Musik ist Therapie, die durch Klänge heilt
Professorin Olga Voichenko flüchtete vor den Kriegswirren in der Ukraine auf die Ostalb
- Zwei Jahre dauert nun schon der Krieg in der Ukraine. Und die Kriegswirren war auch der Auslöser, dass Jazz- und Popgesang-Professorin Olga Voichenko Kiew verließ – zunächst nach Berlin, mittlerweile wohnt und singt sie in Aalen. „Ich lerne fleißig Deutsch“, sagt sie zwar, aber für ein Interview reiche es noch nicht. Deshalb hat unser Redakteur Ansgar König dieses Interview auf Englisch geführt.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte Sie im Frühjahr 2022 nach Aalen. Warum Aalen?
Im Frühjahr 2022 kam ich in Berlin an, doch die Umstände dort passten nicht. So kam ich nach Stuttgart zu Freunden. Jetzt lebe ich in Aalen, denn die Freunde haben mir geholfen, hier eine kleine Wohnung zu finden. Vor Aalen war ich in Lagern in Ellwangen und Giengen und in einem Pflegeheim in Bopfingen.
Wie haben sich Ihre Kontakte zur lokalen Jazzszene entwickelt?
Eines Tages sah ich eine Anzeige für ein Konzert im a.l.s.o.-Kulturcafé in Schwäbisch Gmünd und beschloss, hinzugehen, um bei einer Jamsession zu singen und Musiker zu treffen. So traf ich einige wunderbare Profimusiker aus Schwäbisch Gmünd, dann aus Heidenheim und Aalen.
Wie sind Sie mit Eberhard Budziat in Kontakt gekommen?
Eberhard Budziat lernte ich bei einem Konzert in der Musikschule in Steinheim kennen. Wir haben dort zum ersten Mal zusammen gespielt – eine wahre Entdeckung für mich. Er spielt meisterhaft und einfühlsam Tuba und Posaune, mit einem wunderbaren Blechbläserklang, als würde er auf einer Posaune „singen“. Mit seiner Band haben wir schon in Stuttgart, Weinstadt, Denkendorf, Böblingen, Schwäbisch Gmünd und anderen Städten gespielt. Gleichzeitig spielen wir mit Musikern aus Schwäbisch Gmünd, Heidenheim und Aalen. Im März spielen wir gemeinsam in Lauchheim und im Juni in Heidenheim. Wir kreieren gemeinsam Musik und stellen den Zuhörern unsere musikalischen Ideen vor. Und es ist ausgezeichnet!
Wie kommen Sie mit der schwäbischen Mentalität zurecht?
Sehr gut. Ich habe freundliche, ehrliche und hilfsbereite Menschen gesehen, die vielen Menschen helfen. Ich möchte meine große Dankbarkeit zum Ausdruck bringen! Vielen Dank an Deutschland von allen Ukrainern!
Sie waren und sind Professorin für Pop- und Jazzgesang an der Kiewer Nationalen Universität für Kultur und Kunst, der Musikhochschule in Kiew. Bitte beschreiben Sie dort Ihre Arbeit.
Aufgrund der militärischen Situation musste ich meine Lehrtätigkeit an der Universität einstellen. Ich habe 25 Jahre Lehrerfahrung an der Musikakademie Donezk, später an der Kiewer Universität. Selbstverständlich unterrichte ich hier auch weiterhin online Gesang für Schüler und Studenten. Und ich habe auch ein Freiwilligenprojekt für Kinder namens „Singing All Together“. Mit Kindern – und nicht nur – singen wir, lernen Lieder
und entwickeln uns. Unterstützt wurde das Projekt vom Leiter der Bopfinger Musikschule, Gebhard Schmid. Ihm bin ich sehr, sehr dankbar!!! Und ich habe an der Akademie und Universität Populär- und Jazzgesang, Solfeggio (Ton- und Notenlehre über Gehörbildung und mit Hilfe von Gesangsübungen; Anm. d. Red.), Vokalensemble und Jazzstilistik unterrichtet. 2015 erhielt ich den wissenschaftlichen Titel einer außerordentlichen Professorin der Universität. Und ich liebe meine Konzertund Lehrtätigkeit sehr. Sie bringt Schülern, Studenten und Kindern bei, musikalisch zu denken, musikalischen Geschmack und Denken zu entwickeln. Schließlich ist Musik eine Philosophie oder Therapie, die durch Klänge lehrt und heilt. Und jeder von uns wählt seine eigene Musikphilosophie und Therapie.
Gibt es Verbindungen zwischen
Jazz und ukrainischer Musik und Komponisten? Wie ist die Jazzszene in Kiew?
In Kiew und auch in der Ukraine gibt es viele ukrainische Musiker, die (vor dem Krieg) Jazzmusik spielen. Es gibt Jazzschulen, Abteilungen und Konservatorien, in denen Musiker ausgebildet werden. Es gibt Jazzfestivals, Jazzclubs und Konzertorte, aber nicht viele. Viele legendäre Jazzkünstler wie Bobby McFerrin, die Gesangsgruppe „Take 6“, Joe Zawinul, Randy Brecker, der Pianist Kenny Barron und andere tourten vor dem Krieg durch Kiew... All diese Ereignisse gaben ukrainischen Musikern den Anstoß, die ukrainische Jazzrichtung im Land zu entwickeln.
Was sind Ihre musikalischen Schwerpunkte? Wo trennen Sie Pop und Jazz?
Jeder weiß, dass Jazz eine internationale Musik ist, aber er wurde in
Amerika geboren. Es ist ein musikalischer Kosmos, der wie ein Organismus immer lebt und ständig Formen, Farben, Stile, Töne und Trends verändert. Die Verbindung zwischen Autorenmusik und ukrainischer, deutscher oder französischer Musik im Jazz ist groß. Jeder Jazzmusiker wählt sein eigenes Repertoire, in dem es freie Meinungsäußerung und Improvisation gibt, in dem es die Möglichkeit gibt, zu experimentieren, zu üben und zu verwirklichen. Das ist für einen Jazzmusiker in jedem Land der Welt sehr wichtig. Vor meinem „Jazzleben“habe ich populäre Musik gespielt. Später hatte ich das Glück, den legendären ukrainischen Trompeter Valery Kolesnikov zu treffen, der mein musikalisches Bewusstsein auf den Kopf gestellt hat. Er war Professor der Jazzabteilung der Musikakademie Donezk. Er hat mir viel beigebracht, war Mentor und Pädagoge in meinem „Jazzleben“. Ich mache sehr gerne Gesangs- und Instrumentaljazz und liebe es zu improvisieren. Und ich mag das musikalische Denken von Miles Davis, Kenny Wheeler, Fred Hersch, Norma Winstone und anderen.
Sie haben bereits mehrere Aufnahmen veröffentlicht und auch den „Grand Prix des internationalen Jazz Contest“gewonnen. Erzählen Sie uns von dieser Auszeichnung und Ihren bisherigen Tourneen und Auftritten im Ausland.
In dieser Zeit habe ich drei Platten aufgenommen: „Tenderly“(1999) ist eine Zusammenarbeit mit meinem Ex-Mann, einem Jazzgitarristen, Gesang und Gitarre mit Jazzklassikern. Dann kam das Album „Magic Dreams“(2006) – größtenteils Autorenmusik. Und dann „Spivanochky Moi“(2013) – ein Album mit ukrainischen Volksliedern. Von Tourneen erinnere ich mich an den „Asakusa Jazz Contest“in Tokio, bei dem ich eine Nominierung für den Grand Prix in der Kategorie Gesang erhielt, oder das „Jazz Jamboree“-Festival in Warschau, das längst eine Rarität geworden ist. Auf der Bühne dieses Festivals traten Legenden des Weltjazz auf. In Erinnerung sind mir auch noch das „Französische Frühlingsfestival“in Kiew und eine Konzerttournee mit dem französischen Saxofonisten Sylvain Beuf und der Gesangsgruppe „Octovoice“.
„Ich habe hier freundliche, ehrliche und hilfsbereite Menschen gesehen, die vielen Menschen helfen. Vielen Dank an Deutschland von allen Ukrainern!“
Olga Voichenko.
„Aufgrund der militärischen Situation musste ich meine Lehrtätigkeit an der Universität einstellen.“Olga Voichenko.
Was hören die Zuhörer am 14. März beim JazzLights-Konzert auf der Burg Kapfenburg? Was haben Sie noch vor?
Beim Konzert auf Schloss Kapfenburg mit dem Eberhard Budziat Quintett spielen wir ein meiner Meinung nach interessantes Programm. Es handelt sich hauptsächlich um Eigenkompositionen und bearbeitete ukrainische Volkslieder. Und ich wünsche mir auch, dass unsere Band beim 33. Aalener Jazzfest im Herbst mit deutsch-ukrainischem Flair auftreten kann.