Warum sind die Deutschen eigentlich so arm?
Im internationalen Vergleich sind die Bundesbürger wenig wohlhabend – Das hat einen einfachen Grund
- Mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 4086 Milliarden US-Dollar hat die Bundesrepublik hinter den USA, China und Japan die viertstärkste Wirtschaft der Welt. Deutschland liegt damit sogar noch vor Indien, das Waren und Dienstleistungen im Wert von 3390 Milliarden USDollar produziert, obwohl der Subkontinent eine sechzehnmal so große Bevölkerung hat. Doch bei den Bürgern scheint der daraus resultierende Reichtum nicht anzukommen.
Denn mit einem Pro-KopfNettogeldvermögen von 63.540 Euro rangierten die Deutschen im Jahr 2023 weit abgeschlagen auf dem 19. Platz der reichsten Nationen der Welt, wie aus dem jährlichen „Global Wealth Report“des Forschungsinstituts der Allianz hervorgeht. Führend sind die USA (253.450 Euro), die Schweiz (238.780) und Dänemark (163.830), vor Deutschland liegen außerdem Taiwan (141.600) auf Platz fünf, die Niederlande (103.110) auf Platz neun oder Italien (69.340) auf Platz 16.
Das Beunruhigende dabei: Der Wert von gut 60.000 Euro schließt nicht nur Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapiere und sonstige Forderungen ein, sondern auch Ansprüche gegenüber Versicherern und dem Staat. Das häufig vorgebrachte Argument, dass das niedrige Nettovermögen der Deutschen auf die Nichtberücksichtigung unter anderem von Rentenansprüchen zurückzuführen sei, greift also nicht. Daher stellt sich die Frage: Wie kommt es zu dieser großen Diskrepanz zwischen dem Reichtum des Landes und der relativen Armut seiner Bürger?
Häufig heißt es, dass die niedrige Wohneigentumsquote ausschlaggebend für das relativ geringe Vermögen in der Bundesrepublik sei. Schließlich besitzen nur 49,5 Prozent der Deutschen ein Haus oder eine Wohnung, in keinem anderen EU-Land ist die Eigenheimquote so niedrig. Nach Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat leben in Süd- und Osteuropa meist weit über 80 oder 90 Prozent der Bürger in den eigenen vier Wänden, auch in Belgien (71,3 Prozent), den Niederlanden (70,1) oder Frankreich (64,7) ist die Wohneigentumsquote deutlich höher.
Würde sich die Lage anders darstellen, wenn den Deutschen der Kauf einer Immobilie erleichtert würde? Ja, das würde sie. Tatsächlich schließt die Allianz-Vermögensstatistik Immobilienwerte nicht mit ein. Werden sie aber mit einbezogen, dann verbessert sich das Bild: Einschließlich Immobilien beträgt das Nettovermögen in der Bundesrepublik pro Kopf 198.080 Euro.
Damit liegen die Deutschen zwar immer noch weit hinten im Ranking, nun auf Rang 13. Führend sind weiterhin die Schweiz (534.250 Euro) und die USA (440.060), auch Dänemark (268.750) auf Platz vier, die Niederlande (265.800) auf Platz fünf oder Frankreich (223.560) auf Platz acht liegen weit vor den Bundesbürgern. Doch man erkennt, dass die Abstände zu den vorderen Plätzen relativ gesehen abnehmen. Ohne Immobilien besitzen die Amerikaner auf Platz eins und die Schweizer auf Platz zwei etwa viermal so viel wie die Deutschen. Mit Immobilien sind die Pro-KopfVermögen der Schweizer knapp dreimal und die der Amerikaner rund doppelt so hoch wie die Vermögen der Bundesbürger.
Ein Auftrag an die deutsche Politik zur Verbesserung der deutschen Vermögenssituation lautet also: Erleichtert den Bürgern den Erwerb von Wohneigentum. Hier gibt es zahlreiche Hebel. Allerdings kann sich die Bemühung nicht auf Immobilien beschränken. Warum? Weil sich dadurch die Lage für genau die Menschen kaum verbessert, die einen Vermögensschub am dringendsten bräuchten, nämlich junge Familien und Geringverdiener.
Deutsche Immobilien sind im internationalen Vergleich nämlich sehr teuer. Das hat mehrere Gründe, darunter die hohe Qualität der Bausubstanz, die Vielzahl urbaner Regionen und die im internationalen Vergleich niedrigen Lebensqualitätsunterschiede zwischen Stadt und Land. Die hohen Kaufpreise sind vor allem für junge Familien schwer zu stemmen. Da die Immobilienpreise aufgrund des Mangels an Wohnraum in Deutschland langfristig wohl weiter steigen werden, nehmen auch die Vermögensunterschiede zwischen Immobilienbesitzern und Mietern weiter zu.
Um die Deutschen in der Breite vermögender zu machen, sind
niedrigschwellige Investmentoptionen nötig, die gleichzeitig eine höhere Rendite versprechen als Cash. Der Grund für die geringen Vermögen in der Bundesrepublik liegt nämlich vor allem im „generell eher vorsichtigen Investmentverhalten der deutschen Haushalte“, die eine Vorliebe für Bargeld oder Bankeinlagen hätten, wie es von der Allianz heißt. Denn die größte Gemeinsamkeit der Länder, die im Pro-Kopf-Vermögensranking vor Deutschland liegen, lautet: Nicht unwesentliche Teile der Vermögen oder Rentenansprüche der Bürger dieser Länder arbeiten am Kapitalmarkt.
Die offensichtliche Antwort auf das Problem lautet also: Die Politik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Deutschen sich in der Breite vermehrt am Produktivkapital der Welt beteiligen können und wollen, zum Beispiel durch niedrigere Steuern und Sozialabgaben auf Arbeit gepaart mit einer gezielten Förderung von Kapitalmarktanlagen. Dadurch würde nicht nur das Pro-Kopf-Vermögen mit dem globalen Wirtschaftswachstum steigen – auch die Zunahme der Vermögensungleichheit in der
Bundesrepublik würde gebremst. Der Hauptgrund für die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich ist nämlich, dass der wohlhabende Teil der Gesellschaft in Sachwerte wie Immobilien, Aktien, Gold oder Bitcoin investiert, während weniger vermögende Haushalte ihr Geld auf dem Sparbuch oder Tagesgeldkonto sparen – wenn sie denn überhaupt etwas zurücklegen können.
Mit anderen Worten: Die Politik hat durch die für eine Industrienation durchaus kurios anmutende Dämonisierung des Aktienmarktes – Stichwort „Zockerrente“– einen Anteil an der relativen Armut der deutschen Bürger. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank hatten die deutschen Privathaushalte Ende 2023 ein Nettogeldvermögen von 5560 Milliarden Euro, davon 3214 Milliarden oder knapp 58 Prozent in Bargeld oder auf dem Bankkonto. Hinzu kommen geldähnliche Ansprüche gegenüber Versicherern und der Rentenkasse.
Man stelle sich vor, dass ein größerer Teil dieses Vermögens am Kapitalmarkt arbeitet: Der globale Aktienmarkt hat in den vergangenen 120 Jahren eine durchschnittliche Jahresrendite von rund sieben Prozent erwirtschaftet. Statistisch betrachtet verdoppelt sich das eingesetzte Kapital also alle zehn Jahre. Nach 20 Jahren ergibt dies eine Vervierfachung, nach 30 Jahren eine Verachtfachung, nach 40 Jahren eine Versechzehnfachung.
Die Entwicklung der Zinsen hingegen blieb weit dahinter zurück und schlug in den vergangenen Jahrzehnten meist nicht einmal mehr die Inf lation. Um eine Verdopplung des eingesetzten Kapitals bei einem Zinssatz von beispielsweise 1,5 Prozent zu erreichen, benötigt es nicht zehn, sondern knapp 47 Jahre. Das bedeutet: Zinseszinseffekt und hohe Aktienmarkt-Renditen sorgen automatisch für ein Auseinanderdriften der Vermögen – sowohl innerhalb der Bundesrepublik als auch im Vergleich zwischen Deutschen und den Bürgern jener Nationen, die beim Vermögensaufbau und den Rentenansprüchen auf den Kapitalmarkt setzen. Ohne eine breite Beteiligung der deutschen Haushalte am Produktivkapital der Welt wird sich die Vermögenssituation in der Bundesrepublik also an gleich zwei Fronten weiter verschlechtern.