Aalener Nachrichten

Die Lerche zwitschert nicht mehr

Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“bekommt bei der Premiere im Theatersaa­l viel Beifall

- Von Ansgar König

- Vom Puppenkind zur Puppenfrau zum Abgang. Die Protagonis­tin in Henrik Ibsens „Nora oder ein Puppenheim“macht eine große Wandlung durch. Regisseur Tonio Kleinknech­t stellt diese grundlegen­de Veränderun­g im Selbstvers­tändnis einer Frau in eine knallbunte Kulisse. Für seine Inszenieru­ng gab es so viel Beifall, dass sogar die Premierenf­eier etwas nach hinten rutschte.

Nora in Barbieland? Nein, keineswegs. Sie rechnet mit ihrem verstorben­en Vater und ihrem Ehemann gleicherma­ßen ab. Das, was Nora ihrem Torvald am Ende ins Gesicht brüllt, das hätte keine Barbie der Welt gesagt. „Ihr habt mich nie geliebt. Ihr hattet nur Spaß daran, euch in mich zu verlieben.“Und das auf einem überdimens­ionalen, gegen Ende zerbrechen­den Lebkuchenh­erz für „Leckermäul­er“. Überhaupt das Bühnenbild. Ariane Scherpf spricht eine deutliche Bildsprach­e: Das Glück steht auf wackligen Beinen.

Denn mitten im Glück beginnt die Geschichte. Drei süße Kinder, Weihnachts­geschenke, der Gatte vor der Beförderun­g zum Bankdirekt­or – bei den Helmers läuft’s. Aber im Hintergrun­d schwelt eine alte Geschichte: Nora hat mit einer gefälschte­n Unterschri­ft ihrem Mann eine Kurreise nach Italien ermöglicht und ihm damit das Leben gerettet. Die Sache droht aufzuf liegen, als Nils Krogstadt, nicht gut beleumunde­ter Angestellt­er der Bank, die Bühne betritt. Nora verstrickt sich zunächst in ein Lügennetz, und als sie endlich den Mut findet, ihrem Mann alles zu gestehen, ist der gar nicht begeistert und denkt nur an sich, seinen guten Ruf. Nora registrier­t endlich, dass sie als Frau in dieser Ehe nie auf so etwas wie Gleichbere­chtigung hoffen kann.

Das Programmhe­ft nennt zehn wichtige Meilenstei­ne der Frauenrech­te in Deutschlan­d. Wichtig für die Geschichte ist Punkt fünf: Ab 1962 dürfen Frauen ein eigenes Bankkonto eröffnen. Obwohl Ibsens Stück beinahe 150 Jahre alt ist – es ist aktuell. Kein Wunde, dass die Premiere kurz vor dem Internatio­nalen Frauentag am 8. März stattfinde­t. Dialog aus dem dritten Akt gefällig? Torvald: „In erster Linie bist du Gattin und Mutter!“. Nora: „Ich glaube, dass ich

vor allen Dingen Mensch bin, so gut wie du!“Aus der „zwitschern­den Lerche, dem zuckersüße­n Eichhörnch­en“ist eine selbstbewu­sste Frau geworden, die weiß, was sie will, und vor allem, was sie nicht will.

Julia Sylvester spielt die Nora mit viel Energie, kann „naiv“genauso gut wie „wütend“. Beim finalen „So! Jetzt ist es aus!“steht sie mit beiden Beinen mitten in der Rolle. Und, obwohl sie dies ihrem realen Ehemann Malte Sylvester, der den Torvald spielt, ins Gesicht wirft, strotzt es vor Verve. Eine gute Figur gibt auch die ans Aalener

Theater zurückgeke­hrte Kristine Walther als Noras Freundin Christine Linde ab. Arwid Klaws als Nils Krogstad hingegen darf außer einem leidenden Gesicht nicht allzu viel von seinem Können zeigen. Bernd Tauber als Dr. Rank hat zwar keine tragende Rolle, verknüpft sie aber mit viel Altersweis­heit.

Torvald: „In erster Linie bist du Gattin und Mutter!“. Nora: „Ich glaube, dass ich vor allen Dingen Mensch bin.“

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FOTO: THEATER DER STADT/PETER SCHLIPF Vor knallbunte­r Kulisse macht Nora (Julia Sylvester) eine große Wandlung durch – vom Puppenkind zur Puppenfrau bis hin zum großen Abgang.

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