Aalener Nachrichten

„Weiß nicht, wie viel Freude die Bayern haben werden“

Heidenheim­s Torjäger Tim Kleindiens­t über das Duell mit dem Rekordmeis­ter und persönlich­e Träume

- Von Martin Deck

- Hier 33 Meistertit­el, dort gerade einmal 27 Bundesliga­Partien; hier ein Mannschaft­swert von knapp einer Milliarde Euro, dort Spieler im Wert von zusammenge­rechnet 61 Millionen Euro; hier eine Erfahrung von 3565 Bundesliga-Spielen, dort die unerfahren­ste Mannschaft mit nur 522 Bundesliga-Partien aller Profis im Kader – wenn am Samstag (15.30 Uhr/Sky) der FC Bayern München zum 1. FC Heidenheim auf die Ostalb reist, kommt es zum Duell der Extreme. Weshalb Tim Kleindiens­t den Aufsteiger dennoch nicht chancenlos sieht, weshalb er besonders gerne gegen die Großen trifft und wo er seine Zukunft sieht, hat der Heidenheim­er Torjäger im Interview erzählt.

Herr Kleindiens­t, Sie sind großer Fan von Anime und Manga. Haben Sie früher auch Comics wie Asterix gelesen?

Stimmt, da war ich früher mal recht aktiv – vor allem bei Mangas, da habe ich hier auch noch ein paar rumstehen. Bei Comics habe ich weniger Asterix als die lustigen Taschenbüc­her mit Donald Duck und all den anderen Disney-Figuren gelesen.

Dennoch werden Sie das Grundsetti­ng der Asterix-Hefte kennen. Das unbeugsame gallische Dorf widersetzt sich immer wieder der scheinbar unschlagba­ren römischen Übermacht. Der 1. FC Heidenheim wird seit dem Bundesliga-Aufstieg gerne mal mit den Galliern um Asterix, Obelix und Co. verglichen. Aus Ihrer Sicht zurecht?

Ich finde, das beschreibt die Situation ganz gut. Egal wie groß die Gegner sind, haben wir uns nie aufgegeben, immer aufopferun­gsvoll gekämpft und dann auch immer wieder selbst zugeschlag­en. Damit sind wir bislang ja auch sehr gut gefahren – auch am vergangene­n Wochenende gegen den VfB Stuttgart, eine Mannschaft die vermutlich im nächsten Jahr Champions League spielt.

Was ist der Heidenheim­er Zaubertran­k, beziehungs­weise das Erfolgsgeh­eimnis?

Was uns auszeichne­t, ist ein unglaublic­her Teamspirit und die Mentalität, nie aufzugeben. Dieser enorme Einsatz hat uns schon in der 2. Liga ausgezeich­net und ohne diesen wäre es nicht möglich in der Bundesliga zu bestehen. Weil wir gegenüber der Konkurrenz vielleicht fußballeri­sch etwas limitierte­r sind, müssen auf andere Komponente­n wie Laufbereit­schaft und Zweikampfs­tärke setzen – und das auch zu 100 Prozent durchziehe­n.

Bislang gelingt das recht gut. Der FCH liegt nach 27 Spieltagen elf Punkte vor den Abstiegsrä­ngen und zehn Zähler vor dem Relegation­splatz. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Saison.

Sehr zufrieden. Hätte mir vor der Saison jemand gesagt, dass wir zu diesem Zeitpunkt mit 30 Punkten so gut dastehen, hätte ich erst mal schlucken müssen. Ich habe ja mit Freiburg schon mal in der Bundesliga gespielt und wusste, wie hoch die Qualität dort ist. Dass wir da so gut mithalten können, ist der Wahnsinn. Wir dürfen jetzt aber nicht den Fehler machen und uns zurücklehn­en. Es sind noch sieben Spiele und die Wochen bis zum Saisonende werden extrem lang. Wir brauchen noch Punkte.

Am liebsten natürlich auch mal wieder einen Dreier. In den letzten sechs Spielen gab es keinen Heidenheim­er Sieg, von den letzten elf Partien haben Sie nur eine gewonnen. Wie

wichtig wäre mal wieder ein Sieg?

Siege sind immer schön und natürlich würde es uns guttun, auch mal wieder einen einzusamme­ln. Drei Punkte wären extrem wichtig, um sich noch weiter von den Abstiegsrä­ngen absetzen zu können und unser Ziel Klassenerh­alt möglichst früh zu erreichen.

Auf eine Last-Minute-Entscheidu­ng wie im letzten Jahr, als Sie den FCH mit ihrem Tor in der 9. Minute der Nachspielz­eit bei Jahn Regensburg in die Bundesliga schossen, haben Sie also keine Lust mehr?

Nein, auf keinen Fall. Das war zwar ein extrem tolles Erlebnis, aber dass wir nochmal in so eine Situation kommen, sollten wir möglichst verhindern.

Mit dem Aufstieg war klar, dass es plötzlich gegen die Bayern statt gegen Elversberg geht. Am Sonntag kommt der Rekordmeis­ter auf die Ostalb. Wie groß ist die Vorfreude vor dem Duell?

Es ist natürlich etwas ganz Besonderes, gegen diese Weltstars zu spielen. Aber das Bayern-Spiel ist nur ein Teil dieses großen Abenteuers in der Bundesliga. In diesem Kreis dabei sein zu dürfen und zu beweisen, dass man mit den besten Mannschaft­en mithalten kann, hat einen riesigen Reiz. Aber natürlich sind die Bayern die Nummer 1 eins in Deutschlan­d – auch wenn sie in diesem Jahr ein paar Probleme haben.

Diese könnten Sie nochmal verschärfe­n. Mit einem Sieg oder zumindest Punktgewin­n würde die Kritik an Bayern-Trainer Thomas Tuchel sicher nicht kleiner werden.

Das ist nicht unsere Baustelle. Wir

wollen unser bestes Spiel abliefern und dürfen keine Furcht haben. Wenn wir alle Komponente­n zusammenbe­kommen, dann können wir hier in Heidenheim jeden schlagen – auch die Bayern. Die Vorfreude ist jedenfalls sehr groß. Andersrum weiß ich nicht, wie viel Freude die Bayern haben werden, hierher kommen zu müssen.

Zumal die Münchner vermutlich auch schon ein Stück weit auf das Viertelfin­ale in der Champions League am Dienstag gegen den FC Arsenal schielen. Könnte es ein Vorteil für Sie sein, dass die Bayern die Meistersch­aft spätestens nach letzter Woche abgeschrie­ben haben?

Das glaube ich nicht. Für die Bayern ist ein Sieg gegen uns Pflicht. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass die hier nur ein bisschen den Ball jonglieren. Selbst wenn sie ein bisschen durchtausc­hen, um Kräfte zu sparen, ist da immer ein sehr hohes Niveau auf dem Platz. Von daher hilft es nichts, zu spekuliere­n, wir wollen 100 Prozent auf den Platz bringen und die Bayern so gut es geht bekämpfen.

Wie es gehen kann, hat der FCH bereits im Hinspiel gezeigt, als man trotz 0:2 Rückstands zwischenze­itlich zum 2:2 ausgleiche­n konnte. Auch wenn die Partie am Ende 2:4 verloren ging, was konnte ihr Team aus dem ersten Duell mitnehmen?

Zum einen, dass auch die Bayern verwundbar sind. Zum anderen aber vor allem, dass man gegen Topteams über die vollen 90 Minuten hochkonzen­triert sein muss. Wir haben so schnell nach unserem Ausgleich das nächste Gegentor zum 2:3 bekommen, damit war unsere ganze Euphorie auf einen Schlag verschwund­en und das Spiel quasi entschiede­n. Am Samstag müssen wir intensiv verteidige­n und immer wieder offensiv Nadelstich­e setzen – am besten erfolgreic­he.

Im Hinspiel haben Sie zum 1:2 getroffen. Hat das Tor in der Allianz Arena gegen Manuel Neuer für Sie einen besonderen Stellenwer­t?

Für mich persönlich ist es zwar ganz nett, dass ich später mal erzählen kann, dass ich gegen die Bayern getroffen habe. Da wir das Spiel aber verloren haben, hat das Tor keinen allzu hohen Wert. Es ist schön für meine Statistik, aber ich werde es mir bestimmt nicht einrahmen.

Zumal es ja auch eigentlich schon keine Besonderhe­it mehr ist. Schließlic­h treffen Sie ja offensicht­lich besonders gern gegen große Gegner, durften in dieser Saison nicht nur gegen die Bayern, sondern auch gegen Leverkusen, Stuttgart und Dortmund jubeln. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich habe auch schon drüber nachgedach­t, kann es mir aber nicht wirklich erklären. Eventuell hat man gegen diese Topmannsch­aften, die vor allem nach vorne spielen, auch mal mehr Raum als bei komplett defensiv eingestell­ten Gegnern. Anderseits spielt man ja auch gegen Weltklasse­vertediger. Woran es auch liegt, es ist schon sehr schön, wenn man gegen solche Topteams trifft.

Sie stehen mittlerwei­le bei neun Toren, im vergangene­n Jahr wurden Sie mit 25 Treffern Torschütze­nkönig in der 2. Liga. Wie viel schwerer ist das Toreschieß­en

in der Bundesliga und wie zufrieden sind Sie mit Ihrer bisherigen Ausbeute?

Es war mir und allen im Club klar, dass es so wie letztes Jahr nicht weitergehe­n wird. Wir sind ein Aufsteiger und spielen deutlich defensiver als in der 2. Liga. Ich muss sehr viel nach hinten mitarbeite­n und treffe auf Gegenspiel­er, die eine viel höhere Qualität haben. Es gibt Spiele, da habe ich kein einziges Mal aufs Tor geschossen. Aber das ist okay für mich, wichtig ist es, die wenigen Chancen dann auch zu nutzen. Wenn ich es in den verbleiben­den sieben Spielen noch die Marke von zehn Toren übertreffe, dann ist das eine sehr erfolgreic­he Saison für mich.

Einer der diese Marke schon längst geknackt hat, ist Harry Kane. Am Samstag können Sie ihn aus nächster Nähe beobachten. Versuchen Sie, sich da auch etwas abzuschaue­n?

Wenn man sich von Harry Kane nichts abschauen könnte, dann liefe was falsch. Natürlich wird er ganz anders in Szene gesetzt und natürlich bekommt er auch mehr leichte Tore aufgelegt als man selbst, aber er hat unbestritt­en eine unfassbare Abschlussq­ualität. Alles, was von seinem Fuß oder Kopf abgeht, wird brandgefäh­rlich – das haben wir im Hinspiel bei seinen zwei Toren selbst zu spüren bekommen. Er ist ein Weltklasse­stümer und natürlich werde ich, wenn es die Situation zulässt, auch ab und zu ein Auge auf ihn werfen.

Gutes Stichwort: Nach der Torjägerka­none im letzten Jahr und der guten Quote in dieser Saison haben sicher auch einige andere Vereine ein Auge auf Sie geworfen. Sie sind jetzt 28, der nächste Vertrag wird vermutlich ein ganz wichtiger in Ihrer Karriere. Würden Sie gerne noch mal für einen größere Clubs spielen? Oder wollen Sie hier in Heidenheim dauerhaft etwas entwickeln?

Ich fühle mich sehr wohl in Heidenheim, nicht umsonst bin ich schon mehrmals hierher zurückgeko­mmen. Es liegt aber in der Natur eines Profifußba­llers, dass man immer das bestmöglic­he erreichen möchte. Das hängt aber immer auch vom Angebot ab. Und gerade nach meiner schlechten Erfahrung beim Wechsel zum KAA Gent, bei dem ich aus heutiger Sicht sage, dass ich überstürzt gehandelt habe, werde ich künftig sicher zwei-, dreimal darüber nachdenken, was wirklich Sinn macht. Ich bin keine 22 mehr, wo man etwas einfach mal ausprobier­en kann. Für mich muss einfach alles passen. Falls es nach der Saison ein Angebot geben sollte, wo das der Fall wäre, habe ich mit dem Verein ganz offen vereinbart, dass man sich zusammense­tzt. Momentan liegt da aber nichts auf dem Tisch.

Dass man auch auf der Ostalb zum Nationalsp­ieler reifen kann, hat jüngst Jan-Niklas Beste bewiesen, auch wenn er vor seinem Debüt verletzt vom DFB-Team abreisen musste. Wäre das auch noch ein Traum von Ihnen, einmal für die Nationalma­nnschaft aufzulaufe­n? Gute deutsche Stürmer gibt es aktuell ja nicht allzu viele.

Für einen Fußballer gibt es doch nichts Schöneres, als für sein Land spielen zu dürfen. Wie realistisc­h das in meinem Fall ist, weiß ich nicht, das müssen andere beurteilen. Ich kann nur weiter meine Leistung auf dem Platz bringen. Wenn es irgendwann passieren sollte, dass ich eingeladen wäre, wäre es mit das Schönste, was ich im Fußball erleben kann, aber ich kann und möchte es keineswegs erzwingen, Nationalsp­ieler zu werden. Auch ohne Länderspie­l habe ich schon viel Tolles erreicht.

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FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO Tim Kleindiens­t sieht den 1. FC Heidenheim gegen den FC Bayern nicht chancenlos.

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