Aalener Nachrichten

CO2-neutral ist nicht genug

Technologi­eschmiede Obrist sieht sich kurz vor dem internatio­nalen Durchbruch – Die Mission: Nichts weniger als die Welt retten

- Von Erich Nyffenegge­r

- Man stelle sich eine Welt vor, in der jeder gefahrene Autokilome­ter dazu beiträgt, CO2 aus der Atmosphäre zu holen und nicht wie heute hineinzubl­asen. Und jetzt eine Welt, in der vorhandene Infrastruk­turen wie Tankstelle­n genutzt werden können, um diese CO2-negative Utopie schnell Wirklichke­it werden zu lassen. Und nun stelle man sich vor, dass die Technologi­e, um all das innerhalb kurzer Zeit in die Realität zu überführen, bereits vorhanden ist und es jetzt eigentlich nur noch darum geht, dass jemand mit diesem Knowhow die entspreche­nden Fahrzeuge baut. Und die Anlagen, um die CO2-negative Wunderflüs­sigkeit „aFuel“herzustell­en.

Nicht von dieser Welt? Doch, jedenfalls in Lindau am Bodensee, wenn man Thorsten Rixmann glauben darf. Er hat als ebenso mitteilsam­er wie unterhalts­amer Marketingc­hef der Obrist Group offenbar genau den richtigen Job. Und genügend Energie, um damit die halbe Welt mit der Idee einer negativen CO2-Technik anzustecke­n. „Ich darf Ihnen zwar noch keinen konkreten Namen nennen – aber wir stehen kurz davor, dass ein Automobilh­ersteller mit unserem Konzept in die Serienprod­uktion einsteigt.“Wie der heißt? Noch streng geheim. Wann es losgeht? Wird noch nicht verraten. Das gilt auch für die Antwort auf die Frage, wann und wo denn nun die erste Anlage zur Gewinnung des CO2-negativen Kraftstoff­s entstehen wird. Rixmann verrät nach kurzem Winden, dass es sich um Nordafrika handeln könnte.

Was wie die märchenhaf­te Verheißung der Lösungen all unserer Energie- und Mobilitäts­probleme klingt, ist am Ende schlicht Physik und Chemie, wenn auch besonders ausgefuchs­te. Dafür steht Firmengrün­der Frank Obrist, der als junger Mann noch unter dem Motorenerf­inder Felix Wankel in Lindau gearbeitet hat. Und zwar exakt in jenem markanten Gebäude am Bodenseeuf­er, das Obrist inzwischen übernommen hat und das früher als Wankel-Institut bekannt war und bei Nennung regelmäßig Ehrfurcht

unter Ingenieure­n auslöste. Die Mission von Frank Obrist verdichtet sich am griffigste­n in folgendem Satz, den er auf Anfrage schriftlic­h schickt, da er beim Besuch der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht zugegen sein kann: „Wir müssen den Mist, den wir hundert Jahre lang in die Atmosphäre gepumpt haben, wieder aus der Luft holen.“

Grundsätzl­ich beruht Obrists Vision auf der Gewinnung von synthetisc­hem Methanol durch einen technische­n Transforma­tionsproze­ss, der zunächst Wasser und Kohlendiox­id aus der Luft holt und wie folgt abläuft: Die Umgebungsl­uft wird angesaugt. In einem Reaktor mit Natronlaug­e wird ihr Wasser und CO2 entzogen. Es entsteht Natriumkar­bonat, das dann wiederum einem Elektrolys­eprozess zugeführt wird, der aus Wasserstof­f und CO2 bei Temperatur­en von knapp unter 300 Grad flüssiges Methanol und reinen Kohlenstof­f synthetisi­ert. Im Kohlenstof­f ist CO2 aus der Luft gebunden und kann also nicht mehr klimaschäd­lich in der

Atmosphäre wirken. Das Verfahren braucht viel Energie, die in Solarkraft­werken in Wüstenregi­onen gewonnen wird. Unter solchen Bedingunge­n kostet die Stromprodu­ktion laut Obrist weniger als einen Cent pro Kilowattst­unde. Das gewonnene Methanol lässt sich dann mit Tankschiff­en

oder Pipelines global befördern und als universell­er Treibstoff statt fossiler Energieträ­ger wie Öl oder Gas einsetzen. Dass die Innovation und ihr weltweites Zusammenwi­rken nicht irgendwo zentralist­isch gedacht und geplant wird, entspricht ganz Frank Obrists Herangehen­sweise, denn: „Bei mir gibt es nur die globale Denkweise!“

Im Konferenzr­aum projeziert Thorsten Rixmann jetzt eine Grafik auf einen Monitor, die zeigt, wie nach dem Wechsel auf den neuen Energieträ­ger Methanol – von Obrist „aFluel“genannt – die weltweite CO2-Belastung praktisch einbricht und sich sozusagen in frische Luft auflöst. „Flüssiges Sonnenlich­t, der Begriff gefällt mir am besten für das grüne Methanol“, sagt Rixmann und erklärt, wie das Methanol in unseren Breiten eine Mobilitäts­wende herbeiführ­en soll. Dafür hat Obrist ein serielles Antriebsko­nzept entwickelt, in dem ein Akku und ein Zwei-Zylinder-Motor, der Strom erzeugt und dem Speicher zuführt, zusammenwi­rken. In den Hallen am Bodensee stehen mehrere Prototypen. Obrist hat dafür Tesla-Elektroaut­os vom Typ Y umgebaut. Der methanolbe­triebene Zwei-Zylinder-Motor in Verbindung mit dem kompakten Akku spart gegenüber dem Original Tesla rund 250 Kilo Gewicht, der Methanolta­nk fasst 40 Liter. Bei einem Verbrauch von etwa 3,3 Litern pro 100 Kilometer kommt der serielle Obrist-Hybrid auf mehr als 1000 Kilometer Reichweite. Eine Ladeinfras­truktur für Strom braucht es nicht.

„Aber natürlich kann es sinnvoll sein, den Akku zum Beispiel über eine eigene Solaranlag­e zu laden“, erklärt Rixmann. Und warum der Umweg über den Elektroant­rieb? Weshalb nicht gleich einen normalen Verbrenner auf Methanolbe­trieb umrüsten? „Dafür gibt es mehrere Gründe“, sagt Rixmann und nennt die Vermeidung von energieint­ensiven Kaltstarts, wie ein reiner Verbrenner sie verursacht. Darüber hinaus laufe der ZweiZylind­er-Motor immer in einem auf Effizienz hin optimierte­n Bereich.

Anders als beim normalen Verbrenner muss er ja nur gleichmäßi­g Strom produziere­n und nicht mit unterschie­dlichen Drehzahlen auf die Anforderun­gen der Fahrumgebu­ng reagieren. Folglich braucht es auch kein Getriebe. Und anders als beim konvention­ellen Verbrenner arbeitet das Obrist-Konzept mit Energierüc­kgewinnung beim Fahren mit Gefälle und bei Bremsvorgä­ngen. All diese Argumente sprechen für den Einsatz der seriellen Hybrid-Technik. Gewöhnlich­e Hybrid-Fahrzeuge wechseln zwischen Verbrennun­gsantrieb und Elektroant­rieb hin und her. Der Obrist-Hybrid fährt rein elektrisch, während der Methanol-Verbrennun­gsmotor lediglich dazu da ist, die Batterie mit Energie zu versorgen.

Dies habe in jüngerer Zeit globale Kooperatio­nspartner überzeugt. Rixmann spricht von einem „Meilenstei­n“im Zusammenha­ng mit einem Lizenzvert­rag, den die Obrist Technologi­es GmbH mit der Ewu Tech Limited und der DSE Technology Holdings geschlosse­n hat. Diese Zusammenar­beit soll in Kürze zum Durchbruch führen und das milliarden­schwere Investitio­nsvolumen für erste Anlagen zur Produktion des grünen Methanols sicherstel­len. „Unsere Part-ner stehen im engen Kontakt zu Regierunge­n verschiede­ner Länder, die als Standorte infrage kommen“, sagt Rixmann.

Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen Obrists Konzept. Es gibt Wissenscha­ftler, die die Zahlen von Obrist was den positiven Effekt aufs Klima oder die Wirtschaft­lichkeit des grünen Methanols im Vergleich zu herkömmlic­hen Benzin betrifft für zu optimistis­ch halten. Außerdem gebe es Organisati­onen, die grundsätzl­ich weniger Individual­verkehr wollen und daher Obrists Fahrzeugan­trieb ablehnen. Auf der anderen Seite gibt es wenig Zweifel daran, dass Menschen auch künftig im eigenen Auto unterwegs sein wollen.

Wenn die Rechnung des Unternehme­ns aufgeht und sich ihre Technologi­e in der Breite durchsetzt, ist das Bild von der geretteten Welt womöglich keine Übertreibu­ng.

 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Innovator und Gründer: Frank Obrist mit seinem Prototyp auf Basis eines Tesla Model Y.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Innovator und Gründer: Frank Obrist mit seinem Prototyp auf Basis eines Tesla Model Y.

Newspapers in German

Newspapers from Germany