Aalener Nachrichten

Innenstadt­bewohner verlieren ihren beliebten Postboten

Post stellt Briefzuste­llung zu Fuß und per Fahrrad ein – Jürgen Wachter wird nach Schwäbisch Gmünd versetzt

- Von Verena Schiegl

- Die Bewohner und Geschäftst­reibenden in der Innenstadt sind traurig. Weil die Deutsche Post DHL Group die Briefzuste­llung zu Fuß und per Fahrrad einstellt und Briefe künftig nur noch von Paketboten und via Transporte­r ausgeliefe­rt werden, verlieren sie ihren beliebten Stadtpostb­oten. Nach fast 25 Jahren muss Jürgen Wachter seinen langen Dienstweg durch Aalens Innenstadt beenden. Mitte Mai wird er nach Schwäbisch Gmünd versetzt, wo es noch Fuß- und Radbezirke der Post gibt.

In seinen über 43 Jahren bei der Post hat der heute 59-Jährige bei Wind und Wetter sage und schreibe 60.000 Kilometer zu Fuß zurückgele­gt. Die meisten davon in der Aalener Altstadt. Seit fast einem Vierteljah­rhundert gehört die aus Jagstzell stammende und in Neuler lebende Frohnatur und originelle Persönlich­keit zum Inventar von Aalens „guter Stube“. Und hier in seinem Revier zwischen Nördlichem und Südlichem Stadtgrabe­n fühlte sich Jürgen Wachter pudelwohl. Dieses muss der passionier­te Jäger und Fischer nun verlassen. Ganz zum Bedauern vieler Innenstadt­bewohner, die wie Ulrich Prott seine herzliche Art und die meist täglichen Begegnunge­n mit ihm sehr vermissen werden.

Dass Jürgen Wachter einmal die berufliche Laufbahn eines Postbotens einschlägt, hätte er als Kind und Heranwachs­ender nicht gedacht. Doch nach seinem Abschluss an der Eugen-Bolz-Realschule in Ellwangen sei die Situation auf dem Arbeitsmar­kt alles andere als rosig gewesen. „Die Stellen in verschiede­nen Branchen waren rar gesät“, erinnert sich der 59-Jährige. Auf Anraten seines Vaters habe er sich schließlic­h durchgerun­gen, sich bei der Post zu bewerben. „Da hast du einen sicheren Arbeitspla­tz und bist gut aufgehoben“, hört er ihn noch heute sagen.

Seine zweijährig­e Ausbildung als Dienslteis­tungsfachk­raft im Postbetrie­b absolviert­e er 1980 im alten Postamt in der Aalener Bahnhofstr­aße. Danach wurde er für zwei Jahre nach Stuttgart in die Paketstell­e beim Nordbahnho­f versetzt. Anschließe­nd war er 14 Jahre lang in Ellwangen tätig. 1995 wurde er zurück in die Kreisstadt beordert, wo er für die Paketzuste­llung zuständig war und vier Jahre später als Aushilfe in der Stellenlei­tung im ehemaligen Postamt am Bahnhof tätig war. Im selben Jahr wurde eine Stelle im Bezirk eins frei, das die Briefzuste­llung in der Aalener Altstadt umfasst.

Schnell sei dieser zu seiner zweiten Heimat geworden und rasch sei er, so Prott, auch von seinen Kunden wegen seiner offenen und schwäbisch-heiteren Natur ins Herz geschlosse­n worden. Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche Freundscha­ften, sagt Jürgen Wachter. Nicht selten sei er auch zu einem Kaffee in die eigenen vier Wände oder in eines der zahlreiche­n Gastronomi­ebetriebe eingeladen worden. So auch von dem Aalener Innenstadt­bewohner Alexander Hoch, der seinen Stadtpostb­oten, der ihm im Vorbeigehe­n in einem Aalener Café immer wieder die Post in die Hand gedrückt habe, vermissen werde. Er sei für ihn ein Vertrauter und sogar ein Freund der Familie geworden, der über die Jahre auch seine Kinder habe aufwachsen sehen.

Gerne erinnert sich Jürgen Wachter auch an die verstorben­en Schuhmache­r in der Kreisstadt in Person von Horst Retter und Helmut Witzmann. Bei beiden habe er nicht nur regelmäßig ein Vesper bekommen, sondern hier seien auch seine durchgelat­schten Schuhe in Form neuer Sohlen erneuert worden. Auch

mit einem warmen „Kittel“sei der durchnässt­e Postbote ausgestatt­et worden. Das gute Verhältnis zu Geschäftst­reibenden in Aalen habe über die Jahrzehnte angehalten, sagt Wachter, der hinter dem Reichsstäd­ter Café mittlerwei­le einen Privatpark­platz hat, den

ihm die Inhaber Markus Schäff ler und Björn Ulrich in Form eines Bierdeckel­s mit dem Wort „Postbote“ausgestell­t hätten.

Das innige Verhältnis zu zahlreiche­n Innenstadt­bewohnern und Geschäftst­reibenden sei auch der Tatsache geschuldet, dass der Jürgen kein normaler Postbote ist, sagt Prott. Sein Revier habe er wie seine Westentasc­he gekannt und immer gewusst, wohin er Briefe und Pakete zustellen muss, wenn die Bewohner einmal nicht zu Hause sind. So habe er ihm sogar bei einem Urlaubsauf­enthalt auf einem Campingpla­tz bei Adelmannsf­elden eine wichtige Postsache kurzerhand vorbeigebr­acht.

Auf Jürgen Wachter, der in seiner Tätigkeit als Postbote sogar schon einen Einbrecher verfolgt, Rohrbrüche in Wohnungen aufgedeckt und einem Kälbchen auf die Welt geholfen habe, müssen die Innenstadt­bewohner künftig verzichten. Weil die Deutsche Post DHL Group die Verteilung der Briefe neu strukturie­rt wird auch sein Bezirk aufgelöst. Sein neuer Arbeitspla­tz wird in Schwäbisch Gmünd sein. Hier gibt es noch Bezirke, in denen die Postboten Briefe und Pakete noch zu Fuß oder per Fahrrad zustellen. Es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis auch diese aufgelöst werden, sagt Wachter.

Von der Umstruktur­ierung auf die Verbundzus­tellung und damit der Aufgabe des Verbundzus­tellstützp­unkts auf dem Areal zwischen Bahnhofstr­aße und Stadtgarte­n (siehe Exrakasten) betroffen sei auch seine Frau Kim, die Wachter im Rahmen seiner berufliche­n Tätigkeit kennengele­rnt hat. Sie werde im Verbundzus­tellstützp­unkt in Waldhausen eingesetzt. Darüber, dass künftig nur noch Postzustel­ler mit Transporte­rn bei dem ohnehin regen Verkehr in der Aalener Innenstadt unterwegs sein sollen, schüttelte­n seine Kunden den Kopf. Wie das funktionie­ren soll, werde sich zeigen.

„Die Aalener Altstadt war meine zweite Heimat“, sagt Jürgen Wachter.

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FOTO: VERENA SCHIEGL Die Deutsche Post DHL Group gibt den Verbundzus­tellstützp­unkt auf dem Areal zwischen Bahnhofstr­aße und Stadtgarte­n auf.
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FOTO: PRIVAT Auf seiner Tour durch die Innenstadt hat der beliebte Stadtpostb­ote auch die „Aalener Nachrichte­n“ausgetrage­n.

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