Das Krankenhaus der Zukunft
ARD-Serie „Charité“macht in der vierten Staffel einen Zeitsprung ins Jahr 2049
Zeitsprünge in Fernsehserien bergen immer ein gewisses Risiko: Einerseits bergen sie reizvolle erzählerische Möglichkeiten, andererseits bedeuten sie oft den Abschied von geliebten Konstellationen und Figuren. Anhänger der auch international erfolgreichen ARD-Krankenhaus-Serie „Charité“sollten an solche Epochen- und Personalwechsel eigentlich gewohnt sein: Die erste Staffel spielte im 19. Jahrhundert und legte den Schwerpunkt auf den Virologen Robert Koch. Die zweite Staffel war in der Zeit des Nationalsozialismus angesiedelt und fokussierte sich auf den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch, die dritte Staffel handelte zur Zeit des Baus der Berliner Mauer. Dennoch regte sich im Vorfeld der neuen Staffel Unmut im Netz. Einige Fans hatten sich wohl einen Sprung in die Gegenwart und etwa die Thematisierung der Corona-Pandemie gewünscht, Christian Drosten als Serienfigur inklusive. Aus deren Sicht sprangen die Serienmacher weit über das Ziel hinaus – nämlich bis ins Jahr 2049.
Eine so originelle wie mutige Entscheidung und logischerweise ist es dann auch fiktives Personal, das die neue Staffel bevölkert. So kehrt hier die international anerkannte Spitzenforscherin Maral Safadi (Sesede Terziyan) mit ihrer Frau, der Gynäkologin Julia Kowalczyk (Angelina Häntsch), aus Boston an ihre frühere Wirkungsstätte zurück, um das Institut für Mikrobiologie an der Berliner Charité zu leiten. Dort arbeitet auch Maral Safadis Mutter Seda (Adriana Altaras), die allerdings mit dem Engagement ihrer Tochter als Beraterin von Gesundheitsminister
Thomas Nguyen (Hyun Wanner) hadert: Denn nach dessen Reform bewerten Krankenkassen ihre Mitglieder mit einem Score – und wer allzu ungesund lebt oder aus Sicht der Kasse nicht genug zur Therapie beiträgt, kann von lebenswichtigen Operationen ausgeschlossen werden. Für die einen der Einstieg in die schöne neue Gesundheitswelt voller Eigenverantwortung, für Seda und die Demonstranten vor der Charité eine Maßnahme unter der vor allem sozial Schwache leiden und die so gar nichts mit der „Barmherzigkeit“zu tun hat, die das Krankenhaus im Namen trägt.
Um diesen Grundkonflikt herum werden noch weitere Bedrohungen wie die fortschreitende Erderwärmung, Mikroplastik und neue Bakterienstämme grupiert. Aber auch das enorme Potenzial medizinischen Fortschritts
wird sichtbar: Da bringt etwa der Neurotechnologe Dr. Ferhat Williamson (Timur Işık) mit einer neuartigen Traumatherapie eine gelähmte junge Patientin wieder zum Laufen oder lässt Komapatienten virtuelle Welten erleben.
Den Serienmachern war es erkennbar wichtig, nach dem heutigen Forschungsstand plausible Entwicklungen zu präsentieren und dafür haben sie wissenschaftliche Experten unter anderem von der derzeitigen Charité herangezogen, die auch in einem Making of des „Brisant“-Magazins und der Sendung „Hirschhausen – Medizin von morgen“zu Wort kommen. Das führt allerdings dazu, dass man vor allem in den ersten Folgen den Eindruck bekommt, dass all diese faszinierenden Szenarien fein säuberlich abgearbeitet werden sollen. Erst zum Ende hin nimmt die Serie
dann auch dramaturgisch an Fahrt auf.
Dazu kommt eine zweischneidige Entscheidung, denn die Charité der Zukunft liegt – in Portugal. Gedreht wurde auf dem Campus der Champalimaud Stiftung nahe Lissabon, der in der Tat angemessen futuristisch aussieht und kühne Architektur mit regem Pf lanzenbewuchs verbindet. Obwohl dies also ein real existierender Schauplatz ist, verleiht er der Serie aber die eher unwirkliche Ästhetik vieler Science-Fiction-Produktionen, die oft in isolierten Räumen zu spielen scheinen.
Wie das alltägliche Leben im tropischen Deutschland des Jahres 2049 aussehen könnte, davon gibt die neue „Charité“-Staffel nur einen geringen Einblick. Gerade in Kombination mit den Dokus ergibt sich aber dennoch eine reizvolle Kombination, die auch aktuelle Entwicklungen wie den Trend zu „Scores“(dt. Punktwerten) und Bonusprogrammen zumindest hinterfragen lässt – gute Science-Fiction sagt ja immer auch einiges über die Gegenwart aus,
Die vierte Staffel „Charité“
dem 5. April in der ARD Mediathek zu sehen und läuft ab dem 9. April um 20.15 Uhr im Ersten
(bis zum 11. April jeweils zwei Folgen).
Ergänzend gibt es „Hirschhausen – Medizin von morgen“am 9. April um 21.55 Uhr sowie ein „Brisant-Making-of“ab 5. April in der ARD Mediathek.