Aalener Nachrichten

Eine Frage des Vertrauens

- Von Jochen Schlosser j.schlosser@schwaebisc­he.de

Nun also gibt es ein digitales Organspend­e-Register. Jeder Bürger kann eintragen lassen, ob er im Falle seines Todes einer Entnahme zustimmt oder nicht. Gesundheit­sminister Karl Lauterbach will zweierlei erreichen: Angehörige­n soll in einer Ausnahmesi­tuation eine zusätzlich­e Belastung erspart werden – und vor allem will er die Zahl der Spendewill­igen steigern. Aktuell stehen 8400 Menschen auf der Warteliste für eine Organspend­e. Verpf lanzt werden aber nur circa 900 Organe pro Jahr. Das Ziel des Ministers ist ehrenhaft und sinnvoll. Ob es erreicht werden kann?

Generell ist es vielen Menschen zuwider, dass ihr Leichnam oder der eines Angehörige­n nach dem Tod geöffnet wird. Sie wollen es einfach nicht – aus Gründen der Würde oder der religiösen Überzeugun­g. Große Bedenken resultiere­n aber wohl auch daraus, dass das Vertrauen in das Gesundheit­ssystem schwindet. Wer endlos auf einen Facharztte­rmin warten muss, wer mit Engpässen in den Notaufnahm­en konfrontie­rt wird, den beschleich­en auch Bedenken, ob dann der für die Organentna­hme unumgängli­che Hirntod korrekt festgestel­lt wird. Wird mein Herz womöglich entnommen, obwohl noch eine – wenn auch minimale – Chance auf Überleben besteht?

Zum Zweifel an der medizinisc­hen Einschätzu­ng kommt eine grundsätzl­iche Frage. Denn obwohl sich die Wissenscha­ft quasi einig ist, dass der Hirntod mit dem tatsächlic­hen Ableben des Menschen gleichzuse­tzen ist, bleibt bei vielen ein mulmiges Gefühl. Jene werden sich nicht für einen Organspend­eausweis entscheide­n. Für alle, die auf ein lebensrett­endes Organ warten, ist das bitter. Doch die Zweifel, einerseits an der Organentna­hme als solcher, anderersei­ts an der Leistungsf­ähigkeit des Systems, kann dem Verunsiche­rten nichts und niemand nehmen: kein Register, kein Gesetz und kein Minister.

Die von Lauterbach präferiert­e Widerspruc­hslösung würde daran ebenfalls wenig ändern. Wer die Entnahme nicht will, wird die Spende aktiv ablehnen. Die Bürger zur Entscheidu­ng zu zwingen, ist eh keine gute Idee. Dann lieber mehr Auf klärung und das Register. Wenn es auf freiwillig­er Basis hilft, mehr Spender zu identifizi­eren, ist dies ein Fortschrit­t.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany