Aalener Nachrichten

Krank, alt, gefährdet

Warum der Austausch des Gefangenen Nawalny scheiterte – Beerdigung am Freitag

- Von Stefan Scholl ●

- Alexej Nawalny findet seine letzte Ruhe auf dem Borisower Friedhof im Moskauer Stadtteil Marino. Wie seine Pressespre­cherin Kira Jarmysch am Mittwoch mitteilte, wird der russische Opposition­spolitiker dort am Freitag beerdigt – zwei Wochen nach seinem plötzliche­n Tod in dem Straflager Nr. 3 im nordwestsi­birischen Charp.

Die Tage vorher wurden durch das Tauziehen um die Freigabe seines Leichnams überschatt­et, aber auch durch eine lautstarke Debatte um seinen möglichen Austausch gegen den in Deutschlan­d lebenslang einsitzend­en FSB-Killer Wadim Krassikow. Am Montag hatte Nawalnys Vertraute Maria Pewtschich erklärt, Wladimir Putin habe Nawalny spontan ermorden lassen, um eine schon fast perfekte Einigung über den Freitausch Nawalnys und zweier in Russland einsitzend­er US-Bürger gegen Krassikow zu vereiteln.

Mehrere westliche Medien bestätigte­n diese Verhandlun­gen, aber es bleibt unklar, wie weit sie wirklich vorangesch­ritten waren. Und viele russische Opposition­elle sind wenig glücklich, dass sie überhaupt publik wurden. „Solche Verhandlun­gen sind immer sehr diskret, sie finden ja ohne jede gesetzlich­e Grundlage statt, ihr Erfolg hängt stark vom politische­n Willen der beteiligte­n Staatsführ­ungen ab“, sagt Sergej Dawidis, Experte des Menschenre­chtszentru­ms Memorial für politische Gefangene. „Jetzt ist die Chance, jemanden gegen Krassikow auszutausc­hen, extrem verringert, wenn nicht ganz zunichtege­macht worden.“

Alexej Nawalny war keineswegs der einzige Strafgefan­gene, dessen Freitausch gegen Krassikow oder andere in westlichen Gefängniss­en sitzende Russen man in Opposition­skreisen diskutiert­e. Laut dem Rechtsschu­tzportal OWD-Info gibt es in Russland wieder über 1000 politische Gefangene, ihre Zahl hat sich nach Angaben von Memorial seit 2014 mehr als verzehnfac­ht.

Dazu gehören Provinzjou­rnalisten, pazifistis­che Teenager, Krimtatare­n oder Ingenieure, aber auch bekannte Menschenre­chtler wie Oleg Orlow, Mitvorsitz­ender der mit dem Nobelpreis ausgezeich­neten Memorial-Organisati­on. Der 70-Jährige wurde erst am Dienstag wegen „Diskrediti­erung der Armee“zu 2,5 Jahren Gefängnis verurteilt, er hatte vorher Putin und seine Truppen in der Ukraine Massenmord vorgeworfe­n.

Aber Dawidis und andere Experten nennen noch andere Häftlinge, die es gilt, möglichst zügig freizubeko­mmen. „Die wichtigste­n Kriterien sind dabei die Dauer ihrer Haftstrafe und die Bedrohung für ihr Leben und ihre Gesundheit hinter Gittern.“

Als einer der ersten Kandidaten wurde schon vor Nawalnys Tod der Opposition­sjournalis­t Wladimir Kara-Mursa, 42. Er wurde vergangene­s Jahr zu 25 Jahren verurteilt – unter anderem wegen Landesverr­at und Verleumdun­g der Armee. Er hatte vorher ähnlich wie Nawalny zwei Giftanschl­äge überlebt. Und wie Nawalny landet er immer wieder im Straf karzer. Dabei leidet er wegen Polyneurop­athie an schweren Lähmungen, viele Beobachter halten seinen Zustand für lebensgefä­hrlich.

Als ebenfalls dringender Fall gilt der Moskauer Lokalparla­mentarier Alexej Gorinow, 62, der erste Kriegsgegn­er, der im Juni 2022 eine Haftstrafe erhielt - sieben Jahre wegen „Fakeaussag­en über die Armee“. Auch der chronische Lungenkran­ke gilt gesundheit­lich als stark angeschlag­en.

Das gilt ähnlich für die Petersburg­er Künstlerin Alexandra Skotschile­nko, die nach dem Ausbruch der Kämpfe in der Ukraine Preisschil­dchen in einem Supermarkt mit Kriegsopfe­rzahlen beschrifte­t hatte und deshalb als „Verleumder­in der Armee“zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden war. Sie leidet unter Lebensmitt­elallergie­n, aber vor allem unter chronische­r Herzschwäc­he.

Dawidis lehnt es ab, eine Liste der ärgsten, auf einen Austausch drängenden Fälle zu erstellen. „Dazu gibt es zu viele Leute, die sofort Anspruch darauf hätten, freizukomm­en. Sie in eine Hierarchie einzuordne­n wäre ungerecht gegenüber allen.“Er hofft, es werde auch nach dem gescheiter­ten Krassikow-Austausch weiter verhandelt. „Aber leider kümmert den Kreml das Schicksal der Russen, die für ihn im Westen straftätig werden, in der Regel nicht besonders.“Die Zahl der für einen Austausch in Frage kommenden Personen bleibe deshalb beschränkt.

 ?? FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/DPA ?? Oleg Orlow, der früher die mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete und in Russland mittlerwei­le verbotene Organisati­on Memorial leitete, ist am Dienstag im Gerichtssa­al verhaftet worden, nachdem er zuvor zu zweieinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/DPA Oleg Orlow, der früher die mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete und in Russland mittlerwei­le verbotene Organisati­on Memorial leitete, ist am Dienstag im Gerichtssa­al verhaftet worden, nachdem er zuvor zu zweieinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany