Mehr Klartext als erwartet
Forscher der Uni Hohenheim haben 96 Bundestagsreden auf ihre formale Verständlichkeit untersucht
(KNA) - Wissenschaftler der Universität Hohenheim haben fast 100 Bundestagsreden aus der Haushaltsdebatte vom September 2023 untersucht – nicht auf ihren Inhalt, sondern allein auf ihre „formale Verständlichkeit“, die sich etwa aus der Länge oder Kürze der verwendeten Sätze oder Wörter ergebe.
Die am Dienstag in Stuttgart vorgestellte Studie ergab, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der stets besonders beachteten Aussprache über den Etat 2024 „formal etwas verständlicher“als Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprach. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) habe bei der Debatte über die Finanzplanung ihres Ministeriums „die formal verständlichste Rede abgeliefert“.
Verständlichkeitshürden seien beispielsweise Fremdwörter, Fachwörter, Bandwurmsätze oder Anglizismen. So sprach Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) etwa vom „Turnaround-Potenzial“der deutschen Wirtschaft trotz der schwächelnden Konjunktur. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte aus Sicht der Kommunikationsforscher besser nur vor einem „Schlechtreden“des Standorts Deutschlands gewarnt statt wie in seiner Rede vor einem „defätistischen Schlechtreden“.
Untersucht wurden 96 Reden, verschriftlicht von den Stenografen des Bundestages. Dabei schauten die Experten auf formale Kriterien wie die durchschnittliche Satz- oder Wortlänge. Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider sagte zur Frage, ob man gesprochene Reden als verschriftlichte Reden überhaupt analysieren und vergleichen könne: „Das ist der Preis, den wir als Wissenschaftler zahlen: Wir erfassen nicht die gesamte Güte einer Rede – nur die formale Verständlichkeit.“Eine gute Rede im Bundestag hänge natürlich auch vom Vortragsstil, den Betonungen oder bewusst gesetzten Pausen ab – und vor allem vom Inhalt. Doch: „Formale Unverständlichkeit stellt eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar“, sagte Studien-Mitautorin Claudia Thoms.
Brettschneider bilanzierte, die formale Verständlichkeit der 96 Reden sei insgesamt zufriedenstellend. „Die Verpackung ist so, dass der Zugang zum Inhalt nicht verwehrt wird“, sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Die Politikerinnen
und Politiker würden „das hohe Niveau vom Vorjahr“halten.
Schon einmal hatten die Hohenheimer Forscher Bundestagsreden untersucht. Bei einem Teil der Reden sei „aber noch Luft nach oben“, so Brettschneider. Es gebe Politiker, „denen man zurufen möchte: „Strengt euch mehr an, eure Themen leichter zugänglich zu machen!“Die Anregung zu der wissenschaftlichen Untersuchung hatte der Deutschlandfunk gegeben. Dessen Nachrichtenchef Marco Bertolaso sagte, die verständliche Vermittlung komplexer Zusammenhänge sei wichtig für das Funktionieren einer Demokratie gerade in krisenhaften Zeiten. Die „formal unverständlichsten Reden“hielten laut der Studie die Bundestagsabgeordnete Claudia Raffelhüschen (FDP) und die Ravensburger Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger. „Ihre Sätze sind im Schnitt etwa doppelt so lang wie jene von StarkWatzinger“, hieß es.
Ganz vorne bei der Verständlichkeit stehen unter den Kabinettsmitgliedern – nach StarkWatzinger – Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Beide hätten damit im Vergleich zum Vorjahr Plätze gutgemacht. Den letzten Platz belege – erneut – die Rede von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne).
Ein weiteres Fazit der Kommunikationswissenschaftler: Die Haushaltsreden der Politiker im Bundestag waren „etwas verständlicher als die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der DAX-40-Unternehmen im Jahr 2023“.