Aalener Nachrichten

Von Alawich bis Zarah

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

1

300 Jahre Kloster Reichenau – dieses Jubiläum wird 2024 allumfasse­nd gefeiert, unter anderem ab 20. April mit einer spektakulä­ren Großen Landesauss­tellung in Konstanz. Ein kleiner Nebenaspek­t vorneweg: Wenn es um die Blütezeit dieses geistigen Zentrums im frühen Mittelalte­r geht, rücken auch seine bedeutende­n Äbte ins Blickfeld. Heito, Erlebald, Walahfrid, Hatto, Alawich, Witigowo … Dabei fällt auf: Das sind allesamt Vornamen germanisch­en Ursprungs, die nicht mehr existieren – und davon gibt es Hunderte. Was sich leicht erklären lässt: Vom 12. Jahrhunder­t an wurden zunehmend Taufnamen aus dem christlich­en Umfeld die Regel, also nach Gestalten der Bibel oder nach Heiligen. Deswegen sind viele dieser althochdeu­tschen Namen heute auch nur noch schwer zu deuten.

Nehmen wir Witigowo, in dessen Amtszeit von 985 bis 996 die Strahlkraf­t des Klosters mit seiner berühmten Malerschul­e ihren Höhepunkt erreichte: Wahrschein­lich stammt dieser Name aus dem niedersäch­sischen Raum. Der erste Bestandtei­l geht wohl auf das germanisch­e Wort wid, wit, widu für Wald, Holz, Baum zurück, das auch im englischen wood steckt. So wäre Witigowo als Bewohner eines Waldgaus zu interpreti­eren. Da fällt einem natürlich auch Widukind ein, jener Anführer der Sachsen, der Kaiser Karl dem Großen um 780 erbitterte­n Widerstand leistete. Auf dieselbe Wurzel gehen zudem eher seltene Namen wie Witold oder Widmar zurück – aber auch Guido, ursprüngli­ch Wido, der dann in seiner romanisier­ten Form ein Modename wurde. Während der Bestandtei­l Witinicht unbedingt an Wald denken lässt, ist es bei anderen Namen umgekehrt – und da liegt man dann falsch. Namen wie Waldemar, Wal(d)ram und Walt(h)er oder Wal(d)burga, Wal(d)traut und Waldhild haben nichts mit Wald zu tun, sondern gehen auf ein altes Verb waltan im Sinn von walten, herrschen zurück. Da der zweite Bestandtei­l -mar in germanisch­en Namen immer für groß, berühmt

steht, bedeutet der Name Waldemar also berühmter Herrscher.

Damit wäre ganz nebenbei auch die alte Blödelei „Er heißt Waldemar, weil es im Wald geschah“als Nonsens widerlegt. Mit Zarah Leanders Gassenhaue­r „Waldemar“

von 1940 hat dieses Zitat übrigens nicht direkt zu tun. Aber interessan­t ist dessen Text von Michael Jary allemal. Hier der Anfang: „Mein Ideal auf dieser Welt / das ist für mich der kühne Held, / der große blonde Mann. / So sieht der Mann meiner Träume aus, / sein Name ist Ralf oder Per. / Die Wirklichke­it sieht aber anders aus, / Bitte, hören Sie mal her: / Er heißt Waldemar und hat schwarzes Haar, / Er ist weder stolz noch kühn, aber ich liebe ihn …“Dass dieser freche Schlager im NSStaat durchging, in dem doch alles auf das Primat des nordischbl­onden Menschenty­pus gepolt war, ist bemerkensw­ert. Aber Zarah Leander – gefeierte Primadonna in Durchhalte­filmen während des Krieges – hatte wohl Narrenfrei­heit. Schon ihr alttestame­ntlich-jüdischer Vorname Zarah hätte ja eigentlich Anstoß erregen müssen ... Nur noch eines: Bei Per lag Textdichte­r Jary daneben. So lautet die Kurzform von Peter, und die ist keineswegs nordisch, sondern hat als Petrus

einen griechisch­en Ursprung – petros, der Fels. So nennt Jesus im Neuen Testament den Anführer seiner Apostel.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany