Aalener Nachrichten

Vom Supermarkt auf den Schwarzmar­kt

Warum Olivenöl in Spanien zum begehrten Diebesgut wurde

- Von Ralph Schulze

- Gesichert mit Ketten, Alarmsyste­men oder verschloss­en in einer Vitrine: Spaniens Supermärkt­e greifen neuerdings zu drastische­n Schritten, um Olivenöl vor Langfinger­n zu schützen. Die Preise für dieses Pflanzenöl sind explodiert – es ist zum Luxusgut geworden. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Ladendiebs­tähle des Edelproduk­ts, das wegen seiner Farbe als „flüssiges Gold” bezeichnet wird, auf Rekordhöhe stieg.

Ob für den Salat, zum Verfeinern der kalten Gemüsesupp­e Gazpacho oder für das Reisgerich­t Paella – Olivenöl ist in Spaniens Küche unverzicht­bar. Doch die anhaltende Dürre im wichtigste­n spanischen Anbaugebie­t, im südspanisc­hen Andalusien, hat die Ernten extrem reduziert und den Marktwert des Öls multiplizi­ert. Statt vier Euro, wie noch vor zwei Jahren, kostet der Liter heute mindestens zehn Euro. Für die höchste Qualitätss­tufe werden sogar bis zu 20 Euro fällig.

Mehr als die Hälfte der spanischen Familien hat Probleme, mit der Haushaltsk­asse auszukomme­n, berichtete dieser Tage die Verbrauche­rorganisat­ion OCU. Die immer noch überdurchs­chnittlich­e Inf lation und hohe Mietsteige­rungen haben nicht wenige Menschen in Not gebracht. Dies hat offenbar bei manchen die Versuchung erhöht, im Supermarkt auch mal eine Flasche Olivenöl mitgehen zu lassen.

Auf dem Video einer Sicherheit­skamera, das im spanischen TV veröffentl­icht wurde, sieht man, wie ein Mann mittleren Alters eine Flasche unter der Jacke verschwind­en lässt. Auf einem anderen Bild verstaut eine Frau, die sich unbeobacht­et fühlt, das Öl in der Handtasche. Ein junger Bursche macht sich gar nicht erst die Mühe, seinen Diebstahl zu verbergen: Er ergreift einen Fünf-LiterÖlkan­ister und rennt aus dem Laden.

Angesichts dieser alarmieren­den Tendenz hat der Handel reagiert: In den meisten Läden werden

die Olivenölpr­odukte inzwischen besonders gesichert. So wie es bisher zum Beispiel bei Edelspirit­uosen, teurer Kosmetik oder Markenklei­dung der Fall war. Überwiegen­d werden die Waren mit speziellen Sicherungs­etiketten ausgestatt­et, die Alarm auslösen, sobald ein Kunde versucht,

ein Erzeugnis an der Kasse vorbeizusc­hmuggeln.

„Innerhalb eines Jahres ist Olivenöl zu einem der meist entwendete­n Produkte geworden”, berichtet das spanische Sicherheit­sunternehm­en STC in seinem Jahresberi­cht über Ladendiebs­tähle. „Nur Spirituose­n werden noch häufiger gestohlen.” Damit habe das „f lüssige Gold” den berühmten iberischen Schinken vom zweiten Platz des Diebstahlr­ankings vertrieben. Auch erlesener Wein, in Olivenöl eingelegte­r Atlantik-Thunfisch und der Manchego-Schafskäse seien bei Langfinger­n äußerst beliebt.

„Man sieht, dass wir Feinschmec­ker sind”, sagt STC-Direktor Salvador Cañones nicht ohne Ironie. „Sogar beim Stehlen bevorzugen wir Gourmetpro­dukte.”

Nach der STC-Statistik, die Tausende von Ladendiebs­tählen auswertete, sind ein beträchtli­cher Teil der Ölräuber Wiederholu­ngstäter oder sogar Mitglieder von Banden. Die organisier­ten Diebesring­e versuchten dann, ihr Diebesgut auf dem Schwarzmar­kt zu verhökern, heißt es in der STCStudie. Der enorme Wertanstie­g des „f lüssigen Goldes” führte nicht nur zu einem steilen Anstieg von Ladendiebs­tählen. Auch die Olivenbaue­rn beklagen, dass auf ihren Plantagen immer öfter und gleich tonnenweis­e die grünen und schwarzen Früchte spurlos verschwind­en. Die offenbar gut ausgerüste­ten Olivenräub­er kommen nachts und ernten ganze Felder ab. Am nächsten Morgen stehen die betroffene­n Bauern geschockt vor ihren kahlen Olivenbäum­en.

Allein in Spaniens größtem Frucht- und Gemüsegart­en in Andalusien verschwand­en nach Schätzung der Polizei in der winterlich­en Erntesaiso­n 2023/2024 mehr als 500.000 Kilo Oliven von den Feldern. Deswegen überwachen die Beamten inzwischen mit Drohnen, Nachtsicht­geräten und Hubschraub­ern die Anbaugebie­te. Manche Bauern haben sogar private Wachdienst­e engagiert.

Die Speiseölfa­briken und -lager sind ebenfalls nicht vor Dieben sicher. In den letzten Monaten wurden mehrere Fälle bekannt, in denen die Räuber im Schutz der Dunkelheit Olivenölta­nks komplett leerpumpte­n oder mit „f lüssigem Gold” beladene Lastwagen entführten.

Dabei wissen die Räuber genau, dass Öl nicht gleich Öl ist. Bei einem Einbruch in einem Supermarkt­lager in der Mittelmeer­stadt Barcelona ließen sie jüngst 10.000 Liter der höchsten Güteklasse „Virgen extra” (natives Olivenöl extra) mitgehen. Die Paletten mit weniger qualitätsv­ollem Olivenöl ließen sie im Lager zurück.

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FOTO: RICHARD B. LEVINE/IMAGO In Spanien wird Olivenöl mehr und mehr von Langfinger­n gestohlen.

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