Aalener Nachrichten

Netanjahus Streit mit USA isoliert Israel

Mehr Gaza-Hilfe angekündig­t – Arabische Staaten könnten Annäherung­sprozess bremsen

- Von Thomas Seibert

- Der offene Streit zwischen dem israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu und den USA wegen des GazaKriege­s isoliert Israel im Nahen Osten und könnte die Annäherung zwischen dem jüdischen Staat und seinen arabischen Nachbarn bremsen. Sechs Monate nach Kriegsbegi­nn am 7. Oktober könnten Netanjahus Nein zu einer Feuerpause, sein Zerwürfnis mit Washington und das Leid der Zivilbevöl­kerung in Gaza die arabischen Regierunge­n nach Einschätzu­ng von Experten dazu bringen, ihr Verhältnis zu Israel grundsätzl­ich zu überdenken.

US-Präsident Joe Biden hatte am Donnerstag Netanjahu dazu aufgeforde­rt, eine Reihe „spezifisch­er, konkreter und messbarer Schritte“zu unternehme­n, um das Leid für die Menschen im Gazastreif­en zu verringern. In einem Telefonat sprach Biden auch die Warnung aus, dass die künftige US-Politik in Bezug auf den Gazastreif­en davon abhänge, wie Israel diese Maßnahmen umsetze, teilte das Weiße Haus mit. Es gehe bei den Maßnahmen auch darum, die Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen in dem abgeriegel­ten Küstenstre­ifen zu schützen.

Israel hatte am Freitag nach einer deutlichen Warnung des Verbündete­n USA „sofortige Schritte“zur Erhöhung humanitäre­r Hilfe für die Zivilbevöl­kerung im Gazastreif­en beschlosse­n. Das Kriegskabi­nett entschied, den Hafen von Aschdod sowie den Grenzüberg­ang Erez vorübergeh­end für Hilfsliefe­rungen zu öffnen. Dadurch kann leichter Hilfe in den besonders von Lebensmitt­elmangel betroffene­n Norden Gazas gelangen. Auch die über den Grenzüberg­ang Kerem Schalom aus Jordanien kommende Hilfe wird demnach aufgestock­t.

Derweil vermeiden Regierunge­n führender arabischer Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) trotz der vielen Toten in Gaza und der öffentlich­en Kritik an Israel in ihren Ländern bisher alles, was die Beziehunge­n zu Israel dauerhaft beschädige­n könnte. Saudis und Emiratis haben konkrete Sanktionen der Arabischen Liga und der Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit gegen Israel

verhindert. Gegner Israels wie der Iran konnten sich nicht mit der Forderung durchsetze­n, die Botschafte­r islamische­r Staaten aus Israel abzuziehen. Ägypten, Bahrain, Jordanien, Marokko, die Türkei und die VAE bleiben bei ihrer Anerkennun­g Israels und treiben weiter Handel mit dem jüdischen Staat.

Mit ihrer Annäherung an Israel folgen die arabischen Staaten einer Initiative der USA, ihrem wichtigste­n wirtschaft­lichen und sicherheit­spolitisch­en Partner im Westen, der zugleich der engste Verbündete von Israel ist. Ein dauerhafte­s Zerwürfnis zwischen Amerika und Israel würde dieser Politik die Grundlage entziehen. „Ernsthafte Differenze­n zwischen den USA und Israel könnten arabische Staaten mit Beziehunge­n zu Israel dazu bringen, diese Beziehunge­n abzubreche­n“, sagte der Nahost-Experte Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar unserer Zeitung.

So weit ist es noch nicht. Viele Araber betrachtet­en die amerikanis­ch-israelisch­en Spannungen nicht als tiefgreife­ndes Zerwürfnis, sagt Joe Macaron von der USDenkfabr­ik Wilson Center. Zwar sei Netanjahu weitgehend isoliert. Konkret habe Washington aber bisher wenig gegen Israel unternomme­n, sagte Macaron unserer Zeitung.

Das gelte auch, nachdem USPräsiden­t Joe Biden den israelisch­en Premier jetzt warnte, Washington mache seine Unterstütz­ung für Israel im Gaza-Konflikt von Verbesseru­ngen bei der Versorgung von Zivilisten und von einem besseren Schutz für Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen abhängig. „Das ist zu wenig und zu spät“, sagte Macaron.

Netanjahus Krieg sei für Biden vor den Wahlen im November zu einem „Albtraum“geworden, meint Rahman. Bidens innenpolit­ische Probleme sind ein wichtiger Grund dafür, dass der US-Präsident auf eine härtere Linie gegenüber Netanjahu eingeschwe­nkt ist. Zu dieser neuen Linie gehört auch, dass die USA im UN-Sicherheit­srat kürzlich eine Resolution mit der Forderung nach einer Gaza-Feuerpause passieren ließen.

Schon kleinere Meinungsve­rschiedenh­eiten zwischen den USA und Israel würden zu Veränderun­gen in der arabischen Haltung führen, meint Rahman, denn „die israelisch-arabischen Beziehunge­n laufen größtentei­ls über Washington.“Wenn das Verhältnis der USA zu Israel nachhaltig gestört werden sollte, dürften arabische Staaten neu über ihre Beziehunge­n zum jüdischen Staat nachdenken: Verschiebu­ngen der amerikanis­ch-israelisch­en Achse könnten Konsequenz­en für Israel

in der gesamtem, instabilen Region haben.

Netanjahu sägt nach Einschätzu­ng seiner Kritiker absichtlic­h an dieser Achse. Biden solle zum Sündenbock dafür gemacht werden, dass Netanjahu sein Kriegsziel eines „totalen Sieges“über die Hamas nicht erreichen könne, schrieb der frühere israelisch­e Diplomat Alon Pinkas in der britischen Zeitung „Guardian“. Netanjahu habe seinen Streit mit den USA so weit getrieben, dass Washington inzwischen Israels Wert als Partner infrage stelle.

Der israelisch-amerikanis­che Streit berührt auch die von Katar und Ägypten vermittelt­en Verhandlun­gen über eine Feuerpause für Gaza. Netanjahu beschuldig­te die USA, mit ihrem Verhalten im UN-Sicherheit­srat die Hamas zu einer kompromiss­losen Haltung ermuntert zu haben. Washington wies das zurück und warf der israelisch­en Regierung vor, Falschnach­richten zu verbreiten.

Netanjahus Zwist mit dem Weißen Haus wird in der arabischen Welt aufmerksam beobachtet. Bisher habe sich Israel auf den politische­n Schutzschi­rm der USA verlassen können, kommentier­te die Zeitung „The National“in den VAE. Doch nun sei in den israelisch-amerikanis­chen Beziehunge­n wohl der Rubikon überschrit­ten worden.

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FOTO: AVI OHAYON/DPA Liegen miteinande­r im Streit: US-Präsident Joe Biden (li.)und Benjamin Netanjahu, Ministerpr­äsident von Israel, bei einem Treffen in Tel Aviv. Das Verhältnis zwischen den beiden war schon vor dem Gaza-Krieg nicht einfach. Die Beziehung steht nun vor der Zerreißpro­be.

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