„In der Natur kommen mir die besten Ideen“
Stargeigerin Chouchane Siranossian über ihre Konzerte beim Bodenseefestival, ihre armenischen Wurzeln und wie sie zwischen den Welten wandelt
- Chouchane Siranossian (39) gehört zu den wenigen Geigerinnen, die ganz selbstverständlich zwischen einem Barockinstrument und einer modernen Violine wechseln. Als Artist in Residence des Bodenseefestivals zeigt sie viele Facetten ihrer musikalischen Persönlichkeit. Die „Schwäbische Zeitung“hat sich mit ihr im Vorfeld des Festivals unterhalten.
Sie sind beim kommenden Bodenseefestival Artist in Residence. Welche Beziehung haben Sie zum Bodensee?
Ich habe zwei Jahre in der Nähe vom Bodensee gelebt, als ich Konzertmeisterin im Sinfonieorchester St. Gallen war. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an eine Bootsfahrt mit meinen Großeltern. Und war sehr häufig auf dem Säntis zum Bergsteigen.
Sie sind in sieben Konzerten mit fünf unterschiedlichen Programmen und Besetzungen zu hören. Konnten Sie wählen, mit welchen Werken und mit welchen Menschen Sie sich beim Festival präsentieren?
Ich konnte mich stark mit meinen Wünschen einbringen. Mit meinem Klavierpartner Benjamin Engeli, mit dem ich das Konzert im Neuen Schloss in Meersburg am 12. Mai spiele, habe ich zusammen in Zürich studiert. Wir sind gute Freunde. Das Konzert mit meiner Schwester Astrig am 18. Mai im Schloss Achberg und das armenische Programm am 16. Mai im Ravensburger Konzerthaus waren auch Herzenswünsche von mir. Und natürlich freue ich mich auf die Eröffnungskonzerte mit dem Bruckner Orchester Linz.
Ihre vier letzten Alben mit den Violinkonzerten von Andreas Romberg und Giuseppe Tartini, „Bach before Bach“und das aktuelle mit dem Titel „Duello d’ Archi a Venezia“spielen Sie auf der Barockvioline. Beim Eröffnungskonzert mit dem Bruckner Orchester Linz sind Sie bei Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert in e-Moll auf einer modernen Violine zu hören. Ist es nicht schwierig, zwischen dem Instrumentarium zu wechseln?
Nein. Bei meinem Solo-Rezital in der Klosterkirche Münsterlingen am 9. Mai spiele ich sogar beide Instrumente in einem Konzert. Es sind verschiedene Welten, zwischen denen ich mich gerne hinund herbewege.
Ihr Solistendiplom machten Sie auf der modernen Violine bei Zakhar Bron in Zürich. Danach waren Sie mit 23 Jahren als jüngstes Orchestermitglied Konzertmeisterin im Sinfonieorchester St. Gallen. Wie war diese Zeit für Sie?
Ich habe sehr viel gelernt – musikalisch, aber vor allem auch menschlich. In dieser Position hat man eine große Verantwortung. Man ist das Bindeglied zwischen dem Orchester und dem Dirigenten. Jetzt leite ich viele Orchester von der Violine aus.
Wurden Sie als junge Frau gleich akzeptiert vom Orchester?
Das war zu Beginn nicht einfach als junge Frau und dazu noch als Ausländerin. Mir ging es immer um die Musik. Aber jedes Orchester ist ein Mikrokosmos, den man kennenlernen muss. Ich habe wirklich gelernt, mit Menschen umzugehen. Ich habe immer versucht, jede und jeden zu motivieren, das Beste zu geben.
Sie haben die feste Stelle aufgegeben, um nochmals zu studieren – und zwar Alte Musik bei Reinhard Goebel am Mozarteum in Salzburg.
David Stern, der damalige Chefdirigent in St. Gallen, hat ihn mir empfohlen, weil ich viele Fragen zur Musik stellte. Und auch mich infrage stellte. Als ich Reinhard Goebel dann kennengelernt hatte, war ich sofort fasziniert von seinem enormen Wissen über Alte Musik. Im ersten Jahr bei ihm las ich nur Bücher und studierte Manuskripte, bevor ich wieder die Violine in die Hand nahm. Diese intensive Recherche hatte nicht nur einen großen Einfluss auf mein Musizieren mit der Barockvioline, sondern ganz allgemein auf jede meiner Interpretationen.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Alles (lacht). Ich habe durch ihn verstanden, dass es große Unterschiede gibt zwischen modernem Violinspiel und historisch informiertem. Der Ausdruck in der Alten Musik wird viel mehr mit der rechten Hand, also mit dem Bogenstrich gemacht. Ich habe gelernt, die richtigen Fragen zu stellen und immer an die Quelle zu gehen – also an das Autograf oder den Erstdruck.
Sie sind in Lyon geboren, haben armenische Vorfahren und leben schon lange in der Schweiz. Wo ist Ihre Heimat?
Ich lebe seit 20 Jahren in der Schweiz. Auch als Kind war ich oft dort, weil ich bei Tibor Varga in Sion Unterricht hatte. Die Schweiz ist mein Lebensmittelpunkt, auch wenn ich oft in Frankreich und ab und zu auch in Armenien bin.
Das Konzert am 16. Mai im Ravensburger Konzerthaus trägt den Titel „1000 Jahre armenische Musik.“Welche Rolle spielte und spielt armenische Musik in ihrem Leben?
Die armenische Musik war immer präsent. Mein Vater ist auch Musiker und Spezialist der armenischen Musik. Meine Großeltern haben oft armenische Lieder gesungen. Diese armenische Kultur ist gefährdet – nicht nur durch den türkischen Völkermord 1915, sondern auch gegenwärtig in Berg-Karabach, wo Armenier durch die Besatzungsmacht Aserbaidschan vertrieben wurden. Sie möchten auch unsere Kultur auslöschen, aber unsere Musik können sie nicht zerstören. Deshalb ist es wichtig, diese Musik zu pf legen und öffentlich zu machen.
Was zeichnet armenische Musik aus?
Armenien ist das erste Land, das im Jahr 301 offiziell christlich geworden ist. Deshalb spielt die religiöse Musik eine große Rolle. Wir haben aber auch Volksmusik im Programm, die vom Komponisten Komitas aufgeschrieben wurde, bevor er wegen des Völkermordes, den er erleben musste, verrückt wurde. Armenien war immer eine Brücke zwischen Europa und dem Orient – das ist auch zu hören.
Auf Ihrer Website sind Sie im Abendkleid mit einer Violine in der Hand auf einem Berggipfel zu sehen. Ist das Foto echt oder Fotomontage?
Natürlich echt. Bergsteigen ist eine große Leidenschaft von mir. Ich habe auch schon auf dem Mont Blanc Violine gespielt. 2020 war ich noch auf dem Matterhorn, bevor ich zum ersten Mal schwanger wurde.
Was gefällt Ihnen am Bergsteigen?
Die Freiheit. Der Kontakt zur Natur. In den Bergen ist man weg vom Lärm, weg von den Menschen. Diese Stille genieße ich sehr. Bergsteigen ist für mich auch eine Art Meditation – zurück zu meinen Wurzeln. Mit zwei kleinen Kindern muss ich noch darauf verzichten, aber irgendwann kann ich sie mitnehmen in die Berge. Und im Rucksack sind sie jetzt schon dabei bei kleineren Touren.
Welche Verbindungen sehen Sie zwischen Geigespielen und Bergsteigen?
Wenn ich mich stundenlang in der Natur bewege, kommen mir die besten musikalischen Ideen. Diese frische Luft tut mir einfach gut. Alleinsein in der Natur ist wirklich eine große Inspiration für mich. Musik heißt auch immer, eine Geschichte zu erzählen. Nach einer Bergtour habe ich viel neue Seelenkraft – das tut meinem Musizieren gut.
Auf welches Ihrer Konzerte freuen Sie sich besonders beim Festival?
Jedes Konzert zeigt eine andere Facette von mir und erzählt eine andere Geschichte. Deshalb freue ich mich wirklich auf jedes einzelne.