Aalener Nachrichten

Architekt der Dynamik

Frank O. Gehry hat die Welt des Bauens revolution­iert – Heute wird der kanadisch-amerikanis­che Stararchit­ekt und Designer 95

- Von Christina Horsten,

Schon als kleiner Junge baute Frank O. Gehry mit seiner Großmutter ganze Städte. „Meine Großmutter hat Holzklötze mit nach Hause gebracht für den Ofen. Und sie hat sie auf den Boden geworfen und Städte mit mir gebaut“, erinnert sich der Architekt, der an diesem Mittwoch (28. Februar) 95 Jahre alt wird, in einem Interview mit dem kanadische­n Rundfunk CBC. „Ich weiß nicht, warum sie sich entschiede­n hat, das zu machen. Architektu­r spielte in meiner Familie damals keine Rolle. Aber das ist eine wichtige Erinnerung.“

Inzwischen gehört Gehry längst du den berühmtest­en und begehrtest­en Architekte­n der Welt. Auf der ganzen Welt stehen Gebäude des Pritzker-Preisträge­rs, darunter das Vitra Design Museum in Weil am Rhein, das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Walt-Disney-Konzerthal­le in Los Angeles, die Art Gallery of Ontario in Toronto, die Louis Vuitton Foundation for Creation in Paris, die Dwight D. Eisenhower-Gedenkstät­te in Washington und Wohngebäud­e unter anderem in Prag, New York und vielen anderen Städten. In Abu Dhabi entsteht zudem gerade die dortige Zweigstell­e des Guggenheim unter Gehrys Leitung.

Der Architekt wurde 1929 in einfachen Verhältnis­sen als Ephraim Owen Goldberg in Toronto geboren. Seine Eltern waren jüdische Einwandere­r aus Polen. Als Teenager zog die Familie nach Los Angeles weiter, wo Gehrys Vater und auch er selbst Jobs als Lastwagenf­ahrer annahmen. Auf einer Abendschul­e, wo er den Abschluss nachmachte, entdeckte ein Lehrer sein Interesse für Architektu­r und unterstütz­te ihn.

In den 1960er-Jahren gründete Gehry dann sein eigenes Architektu­r-Studio

in Los Angeles und bekam erste Aufträge. „Gebäude sind der Hintergrun­d für Aktivität, aber die Aktivität muss Leben sein. Es muss mehr sein als Geld zu machen. Es ist eine kulturelle Sache und sie bringt Menschen zusammen, um miteinande­r zu sprechen, zu leben und zu arbeiten. Das Gebäude alleine ist nicht so relevant.“Er habe sich immer mehr als Künstler gesehen, sagt Gehry. Schon in der Schule habe er immer mehr mit den Künstlern als mit den Architekte­n abgehangen – „weil ich gefühlt habe, dass ich dorthin gehöre. Das ist immer noch so.“Ed Ruscha ist bis heute ein enger Freund.

Seiner Architektu­r ist das anzusehen. „Ich habe ästhetisch nach einer Art Bewegung in den

Werken gesucht. Ich war genervt von der Postmodern­e und der Tendenz, griechisch­e Tempel wiederzukä­uen. Ich dachte, gut, wenn wir schon zurückgehe­n, dann gehe ich 300 Millionen Jahre zurück, bevor es überhaupt Menschen gab, zu den Fischen. So wurden Fische Teil meines Vokabulars – und das nicht nur, weil auch schon meine Großmutter die immer mit nach Hause gebracht hatte.“

Das führt zu reinen FischSkulp­turen wie in Barcelona, aber auch zu Bauwerken, deren Oberf lächen an Schuppen erinnern zu scheinen und die sich bewegen zu scheinen wie durch Wasser. Besonders deutlich wird das am 1997 fertiggest­ellten Guggenheim-Museum im spanischen Bilbao – ein dekonstruk­tivistisch­es, funkelndes Wunderwerk aus Glas, Titan und Kalkstein, das schnell ein beliebtes Touristenz­iel wurde. „Als ich das erste Mal diese Kurven im Regen gesehen habe, warm glühend, habe ich geweint. Als ich gelernt hatte, dass Metall Emotionen ausdrücken kann, habe ich mich nach anderen Wegen umgesehen, das umzusetzen. Ich versuche, ein Gefühl einzufange­n.“

Das Guggenheim in Bilbao begeistert auch Menschen, die sonst wenig mit Architektu­r anfangen können. Der 2005 gestorbene Architekt Philip Johnson bezeichnet­e es einmal als „das großartigs­te Gebäude unserer Zeit“. Aber nicht alle finden so großen Gefallen am wilden und experiment­ellen Stil Gehrys, für manche Kritiker sind seine Bauten nicht mehr als sündhaft teure Spielzeuge eines Egozentrik­ers. „Die Museumswel­t denkt ja, ich mache absichtlic­h schräge Ausstellun­gsräume, um es den Künstlern schwer zu machen, aber das stimmt nicht“, sagte Gehry einmal der Deutschen Presse-Agentur. „Ich mag nur diese weißen Schuhschac­hteln nicht. Neutralitä­t ist nicht neutral, sie entwertet Kunst.“

Einen Computer benutzt Gehry bis heute nicht. Modelle denkt er mit seinen Händen: Er zerknitter­t Pappe oder zerreißt Papier und klebt die Fetzen zusammen. Weil sich solch komplexe geometrisc­he Gebilde kaum stabil und günstig bauen lassen, entwickelt Gehrys Studio, in dem inzwischen auch ein Sohn mitarbeite­t, sogar seine eigene Design-Software mit ähnlichen Mitteln wie die Luft- und Raumfahrti­ndustrie. In den Ruhestand zu gehen? Das könne er sich auch mit 95 gar nicht vorstellen, sagt Gehry. „Ich wüsste nicht wie. Ich denke mal, die Uhr wird stehen bleiben, wenn sie es will.“(dpa)

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 ?? FOTOS: CHRIS PIZZELLO, DPA/IMAGO ?? Zu Frank O. Gehrys spektakulä­ren Gebäuden gehört unter anderem das Guggenheim­Museum in Bilbao (oben).
FOTOS: CHRIS PIZZELLO, DPA/IMAGO Zu Frank O. Gehrys spektakulä­ren Gebäuden gehört unter anderem das Guggenheim­Museum in Bilbao (oben).

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