Was man sterbenden Menschen sagen sollte – und was nicht
Sie holen den Tod aus der Tabuzone – In Letzte-Hilfe-Kursen vermitteln Palliativfachkräfte das „Kleine 1 x 1 der Sterbebegleitung“
Es ist ein Moment, der vielen Menschen Angst macht. Jemand liegt im Sterben, sei es die Mutter, der Vater, ein Freund, ein Nachbar oder ein völlig Unbekannter – und man sollte tröstende Worte finden. Doch was sagt man einem Sterbenden? Wie bereitet man einen Sterbenden – und auch sich – über Tage und Wochen auf den Tod vor? Wie sollte man sich verhalten, wenn ein todkranker Angehöriger sterben möchte? Wie plant man gemeinsam eine Beerdigung?
Antworten auf diese und weitere Fragen gibt’s in sogenannten Letzte-Hilfe-Kursen der gemeinnützigen Organisation Letzte Hilfe Deutschland gGmbH. Auch hier in der Region. Die „Schwäbische Zeitung“hat sechs erfahrene Palliativfachkräfte in Biberach getroffen, die allesamt Letzte-Hilfe-Kurse leiten. Gerichtet an Privatpersonen, Vereine, Firmen oder Kirchengemeinden, möglich für jeweils 20 Teilnehmer, ganzheitlich aufgebaut in vier Modulen, Dauer vier Stunden. „Die Kurse sollen die Angst nehmen, in der Begleitung sterbender Menschen etwas falsch zu machen“, sagt Kursleiterin Siglinde von Bank.
Um eine der härtesten Situationen gleich zu Beginn zu beschreiben: Nach einem Verkehrsunfall liegt ein Mensch auf der Straße. Niemand ist da, kein Beifahrer, kein Arzt, kein Pfarrer, nur Sie. Der Mensch wird in wenigen Minuten sterben. Was tun? Kursleiterin Sabine Schelkle erklärt: „Es wäre falsch, in dieser Situation zu sagen: ‚Keine Sorge, das wird schon wieder.‘ Oder: ‚Alles wird gut.‘“Stattdessen sollte man sich neben den Menschen auf den Asphalt knien, seine Hand halten und beispielsweise sagen: „Ich bin bei Ihnen!“Danach könnten Fragen folgen, um Schmerzen zu lindern: „Kann ich Sie etwas besser legen? Kann ich etwas für Sie tun?“Wenn die beste Position gefunden ist, könnte die Phase des Abschieds mit diesen Sätzen eingeleitet werden: „Ich gehe den Weg mit Ihnen. Gibt es etwas, was Sie Ihren Angehörigen sagen möchten? Ist Ihnen etwas sehr wichtig? Kann ich jemandem etwas ausrichten?“
Noch emotionaler wird es laut der Kursleiterinnen, wenn ein nahestehender Angehöriger im Sterben liegt. Auch hier ein Beispiel: Eine todkranke Mutter wird nach wochenlangen, schweren Operationen ins Hospiz verlegt. Die Mutter hatte vorher den Wunsch geäußert, nicht lange leiden zu müssen. Sie hatte den
Wunsch sogar schriftlich in einer Patientenverfügung festgehalten. Bisweilen konnt es hier zu einem Zielkonflikt bei der Flüssigkeitsund Nahrungsaufnahme. Kursleiterin Isolde Baur vom Hospiz
Biberach sagt: „Es gilt, aufmerksam zu sein, Wünsche zu berücksichtigen und Zeichen der Ablehnung von Nahrung und Flüssigkeit zu respektieren, um möglichst wenig in einen natürlichen Sterbeprozess einzugreifen.“
Kursleiterin Tina Rother vom Hospiz Kirchbierlingen ergänzt jedoch aus Erfahrung: „Es kommt häufig vor, dass die Tochter oder der Sohn dann sagen: Ich kann doch die Mama nicht verdursten lassen.“Trotzdem sei es richtig und wichtig, den letzten Wunsch des sterbenden Menschen umzusetzen. „Wenn ein Mensch vor dem Trinken den Kopf wegdreht, ist es in Ordnung“, so Tina Rother. Und weiter: „Wir nennen das liebevolles Unterlassen.“
Ein weiterer, wichtiger Hinweis: Der Patientenverfügung sollte laut der Kursleiterinnen ein persönlicher, handgeschriebener Text beigefügt werden. Darin sollte in aller Kürze stehen, wie das Leben verlief und welche Erwartungen man an die Phase des Abschieds hegt. „So kann sich der Arzt ein besseres Bild von dem Sterbenden verschaffen und besser auf seine Wünsche eingehen“, sagt Christa Willburger-Roch.
In der Phase des Sterbens sind folgende Sätze wertvoll: „Du musst dir keine Sorgen um mich machen.“Oder: „Die Kinder haben dich lieb.“Oder: „Du wirst mir fehlen.“Oder: „Möchtest du dich noch mit jemandem versöhnen?“Die letzte Frage dürfe jedoch nicht als Zwang verstanden werden. „Eine Versöhnung macht nur Sinn, wenn es beide wollen“, sagt Willburger-Roch. Während der Gespräche am Sterbebett könne eine leichte Handmassage für weitere Nähe sorgen. Tröstlich sei auch, die Lieblingslieder des Sterbenden auf dem Handy abzuspielen. Auch, dass auf eine gute Mundhyniege zu achten ist, lernt man im Letzte-Hilfe-Kurs.
So weit weg es für jüngere Menschen scheint: Eine Patientenverfügung beziehungsweise eine Vorsorgemappe sollten bereits mit 18 Jahren zur Abholung für die Angehörigen bereitliegen. Ebenso sollte zu Lebzeiten die Frage geklärt werden, ob nach dem Tod Organe gespendet werden möchten. „Es ist belastend, wenn diese Frage in der hoch emotionalen Phase direkt nach dem Ableben eines Angehörigen gestellt wird“, so von Bank.
Hilfreich sei auch, sich frühzeitig mit dem Thema Beerdigung
zu befassen. Alle Kursleiterinnen sind sich einig: Es braucht einen Trauerort für die Hinterbliebenen, idealerweise ein Grab. „Es nimmt den Angehörigen viel ab, wenn diese Frage im Vorfeld geklärt ist“, sagt Rosa-Maria Natter. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch die Palliativexpertin fügt hinzu: „Angehörige und Betroffene sind im Sterbeprozess oft in einer Phase des Verdrängens. Das ist der Versuch, sich gegenseitig zu schützen. Aber es schadet eher, als dass es hilft.“
Entwickelt wurden die LetzteHilfe-Kurse von Dr. Georg Bollig. Er hat für sein Engagement in der Hospiz- und Palliativmedizin den Verdienstorden des Landes Schleswig-Holstein bekommen. Der Facharzt für Anästhesiologie aus Schleswig tritt seit Jahren dafür ein, Menschen die Angst vor der Berührung mit dem Tod zu nehmen. Inzwischen gibt es Letzte-Hilfe-Kurse in 21 Ländern. Alle stehen unter dem Motto: „Am Ende wissen, wie es geht“. Anmelden kann sich jeder.
„Wenn ein Mensch vor dem Trinken den Kopf wegdreht, ist es in Ordnung.“KursleiterinTina Rother spricht über Verhaltensregeln im Hospiz