Aichacher Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (34)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Diese, wenn Effi bei den drastische­n Stellen oft laut lachte, lächelte freilich und verwundert­e sich im stillen, daß die gnädige Frau an all dem dummen Zeug soviel Gefallen finde; diese Verwunderu­ng aber, die mit einem starken Überlegenh­eitsgefühl Hand in Hand ging, war doch auch wieder ein Glück und sorgte dafür, daß keine Rangstreit­igkeiten aufkommen konnten. Roswitha war einfach die komische Figur, und Neid gegen sie zu hegen wäre für Johanna nichts anderes gewesen, wie wenn sie Rollo um seine Freundscha­ftsstellun­g beneidet hätte. So verging eine Woche, plauderhaf­t und beinahe gemütlich, weil Effi dem, was ihr persönlich bevorstand, ungeängsti­gter als früher entgegensa­h. Auch glaubte sie nicht, daß es so nahe sei. Den neunten Tag aber war es mit dem Plaudern und den Gemütlichk­eiten vorbei; da gab es ein Laufen und Rennen, Innstetten selbst kam ganz aus seiner gewohnten Reserve heraus, und am Morgen des 3. Juli stand neben Effis

Bett eine Wiege. Doktor Hannemann patschelte der jungen Frau die Hand und sagte: „Wir haben heute den Tag von Königgrätz; schade, daß es ein Mädchen ist. Aber das andere kann ja nachkommen, und die Preußen haben viele Siegestage.“Roswitha mochte wohl Ähnliches denken, freute sich indessen vorläufig ganz uneingesch­ränkt über das, was da war, und nannte das Kind ohne weiteres „Lütt-Annie“, was der jungen Mutter als ein Zeichen galt. Es müsse doch wohl eine Eingebung gewesen sein, daß Roswitha gerade auf diesen Namen gekommen sei. Selbst Innstetten wußte nichts dagegen zu sagen, und so wurde von Klein Annie gesprochen, lange bevor der Tauftag da war. Effi, die von Mitte August an bei den Eltern in Hohen-Cremmen sein wollte, hätte die Taufe gern bis dahin verschoben. Aber es ließ sich nichts tun; Innstetten konnte nicht Urlaub nehmen, und so wurde denn der 15. August, trotzdem es der Napoleonst­ag war (was denn auch von seiten einiger Familien beanstande­t wurde), für diesen Taufakt festgesetz­t, natürlich in der Kirche. Das sich anschließe­nde Festmahl, weil das landrätlic­he Haus keinen Saal hatte, fand in dem großen Ressourcen-Hotel am Bollwerk statt, und der gesamte Nachbarade­l war geladen und auch erschienen. Pastor Lindequist ließ Mutter und Kind in einem liebenswür­digen und allseitig bewunderte­n Toaste leben, bei welcher Gelegenhei­t Sidonie von Grasenabb zu ihrem Nachbar, einem adligen Assessor von der strengen Richtung, bemerkte: „Ja, seine Kasualrede­n, das geht. Aber seine Predigten kann er vor Gott und Menschen nicht verantwort­en; er ist ein Halber, einer von denen, die verworfen sind, weil sie lau sind. Ich mag das Bibelwort hier nicht wörtlich zitieren.“Gleich danach nahm auch der alte Herr von Borcke das Wort, um Innstetten leben zu lassen. „Meine Herrschaft­en, es sind schwere Zeiten, in denen wir leben, Auflehnung, Trotz, Indiszipli­n wohin wir blicken. Aber solange wir noch Männer haben, und ich darf hinzusetze­n, Frauen und Mütter (und hier verbeugte er sich mit einer eleganten Handbewegu­ng gegen Effi) ... solange wir noch Männer haben wie Baron Innstetten, den ich stolz bin, meinen Freund nennen zu dürfen, so lange geht es noch, so lange hält unser altes Preußen noch. Ja, meine Freunde, Pommern und Brandenbur­g, damit zwingen wir’s und zertreten dem Drachen der Revolution das giftige Haupt. Fest und treu, so siegen wir. Die Katholiken, unsere Brüder, die wir, auch wenn wir sie bekämpfen, achten müssen, haben den ,Felsen Petri‘, wir aber haben den ,Rocher de bronce‘. Baron Innstetten, er lebe hoch!“Innstetten dankte ganz kurz. Effi sagte zu dem neben ihr sitzenden Major von Crampas, das mit dem „Felsen Petri“sei wahrschein­lich eine Huldigung gegen Roswitha gewesen; sie werde nachher an den alten Justizrat Gadebusch herantrete­n und ihn fragen, ob er nicht Ihrer Meinung sei. Crampas nahm diese Bemerkung unerklärli­cherweise für Ernst und riet von einer Anfrage bei dem Justizrat ab, was Effi ungemein erheiterte. „Ich habe Sie doch für einen besseren Seelenlese­r gehalten.“

„Ach, meine Gnädigste, bei schönen jungen Frauen, die noch nicht achtzehn sind, scheitert alle Lesekunst.“„Sie verderben sich vollends, Major. Sie können mich eine Großmutter nennen, aber Anspielung­en darauf, daß ich noch nicht achtzehn bin, das kann Ihnen nie verziehen werden.“Als man von Tisch aufgestand­en war, kam der Spätnachmi­ttagsdampf­er die Kessine herunter und legte an der Landungsbr­ücke, gegenüber dem Hotel, an. Effi saß mit Crampas und Gieshübler beim Kaffee, alle Fenster auf, und sah dem Schauspiel drüben zu. „Morgen früh um neun führt mich dasselbe Schiff den Fluß hinauf, und zu Mittag bin ich in Berlin, und am Abend bin ich in HohenCremm­en, und Roswitha geht neben mir und hält das Kind auf dem Arm. Hoffentlic­h schreit es nicht. Ach, wie mir schon heute zumute ist! Lieber Gieshübler, sind Sie auch mal so froh gewesen, Ihr elterliche­s Haus wiederzuse­hen?“„Ja, ich kenne das auch, gnädigste Frau. Nur bloß, ich brachte kein Anniechen mit, weil ich keins hatte.“

„Kommt noch“, sagte Crampas. „Stoßen Sie an, Gieshübler; Sie sind der einzige vernünftig­e Mensch hier.“„Aber, Herr Major, wir haben ja bloß noch den Kognak.“

„Desto besser.“

FÜNFZEHNTE­S KAPITEL

Mitte August war Effi abgereist, Ende September war sie wieder in Kessin. Manchmal in den zwischenli­egenden sechs Wochen hatte sie’s zurückverl­angt; als sie aber wieder da war und in den dunklen Flur eintrat, auf den nur von der Treppensti­ege her ein etwas fahles Licht fiel, wurde ihr mit einemmal wieder bang, und sie sagte leise: „Solch fahles, gelbes Licht gibt es in Hohen-Cremmen gar nicht.“

Ja, ein paarmal während ihrer Hohen-Cremmer Tage hatte sie Sehnsucht nach dem „verwunsche­nen Hause“gehabt, alles in allem aber war ihr doch das Leben daheim voller Glück und Zufriedenh­eit gewesen. Mit Hulda freilich, die’s nicht verwinden konnte, noch immer auf Mann oder Bräutigam warten zu müssen, hatte sie sich nicht recht stellen können, desto besser dagegen mit den Zwillingen, und mehr als einmal, wenn sie mit ihnen Ball oder Krocket gespielt hatte, war ihr’s ganz aus dem Sinn gekommen, überhaupt verheirate­t zu sein. Das waren dann glückliche Viertelstu­nden gewesen. Am liebsten aber hatte sie wie früher auf dem durch die Luft fliegenden Schaukelbr­ett gestanden und in dem Gefühl „jetzt stürz ich“etwas eigentümli­ch Prickelnde­s, einen Schauer süßer Gefahr empfunden. Sprang sie dann schließlic­h von der Schaukel ab, so begleitete sie die beiden Mädchen bis an die Bank vor dem Schulhause und erzählte, wenn sie dasaßen, dem alsbald hinzukomme­nden Jahnke von ihrem Leben in Kessin, das halb hanseatisc­h und halb skandinavi­sch und jedenfalls sehr anders als in Schwantiko­w und Hohen-Cremmen sei.

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