„Weiß nicht, wie viel Freude die Bayern haben werden“
Heidenheims Torjäger Tim Kleindienst über das Duell mit dem Rekordmeister und persönliche Träume
- Hier 33 Meistertitel, dort gerade einmal 27 BundesligaPartien; hier ein Mannschaftswert von knapp einer Milliarde Euro, dort Spieler im Wert von zusammengerechnet 61 Millionen Euro; hier eine Erfahrung von 3565 Bundesliga-Spielen, dort die unerfahrenste Mannschaft mit nur 522 Bundesliga-Partien aller Profis im Kader – wenn am Samstag (15.30 Uhr/Sky) der FC Bayern München zum 1. FC Heidenheim auf die Ostalb reist, kommt es zum Duell der Extreme. Weshalb Tim Kleindienst den Aufsteiger dennoch nicht chancenlos sieht, weshalb er besonders gerne gegen die Großen trifft und wo er seine Zukunft sieht, hat der Heidenheimer Torjäger im Interview erzählt.
Herr Kleindienst, Sie sind großer Fan von Anime und Manga. Haben Sie früher auch Comics wie Asterix gelesen?
Stimmt, da war ich früher mal recht aktiv – vor allem bei Mangas, da habe ich hier auch noch ein paar rumstehen. Bei Comics habe ich weniger Asterix als die lustigen Taschenbücher mit Donald Duck und all den anderen Disney-Figuren gelesen.
Dennoch werden Sie das Grundsetting der Asterix-Hefte kennen. Das unbeugsame gallische Dorf widersetzt sich immer wieder der scheinbar unschlagbaren römischen Übermacht. Der 1. FC Heidenheim wird seit dem Bundesliga-Aufstieg gerne mal mit den Galliern um Asterix, Obelix und Co. verglichen. Aus Ihrer Sicht zurecht?
Ich finde, das beschreibt die Situation ganz gut. Egal wie groß die Gegner sind, haben wir uns nie aufgegeben, immer aufopferungsvoll gekämpft und dann auch immer wieder selbst zugeschlagen. Damit sind wir bislang ja auch sehr gut gefahren – auch am vergangenen Wochenende gegen den VfB Stuttgart, eine Mannschaft die vermutlich im nächsten Jahr Champions League spielt.
Was ist der Heidenheimer Zaubertrank, beziehungsweise das Erfolgsgeheimnis?
Was uns auszeichnet, ist ein unglaublicher Teamspirit und die Mentalität, nie aufzugeben. Dieser enorme Einsatz hat uns schon in der 2. Liga ausgezeichnet und ohne diesen wäre es nicht möglich in der Bundesliga zu bestehen. Weil wir gegenüber der Konkurrenz vielleicht fußballerisch etwas limitierter sind, müssen auf andere Komponenten wie Laufbereitschaft und Zweikampfstärke setzen – und das auch zu 100 Prozent durchziehen.
Bislang gelingt das recht gut. Der FCH liegt nach 27 Spieltagen elf Punkte vor den Abstiegsrängen und zehn Zähler vor dem Relegationsplatz. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Saison.
Sehr zufrieden. Hätte mir vor der Saison jemand gesagt, dass wir zu diesem Zeitpunkt mit 30 Punkten so gut dastehen, hätte ich erst mal schlucken müssen. Ich habe ja mit Freiburg schon mal in der Bundesliga gespielt und wusste, wie hoch die Qualität dort ist. Dass wir da so gut mithalten können, ist der Wahnsinn. Wir dürfen jetzt aber nicht den Fehler machen und uns zurücklehnen. Es sind noch sieben Spiele und die Wochen bis zum Saisonende werden extrem lang. Wir brauchen noch Punkte.
Am liebsten natürlich auch mal wieder einen Dreier. In den letzten sechs Spielen gab es keinen Heidenheimer Sieg, von den letzten elf Partien haben Sie nur eine gewonnen. Wie
wichtig wäre mal wieder ein Sieg?
Siege sind immer schön und natürlich würde es uns guttun, auch mal wieder einen einzusammeln. Drei Punkte wären extrem wichtig, um sich noch weiter von den Abstiegsrängen absetzen zu können und unser Ziel Klassenerhalt möglichst früh zu erreichen.
Auf eine Last-Minute-Entscheidung wie im letzten Jahr, als Sie den FCH mit ihrem Tor in der 9. Minute der Nachspielzeit bei Jahn Regensburg in die Bundesliga schossen, haben Sie also keine Lust mehr?
Nein, auf keinen Fall. Das war zwar ein extrem tolles Erlebnis, aber dass wir nochmal in so eine Situation kommen, sollten wir möglichst verhindern.
Mit dem Aufstieg war klar, dass es plötzlich gegen die Bayern statt gegen Elversberg geht. Am Sonntag kommt der Rekordmeister auf die Ostalb. Wie groß ist die Vorfreude vor dem Duell?
Es ist natürlich etwas ganz Besonderes, gegen diese Weltstars zu spielen. Aber das Bayern-Spiel ist nur ein Teil dieses großen Abenteuers in der Bundesliga. In diesem Kreis dabei sein zu dürfen und zu beweisen, dass man mit den besten Mannschaften mithalten kann, hat einen riesigen Reiz. Aber natürlich sind die Bayern die Nummer 1 eins in Deutschland – auch wenn sie in diesem Jahr ein paar Probleme haben.
Diese könnten Sie nochmal verschärfen. Mit einem Sieg oder zumindest Punktgewinn würde die Kritik an Bayern-Trainer Thomas Tuchel sicher nicht kleiner werden.
Das ist nicht unsere Baustelle. Wir
wollen unser bestes Spiel abliefern und dürfen keine Furcht haben. Wenn wir alle Komponenten zusammenbekommen, dann können wir hier in Heidenheim jeden schlagen – auch die Bayern. Die Vorfreude ist jedenfalls sehr groß. Andersrum weiß ich nicht, wie viel Freude die Bayern haben werden, hierher kommen zu müssen.
Zumal die Münchner vermutlich auch schon ein Stück weit auf das Viertelfinale in der Champions League am Dienstag gegen den FC Arsenal schielen. Könnte es ein Vorteil für Sie sein, dass die Bayern die Meisterschaft spätestens nach letzter Woche abgeschrieben haben?
Das glaube ich nicht. Für die Bayern ist ein Sieg gegen uns Pflicht. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass die hier nur ein bisschen den Ball jonglieren. Selbst wenn sie ein bisschen durchtauschen, um Kräfte zu sparen, ist da immer ein sehr hohes Niveau auf dem Platz. Von daher hilft es nichts, zu spekulieren, wir wollen 100 Prozent auf den Platz bringen und die Bayern so gut es geht bekämpfen.
Wie es gehen kann, hat der FCH bereits im Hinspiel gezeigt, als man trotz 0:2 Rückstands zwischenzeitlich zum 2:2 ausgleichen konnte. Auch wenn die Partie am Ende 2:4 verloren ging, was konnte ihr Team aus dem ersten Duell mitnehmen?
Zum einen, dass auch die Bayern verwundbar sind. Zum anderen aber vor allem, dass man gegen Topteams über die vollen 90 Minuten hochkonzentriert sein muss. Wir haben so schnell nach unserem Ausgleich das nächste Gegentor zum 2:3 bekommen, damit war unsere ganze Euphorie auf einen Schlag verschwunden und das Spiel quasi entschieden. Am Samstag müssen wir intensiv verteidigen und immer wieder offensiv Nadelstiche setzen – am besten erfolgreiche.
Im Hinspiel haben Sie zum 1:2 getroffen. Hat das Tor in der Allianz Arena gegen Manuel Neuer für Sie einen besonderen Stellenwert?
Für mich persönlich ist es zwar ganz nett, dass ich später mal erzählen kann, dass ich gegen die Bayern getroffen habe. Da wir das Spiel aber verloren haben, hat das Tor keinen allzu hohen Wert. Es ist schön für meine Statistik, aber ich werde es mir bestimmt nicht einrahmen.
Zumal es ja auch eigentlich schon keine Besonderheit mehr ist. Schließlich treffen Sie ja offensichtlich besonders gern gegen große Gegner, durften in dieser Saison nicht nur gegen die Bayern, sondern auch gegen Leverkusen, Stuttgart und Dortmund jubeln. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich habe auch schon drüber nachgedacht, kann es mir aber nicht wirklich erklären. Eventuell hat man gegen diese Topmannschaften, die vor allem nach vorne spielen, auch mal mehr Raum als bei komplett defensiv eingestellten Gegnern. Anderseits spielt man ja auch gegen Weltklassevertediger. Woran es auch liegt, es ist schon sehr schön, wenn man gegen solche Topteams trifft.
Sie stehen mittlerweile bei neun Toren, im vergangenen Jahr wurden Sie mit 25 Treffern Torschützenkönig in der 2. Liga. Wie viel schwerer ist das Toreschießen
in der Bundesliga und wie zufrieden sind Sie mit Ihrer bisherigen Ausbeute?
Es war mir und allen im Club klar, dass es so wie letztes Jahr nicht weitergehen wird. Wir sind ein Aufsteiger und spielen deutlich defensiver als in der 2. Liga. Ich muss sehr viel nach hinten mitarbeiten und treffe auf Gegenspieler, die eine viel höhere Qualität haben. Es gibt Spiele, da habe ich kein einziges Mal aufs Tor geschossen. Aber das ist okay für mich, wichtig ist es, die wenigen Chancen dann auch zu nutzen. Wenn ich es in den verbleibenden sieben Spielen noch die Marke von zehn Toren übertreffe, dann ist das eine sehr erfolgreiche Saison für mich.
Einer der diese Marke schon längst geknackt hat, ist Harry Kane. Am Samstag können Sie ihn aus nächster Nähe beobachten. Versuchen Sie, sich da auch etwas abzuschauen?
Wenn man sich von Harry Kane nichts abschauen könnte, dann liefe was falsch. Natürlich wird er ganz anders in Szene gesetzt und natürlich bekommt er auch mehr leichte Tore aufgelegt als man selbst, aber er hat unbestritten eine unfassbare Abschlussqualität. Alles, was von seinem Fuß oder Kopf abgeht, wird brandgefährlich – das haben wir im Hinspiel bei seinen zwei Toren selbst zu spüren bekommen. Er ist ein Weltklassestümer und natürlich werde ich, wenn es die Situation zulässt, auch ab und zu ein Auge auf ihn werfen.
Gutes Stichwort: Nach der Torjägerkanone im letzten Jahr und der guten Quote in dieser Saison haben sicher auch einige andere Vereine ein Auge auf Sie geworfen. Sie sind jetzt 28, der nächste Vertrag wird vermutlich ein ganz wichtiger in Ihrer Karriere. Würden Sie gerne noch mal für einen größere Clubs spielen? Oder wollen Sie hier in Heidenheim dauerhaft etwas entwickeln?
Ich fühle mich sehr wohl in Heidenheim, nicht umsonst bin ich schon mehrmals hierher zurückgekommen. Es liegt aber in der Natur eines Profifußballers, dass man immer das bestmögliche erreichen möchte. Das hängt aber immer auch vom Angebot ab. Und gerade nach meiner schlechten Erfahrung beim Wechsel zum KAA Gent, bei dem ich aus heutiger Sicht sage, dass ich überstürzt gehandelt habe, werde ich künftig sicher zwei-, dreimal darüber nachdenken, was wirklich Sinn macht. Ich bin keine 22 mehr, wo man etwas einfach mal ausprobieren kann. Für mich muss einfach alles passen. Falls es nach der Saison ein Angebot geben sollte, wo das der Fall wäre, habe ich mit dem Verein ganz offen vereinbart, dass man sich zusammensetzt. Momentan liegt da aber nichts auf dem Tisch.
Dass man auch auf der Ostalb zum Nationalspieler reifen kann, hat jüngst Jan-Niklas Beste bewiesen, auch wenn er vor seinem Debüt verletzt vom DFB-Team abreisen musste. Wäre das auch noch ein Traum von Ihnen, einmal für die Nationalmannschaft aufzulaufen? Gute deutsche Stürmer gibt es aktuell ja nicht allzu viele.
Für einen Fußballer gibt es doch nichts Schöneres, als für sein Land spielen zu dürfen. Wie realistisch das in meinem Fall ist, weiß ich nicht, das müssen andere beurteilen. Ich kann nur weiter meine Leistung auf dem Platz bringen. Wenn es irgendwann passieren sollte, dass ich eingeladen wäre, wäre es mit das Schönste, was ich im Fußball erleben kann, aber ich kann und möchte es keineswegs erzwingen, Nationalspieler zu werden. Auch ohne Länderspiel habe ich schon viel Tolles erreicht.