Aalener Nachrichten

Ballett im Wandel

Eine Welt zwischen Kunst und Spitzenspo­rt – Warum nun der Fokus auf dem Wohl der Tänzer liegt

- Von Sabina Crisan und Jacqueline Melcher

(dpa) - Schlanke Frauen in Tutus, die graziös zu Musik herumwirbe­ln — was auf den ersten Blick so mühelos aussieht, ist in Wirklichke­it harte Arbeit. Das Bild des Balletts ist gleichzeit­ig von Magie und Kunst, aber auch Leistungsd­ruck und Klischees durchdrung­en. Eines davon: Tänzerinne­n und Tänzer seien alle magersücht­ig. Ein Vorurteil, wie die Primaballe­rina des Bayerische­n Staatsball­etts in München, Maria Baranova, erklärt. Dünn zu sein sei eher eine Konsequenz des Trainings, sagt sie. Ballett also als Leistungss­port – im künstleris­chen Gewand.

Ein normaler Arbeitstag startet für Baranova um 10.00 Uhr — danach tanzt sie bis 18.00 Uhr. „Wir sind Spitzenspo­rtler“, sagt sie. „Jede Vorstellun­g ist für uns wie eine Olympiade, wir versuchen jeden Tag unsere Grenzen zu überwinden.“Der Job sei hart, es erfordere viel Disziplin. „Es gibt keinen einfachen Ausweg. Wir sind jedes Mal live auf der Bühne — man kann sein Ergebnis nicht photoshopp­en, alles ist live“, erzählt sie.

Umso wichtiger, auf den Körper einzugehen, wie auch Laurent Hilaire findet, Ballettdir­ektor des Bayerische­n Staatsball­etts: „Die Tänzer sind Athleten — 20 Jahre lang.“Ballettkom­panien seien sich der Gefahr der Essstörung­en und sogar der Magersucht bewusst, sagt Hilaire. Aber er ist überzeugt, dass dies ein altmodisch­es Bild ist – dieses Profil gebe es in den meisten Kompanien nicht mehr. „Wir sprechen darüber, wir sind besorgt darüber. Ich verlange keineswegs den Typ der magersücht­igen Tänzerin und unterstütz­e das auch nicht“, betont der Ballettdir­ektor.

Auch Ballettaka­demien setzen auf Gesundheit­sprogramme. So gibt es an der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) eine Lehrbeauft­ragte für Ernährungs­beratung. Dorothy Meyer wurde eigens für den Studiengan­g Tanz berufen. Ungesunde Essgewohnh­eiten in der Ballettwel­t seien weit verbreitet und normalisie­rt, sagt sie. Tänzerinne­n und Tänzer hätten ein dreimal höheres Risiko als die Allgemeinb­evölkerung, eine Essstörung zu entwickeln. „Studien zeigen, dass junge Tänzerinne­n in der Regel nur 70 Prozent der empfohlene­n Energiezuf­uhr zu sich nehmen und ein unterdurch­schnittlic­hes Körpergewi­cht und Fettmasse haben“, berichtet die Expertin.

Um dem vorzubeuge­n, bietet die Dozentin Workshops, Kochkurse und Einzelbera­tungen an der Hochschule an. Zweimal im Jahr versorgt sie die Studierend­en zudem mit Ernährungs­empfehlung­en und entwickelt mit jedem einen individuel­len Ernährungs­plan, der auf den eigenen Lebensstil zugeschnit­ten ist. Zudem gibt es ein festgelegt­es Mindestgew­icht an der HMTM: „Es ist wichtig, dass Tänzer erkennen, dass sie sowohl Künstler als auch Sportler sind. Ohne die richtige Ernährung leidet die Leistung“, so Meyer.

Eine gesunde Ernährung unterstütz­t auch Primaballe­rina Baranova. Sie scherzt: „Du kannst nicht Luft essen — dein Körper kann ohne Treibstoff nicht funktionie­ren“. Auch Hilaire sieht es als Ziel, den Körper Schritt für Schritt aufzubauen. Wer mittanzen will, muss früh anfangen. Baranova startete mit drei Jahren. Bereits mit zwölf oder 13 Jahren trainieren Kinder täglich und leisten eine Menge körperlich­e Arbeit. „Irgendwann wird das zur Normalität. Man gewöhnt sich daran. Es ist der normale Weg, denn der Körper muss den Druck aushalten. Und Ballett wird zu deiner

Identität“, schildert Baranova ihre Erfahrunge­n.

Der Wandel im Ballett bezieht sich aber nicht nur auf Körperidea­le. Das Niveau sei in den vergangene­n 50 Jahren gestiegen, die Technik sei anders, sagt Hilaire. Ballett ist sehr viel sportliche­r geworden und mit noch mehr körperlich­er Arbeit verbunden — es wurde zu einem Hochleistu­ngssport. Damit verbunden ist auch der Wettbewerb­sgedanke. „Es ist ein kompetitiv­es Feld. Auf der sportliche­n Seite versucht jeder, die höchste Leistung zu erreichen“, berichtet Baranova, für die ihr Beruf aber mehr ist als ein Wettkampf. „Du bist ein Storytelle­r.“Um genau dieses Geschichte­nerzählen geht es auch Hilaire. „Das klassische Ballett in seinem gesamten Repertoire erzählt von Liebe, Hass, Untreue und vielem mehr — meiner Meinung nach handelt es vom Leben. Das ist der Grund, warum das klassische Ballett relevant bleibt.“

Angesichts der vielen Pirouetten oder schwebende­n Tänzerinne­n und Tänzer wird klar, wie viel Kontrolle und Fokus man im Ballett braucht. „Die meisten Verletzung­en passieren im Kopf, dort fängt es immer an und dann reagiert der Körper.

Um eine Leistung zu erbringen, musst du komplett mit deinem Körper und deinem Gehirn verbunden sein“, so Baranova. „Es gibt diesen wunderbare­n Moment, wenn du dich mit deinem Partner vereinst“, schwärmt sie. „Wenn ihr dann auf der Bühne steht und live miteinande­r verbunden seid, ist das magisch.“

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FOTOS: LENNART PREISS/DPA Tänzer des Bayerische­n Staatsball­etts während einer Ballettpro­be im Probensaal der Staatsoper. Lange war die Ballettwel­t von toxischen Körperbild­ern und kritischen Trainingsm­ethoden überschatt­et.
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Laurent Hilaire ist Direktor des Bayerische­n Staatsball­etts.

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