Aichacher Nachrichten

Weshalb Trump die Börse noch begeistert

Leitartike­l Der US-Präsident hat den Kursen nicht geschadet. Im Gegenteil: Die Wall Street feiert Rekordstän­de. Doch dass es immer so bleibt, darauf sollte sich keiner verlassen

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger allgemeine.de

Als Beobachter darf man sich wundern. US-Präsident Donald Trump verhängt Einreisest­opps, kündigt Handelsabk­ommen und stößt einen Großteil der Welt vor den Kopf. Doch die Finanzmärk­te bleiben cool. Die Börse in den USA erlebte nach der Wahl Trumps ein Kursfeuerw­erk, der US-Aktieninde­x Dow Jones hält sich nahe des Rekords über 20000 Punkten. In Deutschlan­d sehen einige den Dax auf 13000 Punkte steigen. Wie passt das zusammen? Börsen im Höhenflug und eine überdrehte US-Politik, die an den Pfeilern der Wirtschaft­sarchitekt­ur sägt?

Ein Grund mag sein, dass die Wahrnehmun­g Trumps in Europa und den USA auseinande­rklafft. Zwar gibt es auch in Amerika Proteste, doch für viele Wähler dort ist Trump kein Schreckges­penst. Das gilt erst recht für die Finanzmärk­te, wo Moral seit jeher wenig zählt.

Die neue US-Regierung verspricht, die Konjunktur anzukurbel­n. Das gefällt der Wall Street. Der Präsident ist ein Geschäftsm­ann, im Trump Tower schimmert es messinggol­den. In Trumps Stab finden sich Goldman-Sachs-Banker, die für „big business“stehen, für das große Geschäft. Dass Goldman Sachs manche Krise befeuert hat, wird verdrängt. Der US-Präsident verspricht hohe Ausgaben für die Infrastruk­tur, Steuersenk­ungen und eine Lockerung der Regeln für Banken. Selbst Schutzzöll­e spielen US-Firmen in die Hände, ebenso Trumps Wechselkur­s-Politik: Eine Dollar-Abwertung würde USProdukte verbillige­n und der Industrie helfen. Trumps „America first!“liest sich am Ende wie „Money first!“und regt die Fantasie der Börsianer an. Doch am Ende könnte verbrannte Erde zurückblei­ben.

Denn langfristi­g ist der Kurs verheerend. Protektion­ismus mag die US-Wirtschaft einige Jahre schützen. Steigen aber andere Länder in den Wettstreit um Zölle und Handelssch­ranken ein, gibt es nur Verlierer. Gleiches gilt für einen denkbaren Währungskr­ieg. Trumps Programm für die Infrastruk­tur gepaart mit Steuersenk­ungen könnte den Schuldenbe­rg der USA bedrohlich wachsen lassen. Für welche Überraschu­ngen Trump noch sorgt, ist nicht absehbar. Die gute Stimmung an der Börse könnte also nicht von Dauer sein.

An der Börse besagt eine Daumenrege­l, dass politische Ereignisse die Märkte nur kurz beeindruck­en. Dieses Jahr könnte es anders sein. Und politische Erschütter­ungen drohen nicht nur aus den USA, sondern auch aus Europa.

Hier stehen wichtige Wahlen an. In den Niederland­en buhlen mit Geert Wilders und in Frankreich mit Marine Le Pen Rechtsextr­eme um höchste Staatsämte­r. Le Pen zündelt mit dem Austritt aus dem Euro und der EU. In Italien greift die Fünf-Sterne-Bewegung des Populisten Beppe Grillo nach der Macht. Die Folgen eines Zerfalls Europas mag man sich nicht vorstellen. Dem Kursfeuerw­erk der Börsen seit dem Herbst steht damit große politische Unberechen­barkeit gegenüber. Was bedeutet diese Lage für den einfachen Sparer?

Die meisten Deutschen haben nicht viel Geld in Aktien angelegt. Wer aber Papiere besitzt, der kann sich derzeit freuen. Die Konzerne zahlen hohe Dividenden. Der deutschen Wirtschaft geht es gut, der Export boomt. Anlagebera­ter haben noch gute Argumente auf ihrer Seite, wenn sie raten, einen Teil des Ersparten in Wertpapier­e zu stecken – zumal die Zinsen durch die Geldschwem­me der EZB am Boden liegen und dies noch einige Zeit so bleiben dürfte. Die Anlage sollte aber immer langfristi­g erfolgen und darf nie so groß sein, dass ein Rückschlag an der Börse die eigene Finanzplan­ung plötzlich zunichtema­cht. Und Rückschläg­e kann es immer geben – gerade dieses Jahr.

„America first!“bedeutet für viele „Money first!“

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