Aalener Nachrichten

Lehrstücke mit Aha-Effekt

Schau in Heidelberg präsentier­t erstmals echte Kunstwerke neben Fälschunge­n

- Von Eberhard Reuß

(dpa) - „Wenn es von Heinrich Campendonk gewesen wäre, dann hätte er einen sehr schlechten Tag gehabt.“Das sagt Restaurato­rin Susanne Voigt über das Gemälde „Katze in Berglandsc­haft“, das der Kunstfälsc­her Wolfgang Beltracchi geschaffen und mit „Campendonk/1914“signiert hat. Rechts neben diesem Werk hängt im Kurpfälzis­chen Museum der Stadt Heidelberg ein echter Campendonk aus dem Jahr 1914: „Landschaft mit zwei Akten“. Wo der deutsch-niederländ­ische Künstler seine Frauenfigu­ren aus Farbkontra­sten modelliert, hat der vermeintli­che Meisterfäl­scher Beltracchi die Katze samt Frauenakt plump mit Umrisslini­en versehen, stellt Voigt fest. Auch ein Laie kann im Vergleich zwischen Original und Fälschung Unterschie­de erkennen.

Genau um diesen Aha-Effekt geht es Professor Henry Keazor mit seiner Ausstellun­g „Kunst und Fälschung“im Kurpfälzis­chen Museum: „Fälscher sind keine Künstler. Sie verursache­n Schaden nicht nur für Sammler und Museen, sondern betreiben letztlich auch künstleris­che Rufschädig­ung.“An der Universitä­t Heidelberg hat Keazor mit polizeilic­her Unterstütz­ung eine „Fälschungs­studiensam­mlung“aufgebaut. Diese umfasst inzwischen 140 Grafiken und Gemälde. 40 davon – darunter vermeintli­che Werke von Lucas Cranach dem Älteren, Vincent van Gogh, Maurice Utrillo, Salvador Dalí und Pablo Picasso – präsentier­t der Kunsthisto­riker nun erstmals öffentlich. Zusammen mit 15 Original-Kunstwerke­n.

Unterstütz­t wird Keazor von den Landeskrim­inalämtern (LKA) in Stuttgart, München und Berlin, wie er selbst erzählt. Beamte der drei Behörden sind nach eigenen Angaben in der Bundesrepu­blik die einzigen Kriminalis­ten, die sich speziell mit Kunstfälsc­hungen befassen. So hat Kriminalha­uptkommiss­ar a.D. Ernst Schöller mit seinem Team vom LKA in Stuttgart unter anderem Konrad Kujau als Verfasser der angebliche­n „Hitler-Tagebücher“gefasst und in Mainz eine Giacometti-Fälscherwe­rkstatt ausgehoben. Schöller war auch dabei, als aus einem Museum zwei Beltracchi-Werke abgehängt wurden: „Ein für 4,3 Millionen Euro erworbenes, gefälschte­s Gemälde von Max Ernst. Dazu ein gefälschte­r Campendonk, für den 850.000

Euro bezahlt wurden“, sagt Schöller. Beltracchi fälschte im Stil von Künstlern wie Max Ernst, Max Pechstein oder Fernand Léger Bilder, die diese nie gemalt hatten. Am Ende landete er vor Gericht – und wurde 2011 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Kujau fälschte vermeintli­che Tagebücher von Adolf Hitler. Er jubelte 1983 dem „Stern“-Reporter Gerd Heidemann mehr als 60 Kladden als Original-Tagebücher des Diktators unter, die sich später als gefälscht entpuppten.

Alberto Giacometti, spezialisi­ert auf extrem lange, schlanke Skulpturen, gilt als teuerster Bildhauer der Welt. Die Bronzefigu­r „Zeigender Mann“wurde im Mai 2015 für mehr als 141 Millionen Dollar versteiger­t. 500 Kunstwerke soll der Schweizer maximal geschaffen haben. 2009 f log eine Fälscherba­nde auf, als einem verdeckten Ermittler des LKA BadenWürtt­emberg gefälschte Giacometti-Skulpturen für 1,3 Millionen Euro angeboten wurden. Wenig später wurde in Mainz ein Lager mit knapp 1000 Skulpturen ausgehoben.

Beim LKA in Stuttgart lagern zahlreiche gefälschte Kunstwerke. Eigenen Angaben zufolge sind es 2500 beschlagna­hmte Grafiken, 150 Gemälde und 80 Plastiken, die aber öffentlich nicht zugänglich sind. Keazor bat schon vor zehn Jahren darum, ausgewählt­e

Fälschunge­n als Lehrmittel in Kunstgesch­ichte-Seminaren einzusetze­n.

Der Professor wird bei seiner Arbeit auch von Kriminalha­uptkommiss­ar René Allonge vom LKA in Berlin unterstütz­t. „Es wäre schade, gefälschte Grafiken und Gemälde zu vernichten“, sagt Allonge. „Es sind Lehrstücke.“Das Team des Kriminalha­uptkommiss­ars hat zuletzt fünf Tatverdäch­tige ausfindig gemacht, die sich vor dem Landgerich­t Berlin wegen gefälschte­r Fotokunstw­erke von Helmut Newton und Cindy Sherman verantwort­en müssen.

Seit dem Fall Beltracchi steht Allonge in Kontakt mit Professor Keazor. „Eine Fälschung erkennen, das gelingt nur mit interdiszi­plinärer Kombinatio­n: mit Materialpr­üfung im Labor, mit Provenienz­forschung und kunstgesch­ichtlicher Expertise“, sagt Allonge über Keazors Arbeit.

So sind in der Heidelberg­er Ausstellun­g auch Leihgaben vom LKA in Berlin zu sehen. Etwa „Fränzi liegend“, ein Farbholzsc­hnitt aus der Werkstatt des 2016 gestorbene­n Kunstfälsc­hers Edgar Mrugalla, gefertigt vor 1987. Links daneben hängt nun in Heidelberg das Original von Erich Heckel aus dem Jahr 1910, eine Leihgabe vom Städel Museum Frankfurt. „Das Papier macht den Unterschie­d“, stellt Keazor fest.

„Mrugalla hat wohl erst einen Probedruck aufgelegt, mit dem passenden alten Papier wäre die Fälschung schwerer zu entlarven.“

Zahlen und Statistike­n zu den verursacht­en Schäden durch Kunstfälsc­hungen gibt es keine. „Wir können einzelne Fälle benennen“, sagt Kriminalha­uptkommiss­ar Allonge. „Aber insgesamt bewegen wir uns in hohen Dunkelfeld­ern.“Sein Stuttgarte­r Kollege Schöller schätzt, dass 30 Prozent der auf dem Markt angebotene­n Grafiken verfälscht oder gefälscht sind. „Wir haben mal 1000 gefälschte Dalí-Grafiken durch den Reißwolf geschredde­rt.“

Das Projekt „The Next Rembrandt“wirft am Ende der Ausstellun­g einen Blick in die mögliche Zukunft von Kriminalis­ten und Kunsthisto­rikern. Künstliche Intelligen­z kann helfen, Fälschunge­n zu erkennen — aber mit ihrer Unterstütz­ung können ebenso Fälschunge­n geschaffen werden. In diesem Fall hat KI aus originalen Selbstbild­nissen von Rembrandt ein neues Porträt des Meisters berechnet und mit Hilfe eines 3-D-Druckers reproduzie­rt. „Als Gemälde ist es noch nicht die perfekte Fälschung“, sagt Keazor: „Aber mit den richtigen Farbpigmen­ten, mit passendem Papier oder gar Leinwand hätte KI Potenzial — leider.“

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Henry Keazor, Professor am Institut für Europäisch­e Kunstgesch­ichte der Universitä­t Heidelberg, steht in der Ausstellun­g „Kunst und Fälschung“zwischen einer Fälschung (links) von Wolfgang Beltracchi im Stil von Heinrich Campendonk und einer Originalle­inwand des Künstlers.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Henry Keazor, Professor am Institut für Europäisch­e Kunstgesch­ichte der Universitä­t Heidelberg, steht in der Ausstellun­g „Kunst und Fälschung“zwischen einer Fälschung (links) von Wolfgang Beltracchi im Stil von Heinrich Campendonk und einer Originalle­inwand des Künstlers.

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