Viele Fragen zu Biberach weiter offen
Innenminister Strobl setzt nach Krawall gegen Grüne auf mehr Polizei bei Veranstaltungen
- Auch zwei Wochen nach den eskalierten Protesten in Biberach sind viele Fragen offen. Welche Antworten Innenminister Thomas Strobl (CDU) aus Sicht der Opposition noch schuldig ist, hat diese am Mittwoch im Landtag aufgelistet. Der abgesagte politische Aschermittwoch der Grünen sei ein großes Problem, betonte Fraktionschef Andreas Stoch, dessen SPD die Debatte angestoßen hat. „Der Schaden ist enorm, nicht nur für die Grünen, sondern für die Demokratie insgesamt.“
Stoch nannte es ein „verheerendes Signal, wenn ein Ministerpräsident eines Landes nicht bei einer Veranstaltung auftreten kann“und sagte an Strobl gewandt: „Hier bedarf es Antworten von Ihnen.“Warum seien nach der ersten Auseinandersetzung von Protestierern mit der Polizei lange vor dem Morgengrauen nicht direkt mehr Polizeikräfte gerufen worden? Warum sei die Mobilisierung radikaler Kräfte vorab nicht erkannt worden, warum hätten Sicherheitsbehörden eine mögliche Eskalation nicht vorhergesehen? Warum seien keine Barrieren oder Gitter vor der Stadthalle aufgestellt worden?
Stoch kritisierte Strobls Auftritt vergangene Woche im Innenausschuss des Landtags. Dort hatte Strobl erklärt, der Einsatz sei von der Polizei gut geplant und durchgeführt worden. Auch die FDP-Abgeordnete Julia Goll zeigte sich irritiert. „Es geht nicht darum, die einzelnen handelnden Personen vor Ort zu kritisieren, sondern die Einsatzplanung.“Zumal Strobl von einer Vorahnung gesprochen habe, auch wegen des Veranstaltungsorts in Oberschwaben. Die Protestierer hätten kein Interesse an einem Austausch gehabt, sagte Goll. „Demokratie ist nichts, das man konsumieren kann, sie ist eine Mitmachveranstaltung. Und mitunter anstrengend, wenn andere Meinungen auf einen einprallen.“
Stoch verlangte von Strobl ein Konzept zum Umgang mit solchen Veranstaltungen. „Das ist Ihre Verantwortung.“Gerade mit Blick auf die Kommunal- und Europawahlen im Juni. Und er äußerte seinen Ärger darüber, dass Strobl wie auch der für Biberach zuständige Präsident des Polizeipräsidiums Ulm, Bernhard Weber, im Innenausschuss betont hatten, die Kundgebung in der
Stadthalle hätte aus Sicht der Polizei stattfinden können. Polizeisprecher Sven Vrancken hatte in Biberach indes erklärt, man sei nicht überzeugt, dass dies „gefahrlos vonstattengehen kann“.
Kritik äußerte auch der Grünen-Innenexperte Oliver Hildenbrand. Er wollte wissen, wer die Stimmung in Biberach angeheizt habe, wer die Rädelsführer gewesen seien. „Es gab Lücken in der Einsatzplanung – daraus sind Schutz- und Sicherheitslücken geworden“, sagte er. Er wünsche sich eine gründliche Aufarbeitung, um daraus zu lernen. Auf seinen Vorschlag hin soll der Kabinettsausschuss „Entschlossen gegen Hass und Hetze“Mitte März darüber beraten, wie Veranstaltungen
vor den Wahlen gesichert werden können. Potenzielle Kandidaten brauchten Rückendeckung, betonten etliche Redner.
Minister Strobl verwies auf die Aufarbeitung der Vorfälle durch die Ermittlungsgruppe „Riß“am Polizeipräsidium Ulm. 20 Menschen seien hier am Werk, bei Bedarf mehr. Eine „hohe zweistellige Zahl“an Videos und Fotos seien als Hinweise eingegangen, eine zweistellige Zahl an Ermittlungsverfahren sei eingeleitet – wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung, der Gefangenenbefreiung, laut Hildenbrand zudem wegen schweren Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung, Nötigung und Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz. Auch gegen Polizeikräfte gebe es Anzeigen, hatte das Innenministerium der „Schwäbischen Zeitung“bestätigt. Details hierzu ließ das Polizeipräsidium Ulm am Mittwoch mit Verweis auf laufende Ermittlungen unbeantwortet. Zur Auswertung von Videoaufnahmen kommen nicht nur Super-Recognizer zum Einsatz – also Menschen, die sich Gesichter extrem gut merken können. Innenminister Strobl sprach zudem von spezieller Analysesoftware.
Den Parteien stehen laut Strobl vor den Wahlen im Juni Ansprechpersonen zur Verfügung, am Donnerstag richte das Landeskriminalamt eine Sammelinformationsstelle zum besseren Austausch ein. Mit anfangs 90 Polizeikräften in Biberach sei die Polizei bereits extrem präsent gewesen, nahm Strobl die Einsatzplanung in Schutz. Normal wären ein, zwei Streifenwagen mit zwei oder vier Polizeikräften. Dennoch sollen künftig mehr Polizisten politische Veranstaltungen absichern.
Rückendeckung erfuhr Strobl von seinen Parteifreunden in der CDU-Fraktion. Die Aufarbeitung der Vorfälle in Biberach sei noch nicht abgeschlossen, es gebe keine neuen Informationen, sagte Tim Brückner. „Ganz selbstverständlich sind wir mit dem Koalitionspartner solidarisch“, sagte er, aber: „Solidarität ist keine Einbahnstraße.“Als gerade grünes Klientel im Schlossgarten gegen Stuttgart 21 demonstriert habe, seien auch Plakate gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) mit der Aufschrift „Mappus an den Galgen“sichtbar gewesen. Eins sei ihm wichtig, betonte Brückner. „Ich möchte nicht, dass Biberach zu einem Synonym wird.“Die Stadt dürfe nicht stigmatisiert werden.
Daniel Lindenschmid von der AfD betonte, dass seine Partei bei praktisch allen Veranstaltungen mit Protesten zu kämpfen habe. Es komme zu massiver Gewalt von Gegendemonstranten bei Parteitagen, zu angezündeten Autos, beschmierten Wohnungen. „Das Milieu der Täter ist vielfach deckungsgleich mit den Jugendorganisationen von SPD und Grünen“, so Lindenschmid. „Aufgeklärt werden nur die wenigsten Fälle, verurteilt wird praktisch niemand.“Hier sollte der Verfassungsschutz hinschauen, forderte er. „Wir wünschen uns auch klare Ansagen, wenn sich die Gewalt gegen die AfD wendet.“