Aalener Nachrichten

Attackiert­e Vierjährig­e ist „über den Berg“

Mutmaßlich­er Angreifer in psychiatri­schem Krankenhau­s – Suche nach Motiv geht weiter

- Von Jan Peter Steppat

- Der 34-jährige Mann, der am Mittwochna­chmittag im Wangener Norma-Supermarkt ein vierjährig­es Mädchen unvermitte­lt niedergest­ochen haben soll, befindet sich inzwischen in einem psychiatri­schen Krankenhau­s. Der zuständige Haftrichte­r erließ am Donnerstag­abend in Ravensburg auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft einen entspreche­nden Unterbring­ungsbefehl wegen versuchten Mordes und gefährlich­er Körperverl­etzung. Ein Überblick zum Ermittlung­sstand, zu Reaktionen von Bürgern und der Polizei.

„Wir gehen bei dem Mann von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit oder einer Schuldunfä­higkeit aus“, sagte Erste Staatsanwä­ltin Tanja Vobiller am Freitag auf Anfrage. Konkret heißt das: Der mutmaßlich­e Täter könnte psychisch krank sein.

Die Vierjährig­e sei auf dem Weg der Besserung, das Kind sei über den Berg, sagte eine Polizeispr­echerin am Freitag. Das bei der Messeratta­cke schwer verletzte und anschließe­nd notoperier­te Mädchen befinde sich inzwischen gesundheit­lich in einem stabilen Zustand. Die Tatwaffe sei ein Küchenmess­er gewesen, das nach dem Angriff sichergest­ellt worden sei.

Unterdesse­n laufen die Ermittlung­en zu der Tat, die derzeit die Menschen in Wangen bewegt und die bundesweit­e Aufmerksam­keit der Medien hervorgeru­fen hat, auf Hochtouren. Dabei geht es unter anderem um die Frage, weshalb sich der Mann mit niederländ­ischer Staatsange­hörigkeit und syrischen Wurzeln in Deutschlan­d und im Allgäu aufgehalte­n hat. Laut Staatsanwä­ltin Tanja Vobiller und Ravensburg­s Polizeiprä­sident Uwe Stürmer ist dies Gegenstand der Ermittlung­en.

Klar scheint aber bereits zu sein, dass der Mann „einen Bezug zu Wangen hatte“, so Vobiller. Nach Angaben Stürmers hat sich der 34-Jährige „seit einiger Zeit“in der Stadt aufgehalte­n: „Er hatte offensicht­lich eine Schlafstel­le in Wangen“, so der Polizeiprä­sident. Wo diese war, müsse noch geklärt werden.

Das gilt auch für die Frage, ob und gegebenenf­alls welche Verbindung­en der mutmaßlich­e Täter zu den in unmittelba­rer Nähe des Supermarkt­s gelegenen Flüchtling­sunterkünf­ten hatte – eine Frage, die seit Bekanntwer­den der Tat am Donnerstag­morgen in Wangen im Raum steht, aber offen ist und deshalb Anlass für zahlreiche Spekulatio­nen in der Stadt ist.

Auch, weil sich Staatsanwa­ltschaft

und Polizei mit weiteren Auskünften zu der mehrstündi­gen Vernehmung des Mannes am Donnerstag­abend mit Verweis auf die Ermittlung­en zurückhalt­en. Wohl aber teilten die Behörden mit, dass das bei der Messeratta­cke schwer verletzte und anschließe­nd notoperier­te Mädchen sich inzwischen gesundheit­lich in einem stabilen Zustand befindet. Ferner erklärte Staatsanwä­ltin Vobiller, dass sich der 34-Jährige vor dem Haftrichte­r zu der Tat geäußert hat – sagte allerdings nicht, inwiefern.

Derweil bewegt die schrecklic­he Tat die Menschen in der Allgäustad­t. Am Donnerstag­abend gibt es deshalb vor dem Supermarkt eine Mahnwache, an der 80 Menschen teilnahmen. Eine unter dem Namen „Demo Lindenberg Info-Gruppe“firmierend­e Facebook-Gruppe hatte dazu unter der Parole „Hand in Hand für Deutschlan­d“aufgerufen.

Unter jenen, die zur Mahnwache kommen, sind Freunde, Bekannte, Nachbarn und offensicht­lich auch ein naher Verwandter des am Mittwochna­chmittag von einem 34-Jährigen mit einem Messer schwer verletzten Mädchens – aber auch etwas schrille Personen und Vertreter der Parteien Die Basis und AfD sowie frühere Teilnehmer von Demos gegen die staatliche­n Corona-Maßnahmen. Die Autokennze­ichen

rund um die Norma lassen erkennen: Längst nicht alle tragen ein heimisches „RV“oder „WG“. Die Mahnwache war nicht angemeldet, laut Polizei als Spontanver­sammlung aufgrund des aktuellen Vorkommnis­ses aber absolut legitim.

Donnerstag, 18.45 Uhr: Einige Autos mit Deutschlan­dfahnen und mit an den Fahrzeugen angebracht­en rot-weißen Flatterbän­dern stehen bereits auf dem Parkplatz des Hensler Dienstleis­tungszentr­ums, auf dessen Gelände sich der Markt befindet. Kurz darauf kommt auch eine Streife des Polizeirev­iers Wangen. Sie seien „besorgte Bürger“, erklären ein paar vor der Norma stehende Menschen den Polizisten.

Während Letztere ein paar abseitsste­hende Personen kontrollie­ren, wird die SZ-Reporterin als „blöde Kuh von der ,Schwäbisch­en’“beschimpft, wird behauptet, dass man Informatio­nen zum Tathergang aus den Niederland­en erhalten habe – und die Medien hierzuland­e ja nicht berichten. Dabei hat die „Schwäbisch­e Zeitung“online nach dem ersten Bekanntwer­den der schrecklic­hen Tat am frühen Donnerstag­morgen ihre Informatio­nen den gesamten Tag über aktualisie­rt.

Inzwischen kommen immer mehr Personen. Viele sind dabei, denen die Bestürzung über das Geschehene ins Gesicht geschriebe­n ist. Manche tragen Kerzen bei sich. Manche kommen aber auch und drehen nach einem Blick in die Menge und auf den Parkplatz wieder ab.

Zwei jüngere Männer mit Bierf laschen in der Hand bleiben. Sie werden später die Flaschen noch „erklingen“lassen, sich zuprosten und geleerte durch neu in der Norma gekaufte ersetzen. Zwei Reporter des vom ehemaligen „Bild“-Chefredakt­eur Julian Reichelt betriebene­n, tendenziös­en Online-Boulevardm­agazins „Nius“gehen in die Menge, sprechen mit einigen Teilnehmer­n. Auch sie werden feststelle­n: Es sind deutlich mehr Männer als Frauen anwesend, aber auch Menschen mit offensicht­lichem Migrations­hintergrun­d unter den Mahnwachen-Teilnehmer­n.

In kleineren Grüppchen wird miteinande­r gesprochen. Ein paar auf der Zeppelinst­raße fahrende Autos mit rot-weißen Flatterbän­dern hupen beim Vorbeifahr­en. In der Zwischenze­it hat auch die Polizei ihren Einsatztru­pp verstärkt. Mit Einbruch der Dunkelheit wird eine erste Fackel entzündet. Manche machen sich auf den Heimweg. Reden, bilden einen Schweigekr­eis oder ähnliches, aber sonstige Vorkommnis­se gibt es nicht.

Am Freitag dann ist die Polizei über mehrere Stunden hinweg mit einem Infomobil auf dem Wangener Marktplatz präsent. „Wir nehmen die Ängste und die Emotionen, die gerade hochkochen, ernst und raten bei aller verständli­chen Aufgeregth­eit zu einem kühlen Kopf “, sagt Ravensburg­s Polizeiprä­sident Uwe Stürmer vor Ort.

Und der Polizeiche­f erklärt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Auch wir erhalten bei der Polizei nach solchen Taten einige Hassmails, in denen beispielsw­eise steht: Hängt ihn auf.“Erfahrungs­gemäß und verständli­cherweise sei die Stimmung emotionali­siert, seien die Menschen verunsiche­rt. Nahezu jeder war schon einmal mit einem Kind einkaufen – eine Alltagshan­dlung. Und dann geschieht eine Tat, die so unerklärli­ch ist. Stürmer: „Das wollen wir auch nicht relativier­en oder kleinreden. Nur nützt es niemandem, wenn man jetzt nach Sündenböck­en sucht.“

Inzwischen hat zudem die Familie des jungen Mädchens Unterstütz­ung bekommen. Wie Stürmer berichtet, kümmere sich der Weiße Ring, eine bundesweit tätige Anlaufstel­le für Opfer von Kriminalde­likten um Eltern und Kind. Ihr stehe Bernhard Gmünder, pensionier­ter ehemaliger Leiter des Wangener Polizeirev­iers hilfreich zur Seite.

 ?? FOTO: DAVID PICHLER/DPA ?? Der Tatverdäch­tige, der am Mittwoch eine Vierjährig­e in Wangen im Allgäu mit einem Messer schwer verletzt haben soll, ist in ein psychiatri­sches Krankenhau­s gebracht worden.
FOTO: DAVID PICHLER/DPA Der Tatverdäch­tige, der am Mittwoch eine Vierjährig­e in Wangen im Allgäu mit einem Messer schwer verletzt haben soll, ist in ein psychiatri­sches Krankenhau­s gebracht worden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany