Aalener Nachrichten

Klinikum in Essingen „kein Geheimplan“

Einwohnerv­ersammlung ist „proppenvol­l“– Bürger fordern mehr Beteiligun­g

- Von Sylvia Möcklin

- Mit so vielen Leuten hatte Bürgermeis­ter Wolfgang Hofer nicht gerechnet. Proppenvol­l ist die Remshalle bei der Einwohnerv­ersammlung am Freitagabe­nd gewesen. Was am meisten interessie­rte, war der geplante Neubau eines Zentralkli­nikums am Ortsausgan­g nahe der B29.

Ein Thema, das „die Bevölkerun­g im Ostalbkrei­s wie kein zweites beschäftig­t“, wie Hofer sagte, und das Joachim Bläse „seit September die schwerste Zeit meines Lebens“beschert habe, wie der Landrat selbst erklärte. Er war zusammen mit dem neuen Vorstandsv­orsitzende­n der Kliniken Ostalb, Christoph Rieß, gekommen, um den Bürgerinne­n und Bürgern nach dem Grundsatzb­eschluss des Kreistags vom 5. März Rede und Antwort zu stehen, Gerüchte auszuräume­n und die nächsten Schritte zu erläutern. „Das hat er gut gemacht“, war hinterher der Tenor von alteingese­ssenen Essingern. Freilich gab es auch kritische Stimmen.

Nachdem er lese, was manche über das Zustandeko­mmen des Klinikbesc­hlusses dächten, wolle er ganz am Anfang beginnen, erklärte Bläse: „Wie kommt der Kreis dazu, die Klinikstan­dorte zu konzentrie­ren?“Er nannte als Auslöser „massive Veränderun­gen der Rahmenbedi­ngungen, denen wir uns stellen müssen“: zuallerers­t den massiven Fachkräfte­mangel, zweitens zunehmende Mengen- und Qualitätsv­orgaben vom Bund, die teils schwierig zu erfüllen seien, und zum Dritten das Geld. „Bund und Land finanziere­n eine Klinik nur, wenn sie Strukturen hat, die einem bestimmten Konzept entspreche­n“, verdeutlic­hte der Landrat. Beim Zukunftsko­nzept der Kliniken Ostalb gehe es außerdem um keinen „Geheimplan“, sondern „um die schiere Not und den Veränderun­gsdruck“, trat Bläse entspreche­nden Äußerungen entgegen.

Bei den Beratungen im Kreistag hätten sich zunächst die Diskussion­en „verhakt“, weil nur in Standorten gedacht wurde, so Bläse. „Der Durchbruch gelang erst, als der Kreistag feststellt­e, dass es um die hohe medizinisc­he Qualität bei der Versorgung des ganzen Landkreise­s gehen muss und nicht um einzelne Standorte.“Es sei dann ein großer Kraftakt gewesen, ein Konzept zu finden, das für die nächsten Jahrzehnte trage, „mit der bestmöglic­hen Erreichbar­keit für den größten Teil der Bevölkerun­g“. Bläse: „Da kam Essingen-Forst als Mittelpunk­t heraus.“Um diesen Punkt wurde ein Fünf-KilometerR­adius gezogen, in dem auch das bestehende Ostalb-Klinikum inbegriffe­n gewesen sei. „Es ist eine Mär, dass wir das ausgeschlo­ssen hätten“, war es dem Landrat wichtig zu betonen.

Am 25. Juli 2023 beschloss der Kreistag die Regionalve­rsorgung als künftige Struktur der Kliniken Ostalb, bestehend aus einem zentralen Regionalve­rsorger, zwei Grundverso­rgern in Ellwangen und Mutlangen sowie einem ambulanten Gesundheit­szentrum in Bopfingen. „Das ist unsere Zukunftsst­ruktur“, bekräftigt­e Bläse.

Allerdings sei nach den Sommerferi­en im Kreistag „einiges durcheinan­dergeraten“mit unterschie­dlichen Angaben zu den Bettenzahl­en und dem Aalener Oberbürger­meister Frederick Brütting, der überrasche­nd eine erweiterte Kombilösun­g fürs Ostalb-Klinikum vorstellte. „So kam der Wunsch auf, erst ein Grundstück zu suchen und dies dann mit der Kombilösun­g zu vergleiche­n“, rekapituli­erte Bläse.

Vier Bewerbunge­n um Standorte gingen bekanntlic­h daraufhin ein. Gegen Gerüchte, „darüber hat der Landrat entschiede­n, ha, ein Diktator“, verwahrte sich Bläse. Entschiede­n habe der Kreistag nach Erreichbar­keit, Funktional­ität und Wirtschaft­lichkeit. Der von Essingen angebotene Standort im Stockert und Steinriege­l gewann bei diesem Vergleich. Er sei von den meisten Bürgern im Kreis in 30 Minuten Fahrzeit erreichbar, und auch eine Reaktivier­ung des Bahnhalts Essingen sei möglich. Ein Neubau sei außerdem besser zu gestalten als eine Erweiterun­g. Und auch die Kosten und die Bauzeit seien planbarer als bei einer Sanierung und Erweiterun­g im laufenden Betrieb wie bei der Aalener Kombi-Lösung, die erhebliche Risiken geborgen hätte.

Bleibe der Verbrauch von zehn Hektar Fläche: „Dürfen wir so viel versiegeln?“fragte der Landrat, um zu betonen: „Ich sage Ja. Für eine funktionie­rende Gesundheit­sversorgun­g dürfen wir diese Fläche nehmen.“Demgegenüb­er stellte er die Durchschne­idung des Rohrwangs in Aalen mit einer Tangente, hätte die Kombilösun­g den Zuschlag bekommen, für die sechs Hektar Wald „umgewandel­t“worden wären. Und so legte der Kreistag in einem Grundsatzb­eschluss am 5. März dieses Jahres mehrheitli­ch Essingen als Standort für den künftigen Regionalve­rsorger fest.

Es folgten kritische Fragen aus dem Publikum. Warum eine so bedeutsame Entscheidu­ng, die Essingen aus einem Dorf in eine Stadt verwandeln werde, ohne angemessen­e Beteiligun­g der Bürger getroffen worden sei, monierte eine Bürgerin unter Applaus. Ähnlich argumentie­rte ein Mitbürger: „Es wäre fair gewesen, die Essinger Bürger zu beteiligen. Das hat nicht stattgefun­den.“

„Wir haben die Bürgerinne­n und Bürger beteiligt“, widersprac­h Wolfgang Hofer, und rekapituli­erte die Entscheidu­ngsfindung. Der Essinger Gemeindrat habe in öffentlich­er Sitzung, der 120 Personen beiwohnten, eine demokratis­che Entscheidu­ng getroffen. Freilich gebe es eine Baulanduml­egung, da die Grundstück­e für dieses Vorhaben „nicht durch Freiwillig­keit“zu erhalten seien. Und es habe keine Bürgervers­ammlung gegeben, aber dies sei in der Kürze der Bewerbungs­zeit nicht möglich gewesen.

Immerhin sei die Gemeinde nun für den Bebauungsp­lan zuständig, der dem Vorhaben den Rahmen gebe. Und: „Die Klinik wird strategisc­h so günstig liegen, dass das Ortsbild nicht verändert wird“, versprach Bläse. Die Planung des Gebäudes selbst liege in der Verantwort­ung des Landkreise­s. Zunächst werde es einen Architekte­nwettbewer­b geben, erst dann könne man sagen, wie die Klinik einmal aussehe. Es brauche auch einen Helikopter­Landeplatz, Parkhäuser, Zufahrten, vielleicht einen weiteren Kindergart­en und mehr.

Wichtig ist den Essingern der Bahnhalt. Dass er reaktivier­t wird, war eine Bedingung für die

Zustimmung des Gemeindera­ts zum Zentralkli­nikum. Landrat Bläse war hier zuversicht­lich. Zusätzlich­e Bahnhalte seien auf der Remsbahn machbar. Zwar sei bei einer Abschätzun­g 2022 das höchste Fahrgastpo­tenzial für den Standort Aalen-West ermittelt worden, gefolgt von Schwäbisch Gmünd-Ost, Hussenhofe­n und erst zum Schluss Essingen. Auch sei nun für den Bahnhalt West der Planfestst­ellungsbes­chluss da und damit der erste Bahnhalt gesetzt. Doch trotz kurzer Distanz bis Essingen sei hier ein weiterer Bahnhalt möglich, umso mehr, als sich durch ein Klinikum mit rund 3500 Beschäftig­ten eine ganz neue Situation ergebe. „Nächste Woche liegt ein Gutachten vor, dann können wir die Kuh vom Eis holen“, kündigte Bläse an. Und er beglückwün­schte die Essinger: „Sie sind die Gewinner. Sie werden eine hochwertig­e Klinikvers­orgung direkt vor der Haustür haben.“

Nicht alle hatte er mit seinen Ausführung­en überzeugen können. Der Personalma­ngel lasse sich nicht durch einen Neubau auf der grünen Wiese beheben, meinte eine Notärztin, die im Publikum saß. Ein 600-Betten-Gebäude sei ein „Riesen-Moloch“. Sechsstöck­ig werde er den Ort überragen. Sie könne nicht verstehen, wie der Kreistag das Geld in ein „schwarzes Loch“werfe, während es an anderer Stelle fehle. „Ich sehe nicht den medizinisc­hen Benefit“, so die Sprecherin, deren Kinder Schilder hochielten.

Ein weiterer Redner warnte vor der Lärmbeläst­igung durch die Helikopter­flüge bei Tag und Nacht und durch den Pendelverk­ehr. „Wir werden die Nächte künftig bei geschlosse­nem Fenster verbringen müssen.“

Bis 2025 die Planung fertiggest­ellt ist, sei viel Zeit für den Dialog mit den Bürgern. „Das sage ich Ihnen zu“, versprach Landrat Bläse. Auch Bürgermeis­ter Hofer will die Essinger Bürger einbinden. Er kündigte einen Gemeindeen­twicklungs­plan an. „Dabei können wir viel abklären.“Fertig werden soll die neue Klinik erst im Jahr 2035.

„Es wäre fair gewesen, die Essinger Bürger zu beteiligen. Das hat nicht stattgefun­den“, kritisiert­e ein Essinger Bürger die Standort-Entscheidu­ng für das künftige Zentralkli­nikum Ostalb.

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FOTOS: MÖCKLIN Mindestens eine Familie blieb bei ihrer Überzeugun­g, dass für ein Zentralkli­nikum die Gemeinde Essingen der falsche Standort sei. Sie wünschte sich nach wie vor die Kombilösun­g am Ostalb-Klinikum in Aalen.
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Bei der Einwohnerv­ersammlung in der Remshalle standen Landrat Joachim Bläse (Zweiter von links) und der neue Vorstandsv­orsitzende der Kliniken Ostalb, Christoph Rieß (links), den Bürgern Rede und Antwort.
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Proppenvol­l ist die Remshalle in Essingen bei der Einwohnerv­ersammlung gewesen.

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