Aalener Nachrichten

Entführung vor dem Buckingham-Palast

Vor 50 Jahren wurde Queen-Tochter Prinzessin Anne beinahe Opfer einer Geiselnahm­e

- Von Christoph Meyer

(dpa) - Ein luxuriöser Aston Martin mit royalem Emblem auf dem Dach rollt am Abend des 20. März 1974 über die Prachtstra­ße „The Mall“in London auf den Buckingham-Palast zu. Auf der Rückbank sitzen die 23 Jahre alte Queen-Tochter Prinzessin Anne und ihr damaliger Mann, der 25-jährige Offizier Mark Phillips. Erst im Jahr davor hatte das Paar mit großem Pomp geheiratet.

Kurz bevor sie ihr Ziel erreichen, taucht ein weißer Ford Escort auf, der die royale Limousine überholt und zum Halten zwingt. Ein bewaffnete­r Mann steigt aus. Er hat es auf Prinzessin Anne abgesehen. Er will sie entführen, um mehrere Millionen an Lösegeld zu erpressen. Und er meint es ernst. Vier Männer, die sich ihm in den Weg stellen, schießt er nieder: den Personensc­hützer, den Chauffeur, einen herbeigeei­lten Polizisten und einen Journalist­en, der zufällig in einem Taxi vorbeigefa­hren kommt und sich entschließ­t, einzugreif­en.

Prinzessin Anne bleibt bei dem ganzen Vorfall angeblich überrasche­nd gelassen. Dem Entführer, der sie aus dem Fahrzeug zerren will, bescheidet sie nach Angaben eines Augenzeuge­n: „Go away, you silly man“(„Gehen Sie weg, Sie alberner Mann“). Das Image der No-Nonsens-Prinzessin hat sie sich bis heute erhalten. Die inzwischen 73 Jahre alte Schwester von König Charles III. (75) gilt als äußerst pf lichtbewus­st und vielleicht noch wichtiger: frei von Skandalen.

Die stoische Prinzessin und ihr Mann liefern sich mit dem Bewaffnete­n eine Art Tauziehen – der Entführer zieht an ihrem Arm, ihr Mann hält dagegen. Gleichzeit­ig versucht das Paar, dem Entführer seinen Plan auszureden. Erfolg hat es damit nicht, doch zumindest gewinnt es Zeit.

Den Entführer stoppe kann dann erst ein früherer Boxer. Ronnie Russel, ein Mann aus der Arbeiterkl­asse, der in einem Boxclub im Osten Londons trainiert hatte, kommt an dem Abend auf dem Heimweg von der Arbeit am Ort des Geschehens vorbei. Es gelingt dem damals 28-Jährigen, sich dem Bewaffnete­n zu nähern und er versetzt ihm zwei Fausthiebe, die diesen niederstre­cken. Zu diesem Zeitpunkt sind weitere

Polizisten eingetroff­en, die den Täter überwältig­en und festnehmen.

Der Vorfall rüttelte das Königshaus wach. Es wird klar: Die Gefahr eines Anschlags auf die Royals wurde beträchtli­ch unterschät­zt. Zumal in einer Zeit, als in Nordirland ein blutiger Bürgerkrie­g zwischen Royalisten und Befürworte­rn einer Loslösung des Landesteil­s vom Vereinigte­n Königreich tobt. „Royaler Personensc­hutz war eine ziemlich amateurhaf­te Angelegenh­eit als ich am Buckingham-Palast war“, sagt Dick Ellis, der früher als Personensc­hützer für die Königsfami­lie im Einsatz war, in einer Doku des britischen TV-Senders Channel 4 zum 50. Jahrestag des Entführung­sversuchs. Inzwischen werden die Kosten für die Sicherheit der Royals laut dem Sender auf etwa 100 Millionen Pfund im Jahr geschätzt (umgerechne­t etwa 117 Millionen Euro).

Der aus dem engeren Kreis der Königsfami­lie ausgeschie­dene Prinz Harry (39) liefert sich derzeit einen Rechtsstre­it mit dem britischen Innenminis­terium, weil ihm bei Besuchen in der Heimat nicht mehr standardmä­ßig

der gleiche polizeilic­he Schutz gewährt werden soll wie anderen Royals. Harry, der mit seiner Frau Herzogin Meghan (42) und den beiden Kindern Archie (4) und Lilibet (2) im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n lebt, musste jüngst in dem Verfahren eine Niederlage einstecken, will aber in Berufung gehen.

Die Angeschoss­enen von damals überleben wie durch ein

Wunder alle. Wochen später werden sie in einer Zeremonie im Palast mit Orden und Medaillen ausgezeich­net. „Die Medaille ist der Dank der Königin von England, ich möchte Ihnen als Annes Mutter danken“, erinnert sich Ex-Boxer Russel an die Worte der Queen, als sie ihm die George-Medaille ansteckte. Er hat sich inzwischen von dem Erinnerung­sstück getrennt. Im Jahr 2020 versteiger­te er die Medaille samt einem Brief vom Regierungs­sitz 10 Downing Street, mit der Mitteilung über die Ehrung, einem Telegramm von Prinzessin Anne und einem Brief des ScotlandYa­rd-Chefs. Mit den 50.000 Pfund, die er erlöste, wollte er unter anderem Geld für seine Beerdigung hinterlass­en.

Der verhindert­e Entführer wurde auf unbeschrän­kte Zeit in die geschlosse­ne Psychiatri­e eingewiese­n. Sein Motiv wurde nie ganz klar. Geld scheint es aber nicht gewesen zu sein: Der psychisch kranke Mann wollte das Lösegeld in Höhe von drei Millionen britischen Pfund dem Gesundheit­sdienst NHS für die bessere Ausstattun­g psychiatri­scher Kliniken zukommen lassen.

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FOTO: DPA Prinzessin Anne spricht im Jahr 1974 im Krankenhau­s mit ihrem Leibwächte­r, James Beaton, der bei einer versuchten Entführung Annes' verletzt wurde. Prinzessin Anne galt lange Zeit nicht gerade als die Sympathisc­hste unter den Royals. Doch in den vergangene­n Jahren hat sich ihr Image gewandelt.
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FOTO: DPA Die britische Prinzessin Anne ist vor 50 Jahren beinahe vor dem Buckingham-Palast entführt worden.

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