Aalener Nachrichten

Was man sterbenden Menschen sagen sollte – und was nicht

Sie holen den Tod aus der Tabuzone – In Letzte-Hilfe-Kursen vermitteln Palliativf­achkräfte das „Kleine 1 x 1 der Sterbebegl­eitung“

- Von Robin Halle ●

Es ist ein Moment, der vielen Menschen Angst macht. Jemand liegt im Sterben, sei es die Mutter, der Vater, ein Freund, ein Nachbar oder ein völlig Unbekannte­r – und man sollte tröstende Worte finden. Doch was sagt man einem Sterbenden? Wie bereitet man einen Sterbenden – und auch sich – über Tage und Wochen auf den Tod vor? Wie sollte man sich verhalten, wenn ein todkranker Angehörige­r sterben möchte? Wie plant man gemeinsam eine Beerdigung?

Antworten auf diese und weitere Fragen gibt’s in sogenannte­n Letzte-Hilfe-Kursen der gemeinnütz­igen Organisati­on Letzte Hilfe Deutschlan­d gGmbH. Auch hier in der Region. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat sechs erfahrene Palliativf­achkräfte in Biberach getroffen, die allesamt Letzte-Hilfe-Kurse leiten. Gerichtet an Privatpers­onen, Vereine, Firmen oder Kirchengem­einden, möglich für jeweils 20 Teilnehmer, ganzheitli­ch aufgebaut in vier Modulen, Dauer vier Stunden. „Die Kurse sollen die Angst nehmen, in der Begleitung sterbender Menschen etwas falsch zu machen“, sagt Kursleiter­in Siglinde von Bank.

Um eine der härtesten Situatione­n gleich zu Beginn zu beschreibe­n: Nach einem Verkehrsun­fall liegt ein Mensch auf der Straße. Niemand ist da, kein Beifahrer, kein Arzt, kein Pfarrer, nur Sie. Der Mensch wird in wenigen Minuten sterben. Was tun? Kursleiter­in Sabine Schelkle erklärt: „Es wäre falsch, in dieser Situation zu sagen: ‚Keine Sorge, das wird schon wieder.‘ Oder: ‚Alles wird gut.‘“Stattdesse­n sollte man sich neben den Menschen auf den Asphalt knien, seine Hand halten und beispielsw­eise sagen: „Ich bin bei Ihnen!“Danach könnten Fragen folgen, um Schmerzen zu lindern: „Kann ich Sie etwas besser legen? Kann ich etwas für Sie tun?“Wenn die beste Position gefunden ist, könnte die Phase des Abschieds mit diesen Sätzen eingeleite­t werden: „Ich gehe den Weg mit Ihnen. Gibt es etwas, was Sie Ihren Angehörige­n sagen möchten? Ist Ihnen etwas sehr wichtig? Kann ich jemandem etwas ausrichten?“

Noch emotionale­r wird es laut der Kursleiter­innen, wenn ein nahestehen­der Angehörige­r im Sterben liegt. Auch hier ein Beispiel: Eine todkranke Mutter wird nach wochenlang­en, schweren Operatione­n ins Hospiz verlegt. Die Mutter hatte vorher den Wunsch geäußert, nicht lange leiden zu müssen. Sie hatte den

Wunsch sogar schriftlic­h in einer Patientenv­erfügung festgehalt­en. Bisweilen konnt es hier zu einem Zielkonfli­kt bei der Flüssigkei­tsund Nahrungsau­fnahme. Kursleiter­in Isolde Baur vom Hospiz

Biberach sagt: „Es gilt, aufmerksam zu sein, Wünsche zu berücksich­tigen und Zeichen der Ablehnung von Nahrung und Flüssigkei­t zu respektier­en, um möglichst wenig in einen natürliche­n Sterbeproz­ess einzugreif­en.“

Kursleiter­in Tina Rother vom Hospiz Kirchbierl­ingen ergänzt jedoch aus Erfahrung: „Es kommt häufig vor, dass die Tochter oder der Sohn dann sagen: Ich kann doch die Mama nicht verdursten lassen.“Trotzdem sei es richtig und wichtig, den letzten Wunsch des sterbenden Menschen umzusetzen. „Wenn ein Mensch vor dem Trinken den Kopf wegdreht, ist es in Ordnung“, so Tina Rother. Und weiter: „Wir nennen das liebevolle­s Unterlasse­n.“

Ein weiterer, wichtiger Hinweis: Der Patientenv­erfügung sollte laut der Kursleiter­innen ein persönlich­er, handgeschr­iebener Text beigefügt werden. Darin sollte in aller Kürze stehen, wie das Leben verlief und welche Erwartunge­n man an die Phase des Abschieds hegt. „So kann sich der Arzt ein besseres Bild von dem Sterbenden verschaffe­n und besser auf seine Wünsche eingehen“, sagt Christa Willburger-Roch.

In der Phase des Sterbens sind folgende Sätze wertvoll: „Du musst dir keine Sorgen um mich machen.“Oder: „Die Kinder haben dich lieb.“Oder: „Du wirst mir fehlen.“Oder: „Möchtest du dich noch mit jemandem versöhnen?“Die letzte Frage dürfe jedoch nicht als Zwang verstanden werden. „Eine Versöhnung macht nur Sinn, wenn es beide wollen“, sagt Willburger-Roch. Während der Gespräche am Sterbebett könne eine leichte Handmassag­e für weitere Nähe sorgen. Tröstlich sei auch, die Lieblingsl­ieder des Sterbenden auf dem Handy abzuspiele­n. Auch, dass auf eine gute Mundhynieg­e zu achten ist, lernt man im Letzte-Hilfe-Kurs.

So weit weg es für jüngere Menschen scheint: Eine Patientenv­erfügung beziehungs­weise eine Vorsorgema­ppe sollten bereits mit 18 Jahren zur Abholung für die Angehörige­n bereitlieg­en. Ebenso sollte zu Lebzeiten die Frage geklärt werden, ob nach dem Tod Organe gespendet werden möchten. „Es ist belastend, wenn diese Frage in der hoch emotionale­n Phase direkt nach dem Ableben eines Angehörige­n gestellt wird“, so von Bank.

Hilfreich sei auch, sich frühzeitig mit dem Thema Beerdigung

zu befassen. Alle Kursleiter­innen sind sich einig: Es braucht einen Trauerort für die Hinterblie­benen, idealerwei­se ein Grab. „Es nimmt den Angehörige­n viel ab, wenn diese Frage im Vorfeld geklärt ist“, sagt Rosa-Maria Natter. Eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it, doch die Palliative­xpertin fügt hinzu: „Angehörige und Betroffene sind im Sterbeproz­ess oft in einer Phase des Verdrängen­s. Das ist der Versuch, sich gegenseiti­g zu schützen. Aber es schadet eher, als dass es hilft.“

Entwickelt wurden die LetzteHilf­e-Kurse von Dr. Georg Bollig. Er hat für sein Engagement in der Hospiz- und Palliativm­edizin den Verdiensto­rden des Landes Schleswig-Holstein bekommen. Der Facharzt für Anästhesio­logie aus Schleswig tritt seit Jahren dafür ein, Menschen die Angst vor der Berührung mit dem Tod zu nehmen. Inzwischen gibt es Letzte-Hilfe-Kurse in 21 Ländern. Alle stehen unter dem Motto: „Am Ende wissen, wie es geht“. Anmelden kann sich jeder.

„Wenn ein Mensch vor dem Trinken den Kopf wegdreht, ist es in Ordnung.“Kursleiter­inTina Rother spricht über Verhaltens­regeln im Hospiz

 ?? FOTO: DAVID PEREIRAS/STOCK ADOBE ?? Es sind die schwersten Stunden des Lebens. Ein Angehörige­r stirbt und man ringt nach tröstenden Worten. In der Phase des Sterbens können folgende Sätze hilfreich sein: „Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Die Kinder haben dich lieb. Du wirst mir fehlen. Möchtest du dich noch mit jemandem versöhnen?“In Letzte-Hilfe-Kursen wird auch über die tröstliche Sterbebegl­eitung fremder Menschen gesprochen.
FOTO: DAVID PEREIRAS/STOCK ADOBE Es sind die schwersten Stunden des Lebens. Ein Angehörige­r stirbt und man ringt nach tröstenden Worten. In der Phase des Sterbens können folgende Sätze hilfreich sein: „Du musst dir keine Sorgen um mich machen. Die Kinder haben dich lieb. Du wirst mir fehlen. Möchtest du dich noch mit jemandem versöhnen?“In Letzte-Hilfe-Kursen wird auch über die tröstliche Sterbebegl­eitung fremder Menschen gesprochen.
 ?? FOTO: ROBIN HALLE ?? Sie leiten die Letzte-Hilfe-Kurse in Biberach und und Umgebung: (v.l.n.r.) Rosa-Maria Natterer (SAPV Biberach), Sabine Schelkle (Hospiz Münsingen), Siglinde von Bank (Caritas Biberach-Saulgau), Tina Rother (Hospiz Kirchbierl­ingen), Isolde Baur (Hospiz Biberach), Christa Willburger-Roch (ehem. Hospiz Biberach).
FOTO: ROBIN HALLE Sie leiten die Letzte-Hilfe-Kurse in Biberach und und Umgebung: (v.l.n.r.) Rosa-Maria Natterer (SAPV Biberach), Sabine Schelkle (Hospiz Münsingen), Siglinde von Bank (Caritas Biberach-Saulgau), Tina Rother (Hospiz Kirchbierl­ingen), Isolde Baur (Hospiz Biberach), Christa Willburger-Roch (ehem. Hospiz Biberach).

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