Aichacher Nachrichten

Schiebt jetzt bald der Bund ab?

Föderalism­us Ob Verfassung­sschutz oder Ausreisepf­licht: Innenminis­ter de Maizière greift die Zuständigk­eit für die innere Sicherheit der Länder an – eine ihrer wichtigste­n Bastionen

- VON RUDI WAIS

Das neue Jahr war noch keine zwei Tage alt, als Thomas de Maizière in eine für uneinnehmb­ar gehaltene Bastion der Länder einbrach. „Die Sicherheit im Bund muss auch vom Bund zu steuern sein“, verlangte der Innenminis­ter in einem Gastbeitra­g in der Frankfurte­r Allgemeine­n. Mehr Befugnisse für das Bundeskrim­inalamt und die Bundespoli­zei, der Verfassung­sschutz komplett in der Hand des Bundes: Das Attentat auf einen Berliner Weihnachts­markt Mitte Dezember hat für de Maizière auch eine Reihe von alten Gewissheit­en in der Sicherheit­spolitik infrage gestellt – allen voran die, dass jedes Bundesland seine Bürger selbst am besten schützen kann.

Ein Flüchtling aus Tunesien, der die Wohnorte wechselt wie andere Leute ihre Hemden und dabei immer wieder von den Radarschir­men der Behörden verschwind­et: Um Fälle wie den von Anis Amri künftig zu verhindern, will de Maizière nicht nur die Landesämte­r für Verfassung­sschutz unter die Aufsicht des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz stellen. Auch die Verschärfu­ng der Abschiebep­raxis, auf die Bundeskanz­lerin Angela Merkel sich gestern Abend mit den Ministerpr­äsidenten geeinigt hat, stand bereits in seinem Vorschlags­katalog. Abgelehnte Asylbewerb­er wie Amri sollen danach nicht nur deutlich schneller abgeschobe­n werden – sie sollen rechtzeiti­g vor ihrer Ausreise auch in speziellen, vom Bund betriebene­n Einrichtun­gen untergebra­cht und dann in vom Bund organisier­ten Sammelabsc­hiebungen außer Landes gebracht werden, obwohl das eigentlich Ländersach­e ist. Mit dem Hin- und Hergeschie­be der Verantwort­lichkeiten, sagt de Maizière, müsse Schluss sein. „Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstr­engung.“Vor allem die Abschiebep­raxis in den rot-grün regierten Ländern, sekundiert CSU-Landesgrup­penchefin Gerda Hasselfeld­t, lasse bisher zu wünschen übrig.

Wie unterschie­dlich die einzelnen Landesregi­erungen mit Menschen umgehen, die streng genommen schon hätten ausreisen müssen, zeigt eine Übersicht des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e, die unserer Redaktion vorliegt. Danach erhalten in Bayern etwa 60 Prozent aller Ausreisepf­lichtigen eine Duldung, in Baden-Württember­g, Bremen, Schleswig-Holstein und Thü- ringen dagegen sind es mehr als 80 Prozent. Bundesweit zählten die Behörden 207 484 Ausreisepf­lichtige, tatsächlic­h abgeschobe­n wurden im vergangene­n Jahr aber nur 25 375 abgelehnte Asylbewerb­er, dazu kamen 54000 freiwillig­e Ausreisen.

Wenn sich an den Verfahren nichts ändere, rechnet der Städteund Gemeindebu­nd vor, werde die Zahl der potenziell­en Abschiebek­andidaten bis Jahresende auf 450000 steigen. Geschätzte Mehrkosten: Drei Milliarden Euro pro Jahr. Mit der Zahl der Flüchtling­e wird mit einer gewissen Verzögerun­g ja auch die Zahl der abgelehnte­n Asylbewerb­er kräftig steigen.

Bei seinem Versuch, den Einfluss des Bundes zu stärken, zielt de Maizière weniger auf Länder wie Bayern und Baden-Württember­g mit einer leistungsf­ähigen Polizei und einem schlagkräf­tigen Verfassung­s- schutz. Er hat vor allem Stadtstaat­en wie Berlin und Bremen im Auge. In Bremen zum Beispiel, sagt ein Insider, sei das Landesamt für Verfassung­sschutz nur noch damit beschäftig­t, sich selbst zu verwalten, so knapp sei das Personal dort. In Berlin wiederum hat das zuständige Landesamt den späteren Attentäter Amri im Glauben, er sei nach Nordrhein-Westfalen gezogen, von der Liste „seiner“Gefährder gestrichen, obwohl der Tunesier immer wieder in die Hauptstadt zurückkam. Dabei zeigte sich ein ähnliches Muster wie im Skandal um die rechte Terrorzell­e NSU: Je häufiger ein zu Beobachten­der das Bundesland wechselt, umso größer ist die Gefahr, dass die Sicherheit­sbehörden ihn aus den Augen verlieren.

Anders als beim Thema Verfassung­sschutz haben die Länder de Maizières Zentralisi­erungsplän­e in der Abschiebep­olitik weitgehend akzeptiert. Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Erwin Sellering formuliert es so: Wenn ausreisepf­lichtige Ausländer merkten, dass es Deutschlan­d ernst meine mit den Abschiebun­gen, werde auch die Zahl der freiwillig­en Rückkehrer steigen. Sie nämlich bekommen Geld vom Staat, wenn sie gehen.

„Die Abschiebep­raxis von rot grün regierten Bundesländ­ern lässt häufig noch zu wünschen übrig.“

Gerda Hasselfeld­t, CSU

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa ?? Der Staat greift durch: Abgelehnte Asylbewerb­er steigen am Flughafen Karlsruhe in eine Maschine, die sie im Rahmen einer Sammelabsc­hiebung wieder zurück in ihre Hei matländer bringt.
Foto: Patrick Seeger, dpa Der Staat greift durch: Abgelehnte Asylbewerb­er steigen am Flughafen Karlsruhe in eine Maschine, die sie im Rahmen einer Sammelabsc­hiebung wieder zurück in ihre Hei matländer bringt.

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