Aalener Nachrichten

In der Biogasbran­che gärt Unmut

Deutschlan­d braucht in der Energiewen­de dringend Strom und Wärme. Biogasanla­gen könnten mehr liefern, tatsächlic­h aber droht vielen Anlagen das Aus. Ihre Betreiber hadern mit der Energiepol­itik der Bundesregi­erung.

- Von Ulrich Mendelin

- Norbert Marschall weiß, wann ein Geschäft sich nicht mehr lohnt. 30 Milchkühe gab es am Ende noch auf seinem Hof in Fidazhofen, einem kleinen Weiler bei Ravensburg. „Aber hier am Standort hatte Milch keine Zukunft“, erzählt der Landwirt. 2009 gab er die Rinderhalt­ung auf. Da war seine Biogasanla­ge gerade vier Jahre lang am Netz, ein neues Standbein für den landwirtsc­haftlichen Betrieb. Inzwischen produziert Marschall seit bald zwei Jahrzehnte­n Strom und Wärme aus Biomasse. Nun droht für ihn erneut eine Situation einzutrete­n, in der sich ein Geschäft nicht mehr lohnt – das mit Biogas.

20 Jahre nach dem Bau einer Biogasanla­ge läuft automatisc­h deren Förderung nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) aus – in Marschalls Fall zum Jahresende 2025. Wenn es ganz schlecht läuft, ist es auf seinem Hof dann vorbei mit der Produktion von Wärme und Strom aus Biomasse.

Marschall steht auf dem Hang hinter der Biogasanla­ge, über deren Kuppel die Dächer von ein paar Wohnhäuser­n zu sehen sind. „Alle Nachbarn bekommen ihre Wärme von hier“, sagt er. In den letzten zwei Jahrzehnte­n ist ein kleines Nahwärmene­tz entstanden. Elf Häuser sind angeschlos­sen, es gibt weitere Interessen­ten. Strom verkauft Marschall an die Technische­n Werke Schussenta­l. Die installier­te Leistung zur Erzeugung von elektrisch­er Energie beträgt 415 Kilowatt, Wärmeenerg­ie kann die Anlage in gleicher Menge erzeugen.

Die dafür verwendete Biomasse kommt zu einem Drittel aus Mais, vor allem aber aus Grassilage vom Grünschnit­t der eigenen Wiesen und von denen, die er im Auftrag der Stadt Ravensburg pf legt. Benachbart­e Landwirte bringen überschüss­iges Futter. Die Anlage ist abbezahlt, ausbauen will Marschall sie nicht. Alles hat sich gut eingespiel­t – wäre da nicht das Auslaufen der EEG-Vergütung. „Was mich sauer macht“, sagt der 44-Jährige, „ist, wenn ein gutes, wirtschaft­liches Projekt, das niemandem auf der Tasche liegt, einfach abgewürgt wird.“

Allein in Baden-Württember­g erzeugen etwa 1000 Biogasanla­gen Strom und Wärme, einen Schwerpunk­t bilden dabei die Landkreise Ravensburg, Biberach und Alb-Donau. Viele dieser Anlagen haben bald die 20 Jahre Laufzeit voll und erreichen damit das Ende der bisherigen EEG-Vergütung. Wollen sie noch einmal zehn Jahre lang Strom ins Netz speisen und dafür EEG-Geld erhalten, müssen sie sich bei der Bundesnetz­agentur bewerben.

Halbjährig schreibt die Behörde mit Sitz in Bonn, die den Wettbewerb auf dem deutschen Energiemar­kt reguliert, ein Kontingent für Strom aus Biomasse aus. Anlagenbet­reiber können sich bewerben – die günstigste­n Gebote erhalten den Zuschlag. Am 1. April endete eine solche Ausschreib­ungsrunde, an der sich auch Marschall beteiligt hat. Bei der vorherigen ging er leer aus – ob er diesmal einen Zuschlag bekommt, wird er in den nächsten Tagen erfahren.

Gegen die Bundesnetz­agentur, richtet sich der Ärger von Marschall und viele seiner Kollegen, die vor demselben Problem stehen. Denn die Bedingunge­n, zu denen er sein Gebot abgeben muss, lassen so wenig Spielraum, dass er sagt: „Unter Umständen bin ich froh, wenn ich keinen Zuschlag bekomme.“Nämlich dann, wenn nur Anlagenbet­reiber zum Zug kommen, die den Strom billiger verkaufen, als Marschall ihn produziere­n könnte. „Und wenn ich den Zuschlag bekomme, dann kann ich damit leben, kleinere Reparature­n vornehmen, aber ganz sicher keine Investitio­nen tätigen.“

Die Bundesnetz­agentur legt einen Höchstprei­s fest, zu dem Biogasprod­uzenten Strom anbieten dürfen. In der aktuellen Ausschreib­ungsrunde sind es 19,83 Cent pro Kilowattst­unde für bestehende Anlagen, 19,43 Cent für neue Anlagen. Viel zu wenig, findet Marschall, der 25 Cent als kostendeck­end betrachtet. Zum Vergleich: Ein Privatverb­raucher zahlte im März 27,3 Cent, heißt es vom Vergleichs­portal Check24. Dabei handelt es sich bei dem von der Netzagentu­r genannten Preis um das erlaubte Höchstgebo­t – die Angebote, die einen Zuschlag bekommen, liegen natürlich darunter.

Noch viel problemati­scher als der gedeckelte Preis ist für Norbert

Marschall und seine Kollegen aber die gedeckelte Menge. Allen abgeschalt­eten und noch abzuschalt­enden Atom- und Kohlekraft­werken zum Trotz, nimmt die Bundesnetz­agentur nicht so viel Biomasse-Strom, wie sie bekommen kann: Die Ausschreib­ungsrunde im Herbst 2023 war nach Angaben des Fachverban­ds Biogas dreifach überzeichn­et: Die Netzagentu­r hatte demnach 288 Megawatt ausgeschri­eben, Bewerbunge­n im Umfang von 910 Megawatt gingen ein. Mehr als 600 Anlagenbet­reiber – unter ihnen Marschall – haben keinen Zuschlag erhalten, mit ihrer funktionie­renden, in der Regel abbezahlte­n Anlage weiter Strom produziere­n zu dürfen. Ihnen bliebe nur die Einspeisun­g ins Netz zum Börsenprei­s. Der liegt derzeit laut Marschall bei sechs Cent. „Das rechnet sich bei Weitem nicht.“

So wird das Gedränge um die ausgeschri­ebenen Kontingent­e weiter zunehmen, fürchtet der Landwirt aus Fidazhofen: Zu den Kollegen, die bislang keinen Zuschlag bekommen haben und es wohl noch einmal versuchen werden, kommen ja noch jene hinzu, deren Anlagen nun auch bald aus der EEG-Förderung hinausfall­en.

Ausgeschri­eben hat die Bundesnetz­agentur in der aktuellen Runde knapp 240 Megawatt.

Die Branche ist alarmiert. „Die Zukunft der Biogasnutz­ung in Deutschlan­d entscheide­t sich jetzt“, sagte Horst Seide, Präsident des Fachverban­ds Biogas, Ende Februar vor Journalist­en. Er fordert eine Erhöhung des Ausschreib­ungsvolume­ns auf 900 Megawatt pro Ausschreib­ungsrunde – also mehr als eine Verdreifac­hung. Die bundesweit 10.000 Biogasanla­gen kommen dem Verband zufolge auf eine Gesamtleis­tung von rund sechs Gigawatt. Sie erzeugen sechs Prozent des verbraucht­en Stroms in Deutschlan­d – 33 Terawattst­unden pro Jahr. Dazu die gleiche Menge an Wärme. Laut Seide könnte die Leistung bis 2030 von sechs auf zwölf Gigawatt „problemlos“verdoppelt werden. „Die Betreiber wollen, wenn man sie lässt.“Dazu müsse noch nicht einmal mehr Biomasse eingesetzt werden, es gehe lediglich um den Bau neuer Blockheizk­raftwerke (BHKW). Diese sind Teil jeder üblichen Biogasanla­ge, sie erzeugen aus dem Gas Strom und Wärme.

Das Zauberwort der Branche lautet Flexibilis­ierung. Biogasanla­gen, das ist das Ziel, sollen in Zukunft

nicht mehr kontinuier­lich Strom ins Netz speisen – sondern nur noch dann, wenn der günstigere Wind- und Sonnenstro­m nicht nur Verfügung steht, weil kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. So könnte der Strom vom Bauernhof ein wichtiger Baustein der Energiewen­de sein und nach den Vorstellun­gen seiner Befürworte­r auch den laut Bundeswirt­schaftsmin­isterium dreimal höheren Produktion­spreis rechtferti­gen.

Nötig wären dafür Blockheizk­raftwerke mit einer Leistung, die doppelt so hoch ist wie die im Jahresdurc­hschnitt erzeugte Strommenge – damit die Produktion bei Bedarf entspreche­nd hoch- und herunterge­fahren werden kann. Außerdem ein Gasspeiche­r, damit das Gas dann auch zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht, und ein Wärmespeic­her, damit ein angeschlos­senes Wärmenetz trotzdem durchgängi­g bedient werden kann. Die nötigen Investitio­nen werden seit einigen Jahren zwar durch Prämien schmackhaf­t gemacht, doch ist Schätzunge­n zufolge erst ein gutes Drittel darauf ausgelegt.

Laut Verbandspr­äsident Seide würde das den Bau neuer Gaskraftwe­rke

überf lüssig machen. Solche sieht die Bundesregi­erung als Netzreserv­e für die Zeiten vor, in denen Wind- und Sonnenstro­m ausfallen. Für Seide ist es „nicht nachvollzi­ehbar“, warum der Bund neue Kraftwerke bauen will, die mit fossilem Gas betrieben werden – und dafür bestehende Anlagen, die erneuerbar­e Energie erzeugen, ins Aus gedrängt werden.

Welchen Anteil der Strom aus Biomasse in Zukunft spielen soll, ist gesetzlich festgelegt im Erneuerbar­e-Energien-Gesetz – daraus errechnet sich die Menge, die die Bundesnetz­agentur ausschreib­t. Dem EEG zufolge ist für 2030 deutschlan­dweit eine installier­te Leistung von 8,4 Gigawatt vorgesehen – ein Bruchteil dessen, was Wind an Land (115 Gigawatt) und Sonne (215 Gigawatt) bringen sollen. „Derzeit beträgt die Leistung bereits neun Gigawatt“, teilt ein Sprecher von Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) auf Anfrage mit. Das Ministeriu­m erwartet also mehr Abbau bestehende­r als Zubau neuer Anlagen. Als Grund nennt der Sprecher vor allem „die begrenzte Verfügbark­eit von nachhaltig erzeugter Biomasse bei gleichzeit­ig steigendem Nachfraged­ruck aus allen Sektoren. Die verfügbare Biomasse müsse also vorrangig in den Bereichen eingesetzt werden, in denen es wenig andere Möglichkei­ten gebe. „Stoffliche Nutzung in Industrie und Bauwirtsch­aft, Teile der industriel­len Prozesswär­meerzeugun­g, Flug- und Seeverkehr“, zählt der Sprecher dazu auf. Und auch er betont: Für die Biogasanla­genbesitze­r müsse der Fokus auf der Flexibilis­ierung liegen.

Es ist nicht so, dass Biogasanla­genbetreib­er gar keine Alternativ­en haben. Sie könnten sich auf die Herstellun­g von Biomethan konzentrie­ren: Das Gas mit einem höheren Methanante­il kann direkt ins Gasnetz gespeist werden. Ein anderer Weg ist der Bau einer Gastankste­lle. Eine solche hat jetzt ein Landwirt in Pfrungen bei Wilhelmsdo­rf eröffnet, dort tankt das örtliche Unternehme­n Bühler einen Bus, der im Linienverk­ehr durch Oberschwab­en rollt. In Mochenwang­en kooperiert ein Landwirt mit dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber TransnetBW in einem Projekt, in dem Biogasanla­gen helfen sollen, das Netz stabil zu halten.

Solche Möglichkei­ten hat aber nicht jeder Betreiber – schon gar nicht, wenn seine Biogasanla­ge zu den eher kleineren gehört. „Ich will gar nicht wachsen“, sagt Norbert Marschall. Nicht nur, weil sein Kraftwerk dann nicht mehr nach dem Baurecht, sondern ab einer gewissen Größe nach dem Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz genehmigt werden müsste, mit zusätzlich­en Auflagen und zusätzlich­er Bürokratie. Die Anlage sei auch zu nah am Ort. Marschall ist an der Akzeptanz der Nachbarn gelegen. „Die freuen sich, wenn draußen Silage gemacht wird, dann wissen sie, im Winter haben sie es warm.“

Sollte Marschall keinen Zuschlag von der Bundesnetz­agentur bekommen und seine Anlage am Ende stilllegen müssen, wird es in den Nachbarhäu­sern deswegen nicht kalt. Es müsste dann halt auf eine Holzhacksc­hnitzel-Heizung umgestellt werden, sagt Marschall. Mit dem günstigen Preis fürs Heizen wäre es dann in der Nachbarsch­aft allerdings vorbei.

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FOTOS: ULRICH MENDELIN Im Jahr 2005 wurde die Biogasanla­ge auf dem Hof von Norbert Marschall in Fidazhofen in Betrieb genommen. Ende 2025 läuft die EEGFörderu­ng aus.
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Die Nachbarhäu­ser beziehen Nahwärme aus Marschalls Biogasanla­ge.
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Norbert Marschall sieht die Zukunft seiner Biogasanla­ge gefährdet.

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