielleicht leichter, darüber zu reden, „weil es noch so lange hin ist“. Dabei könnten eine Vorsorgevo­llmacht und eine Patientenv­erfügung formuliert werden.

„Kinder definieren einen Hilfsbedar­f fast immer, lange bevor die Eltern das selbst so sehen“, sagt Familienth­erapeutin und Coachin Birgit Lambers aus Heiligenha­us in Nordrhein-Westfalen. Die Autorin des Buchs „Wenn die Eltern plötzlich alt sind: Wie wir ihnen helfen können, ohne uns selbst zu überforder­n“warnt davor, das Thema mit Worten zu beginnen, „die wie ein erhobener Zeigefinge­r wirken“. Statt Vorwürfe zu formuliere­n oder Verbote auszusprec­hen, sollten Kinder sagen, dass sie sich um ihre Eltern

sorgen. „Das ist ein guter Türöffner.“

Andreas Kruse, Vorstandsm­itglied der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en (Bagso), appelliert an Kinder, sich vom Grundsatz „Ich erkenne nicht nur die Verletzlic­hkeit, sondern auch die Kräfte meines Gegenübers – beides spreche ich an“leiten zu lassen. Dabei gelte es, gemeinsam zu überlegen, wie die Verletzlic­hkeit gelindert oder bewältigt werden kann. Ein „heikles Thema“ist nach der Erfahrung von Carolin Allers von der Hamburger AWO-Sozialstat­ion Mümmelmann­sberg das Autofahren.

„Denn die damit verbundene Unabhängig­keit ist groß.“Sollte das Fahren bereits eine Gefahr für die Eltern und andere darstellen, empfiehlt Allers, den Hausarzt einzubezie­hen. „Oft ist eine externe fachliche Meinung ein prägnanter Schachzug.“

Familienth­erapeutin Lambers zufolge meinen viele Menschen, dass Senioren ab einem bestimmten Alter generell nicht mehr Auto fahren sollten. Sie widerspric­ht: „Ein Mensch Mitte 80 hat laut Statistik das gleiche Risiko, einen Unfall mit Personensc­haden zu verursache­n wie ein Fahranfäng­er.“Senioren das Fahren zu untersagen, sei altersdisk­riminieren­d und in der Regel unbegründe­t.

Geht es um das Erkennen einer Demenz, sollten Kinder nach Allers' Ansicht eines beherzigen: „Da wir alle keine Ärzte sind, stellen wir keine Diagnosen.“Stattdesse­n sollten sie ihre Bedenken ausspreche­n und eine ärztliche Abklärung vorschlage­n. Auch Lambers rät zum Arztbesuch, weiß aber: „Das ist nicht einfach, weil ein Mensch mit beginnende­r Demenz sich meist mit Händen und Füßen gegen eine Untersuchu­ng wehrt – weil er selber ahnt, was mit ihm los ist.“Sie empfiehlt, das Wort Demenz zu vermeiden und lieber Sätze zu sagen wie: „Vielleicht ist es etwas, das man behandeln kann.“

Können oder wollen Kinder sich nicht selbst um ihre Eltern kümmern, müsse das klar gesagt werden, sagt Lambers. Zugleich gelte es, den Eltern Zeit zu lassen. „Sprechen Sie es häppchenwe­ise an. Sagen Sie Ihren Eltern, dass Sie Verständni­s für den Wunsch haben, die Kinder mögen sie pf legen. Machen Sie ihnen aber auch deutlich, dass Sie das nicht schaffen, weshalb sie gemeinsam nach anderen Möglichkei­ten suchen müssen.“Lehnen Eltern alle Vorschläge ab, müssten Kinder dies akzeptiere­n, sagt Allers. Ihrer Erfahrung nach komme das allerdings meistens nur zu Beginn vor. „Nach zwei, drei Wochen sind alle Beteiligte­n in der Situation angekommen und vieles wird akzeptiert.“

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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI/DPA Menschen sind im Alter stärker auf Hilfe angewiesen.

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