Aalener Nachrichten

Ein Knochenfun­d und viele Fragen

Zweijährig­er Émile vor neun Monaten in Südfrankre­ich verschwund­en – Polizei findet Schädel des Jungen

- Von Christine Longin ●

- Der Bürgermeis­ter des südfranzös­ischen Alpendorfe­s Le Vernet ist derzeit ein gefragter Mann. Immer wieder muss sich François Balique zum Fund der Überreste des zweijährig­en Émile äußern, die nach neunmonati­ger Suche am Osterwoche­nende von einer Spaziergän­gerin entdeckt wurden. „Wir kennen weder das Datum noch den Ort noch die Todesursac­he“, zitiert die Zeitung „Le Parisien“den Rentner, der seit Jahrzehnte­n Bürgermeis­ter von Le Vernet, 170 Kilometer nördlich von Marseille, ist.

Balique war wie die meisten der 130 Einwohner seines Dorfes überrascht, dass Schädel und Zähne des Jungen gut einen Kilometer entfernt im Unterholz lagen. Denn das Gebiet, wo die Spaziergän­gerin die Knochen fand, war in den vergangene­n Monaten mehrmals intensiv abgesucht worden – mit Hunden, Wärmekamer­as und aus der Luft. Im Sommer zogen dort die Wanderer durch, im Herbst die Jäger. Die Gemeinde ließ außerdem einige Bäume fällen, ohne dass jemand etwas bemerkte.

Es gebe eine „minimale“Wahrschein­lichkeit, dass die Ermittler die Überreste von Émile bei ihrer Suche übersehen hätten, sagte Polizeispr­echerin Marie-Laure Pezant in einem Radiointer­view. Das Gebiet am Fuße des Massivs Trois Evêchés sei sehr steil und schwer zugänglich. Es kann allerdings auch sein, dass die Knochen damals noch nicht am Fundort lagen. Sie könnten durch die starken Regenfälle der vergangene­n Tage dorthin gespült worden sein. Auch ein Tier oder ein Mensch könnten die Überreste dorthin gebracht haben. „In diesem Stadium werden alle Hypothesen geprüft“, bemerkte Pezant.

Erst am Donnerstag hatten die Ermittler einen Tag lang den Fall Émile, der seit Monaten ganz Frankreich beschäftig­t, mit der Familie und den Augenzeuge­n nachgestel­lt. Das Kind war am 8. Juli nachmittag­s aus dem Haus seiner Großeltern verschwund­en, wo es die Ferien verbrachte. Zwei Zeugen sahen Émile noch eine Straße entlang gehen, danach fehlte jede Spur. In den ersten Tagen nach seinem Verschwind­en suchten 800 Freiwillig­e, Polizisten und Feuerwehrl­eute vergeblich nach dem Zweijährig­en.

Seit dem Fund des Schädels sind erneut rund hundert Polizistin­nen und Polizisten mit Spürhunden, Drohnen und Wärmebildk­ameras im Einsatz. „Wir lassen die Besten kommen“, sagte der zuständige Kommandeur der

Gendarmeri­e. Es fehlen sowohl die Kleider des Jungen als auch die restlichen Knochen. Denn dass die Gerichtsme­diziner nur anhand des Schädels die Todesursac­he finden, ist eher unwahrsche­inlich. Es sei denn, der Junge bekam einen Schlag auf den Kopf oder verletzte sich bei einem Sturz.

Bürgermeis­ter Balique sperrte den oberen Teil seines Dorfes, wo das Kind verschwand, für eine Woche ab, damit die Polizei ihre Suche ungehinder­t fortsetzen kann. „Ich kann nicht aufhören zu glauben, dass ein Erwachsene­r an dieser Angelegenh­eit beteiligt ist. Émile wäre nie allein dorthin gegangen, wo man ihn gefunden hat“, sagte Balique dem „Parisien“. Die Eltern hatten am Wochenende über ihren Anwalt reagiert. „Auch wenn diese herzzereiß­ende Nachricht befürchtet wurde, ist jetzt die Zeit der Trauer,

der Besinnung und des Gebets“, hieß es in einer Erklärung.

Die Großeltern Émiles, die in der Nähe von Aix-en-Provence leben, hatten das Ferienhaus in Le Vernet vor rund 20 Jahren gekauft und verbringen seither zusammen mit ihren zehn Kindern regelmäßig den Sommer dort. Marie, die Mutter von Émile und der einjährige­n Alaïs, ist die Älteste des streng gläubigen Clans. Ihre Geschwiste­r, von denen das jüngste sieben Jahre alt ist, werden zu Hause unterricht­et, statt in die staatliche Schule zu gehen. Der Vater des Jungen gehörte zur rechtsextr­emen Gruppierun­g Bastion Social, die 2019 aufgelöst wurde. In den Wochen nach dem Verschwind­en lebten mehr als ein Dutzend Mitglieder der Familie abgeschott­et im Haus der Großeltern. Nur einmal täglich kam ein Priester, um die Messe zu feiern.

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FOTO: DURAND THIBAUT/IMAGO Im Fall des im Sommer verschwund­enen zweijährig­en Émile geht die Suche nach Spuren weiter. Seit dem Fund des Schädels in Le Vernet sind rund hundert Polizisten im Einsatz.

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