Das Opfer verzeiht seinem Peiniger
Ein junger Einbrecher sticht den Hausbewohner nieder. Er wird verurteilt. Aber nicht wegen versuchten Mordes
Wollte er sein Opfer töten? Zunächst war die Staatsanwaltschaft nach dem Einbruch im Dezember 2015 in Kötz (Kreis Günzburg) davon ausgegangen, dass der Täter das vorhatte. Schließlich hatte er mit einem Dolch auf den Hausbewohner eingestochen. Doch nun sah sie das nicht mehr so – und das Landgericht Memmingen verurteilte den heute 21-Jährigen nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchsdiebstahls und Diebstahls mit Waffen. Vier Jahre und neun Monate muss der junge Mann ins Gefängnis. Wenn er sich in der Haft gut verhält, kann er sie vielleicht schon früher verlassen.
Das Opfer Fridolin Waschhauser nahm die in einem Brief geäußerte und während der Verhandlung wiederholte Entschuldigung des Mannes an. Er hatte den 21-Jährigen aus einem Nachbarort kennengelernt, als der noch ein Kind war. Das Schicksal habe sie wieder zusammengeführt. „Ich vergebe dir, ich verzeihe dir“, sagte er am letzten Prozesstag. Aber er solle die Schuld nicht bei anderen suchen. Er sei ein kluger Kerl und habe nun die Chance, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Der Angeklagte sagte, er würde alles am liebsten ungeschehen machen und nehme sich die Worte zu Herzen.
Sein Verteidiger Wolfgang Fischer erkannte bei seinem Mandanten zwar eine gefährliche Körperverletzung, aber keine Tötungsabsicht. Dem folgte das Gericht. Außerdem habe er nur einen Diebstahl mit Waffen begangen. Er habe „Muskeln aus Stahl, im Innern ist er aber butterweich“, sagte der Verteidiger. Er sei ein „kleiner Junge“, der stets nach Anerkennung gesucht habe – und nun nur noch „ein Häufchen Elend“. Mehr als vier Jahre Jugendstrafe seien unangebracht. Er sei zu jung, um „ewig weggesteckt zu werden“.
Staatsanwältin Susanne Fritzsche sah zwar einen Tötungsvorsatz, weil er bewusst zugestochen habe, aber er habe dann nicht ausgenutzt, dass sein Opfer vor ihm auf dem Boden lag. Ein zweiter Stich sei ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Deshalb müsse er nicht wie in der Anklage wegen versuchten Mordes, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden; außerdem wegen schweren räuberischen Diebstahls und des Einbruchs. Da er sich jedoch auch in der Untersuchungshaft nicht im Griff habe – „so einen negativen Bericht einer JVA habe ich noch nicht gehört“–, gebe es einen langen „Nachreifungsprozess“, weshalb eine Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten angemessen sei.
Für seine heutige Ex-Freundin, die er als Komplizin beschuldigt hatte, gebe es eine günstige Prognose trotz der „hohen kriminellen Energie“bei der Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl, weshalb eine Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung und 100 Arbeitsstunden genügten. Der Anwalt der Frau, Ender Karakas, sah bei seiner Mandantin keine Beteiligung am Einbruch, weshalb nur ein Freispruch infrage komme. Sie sagte, ihr tue leid, was Waschhauser und seine Familie erleiden mussten. Verurteilt wurde sie wegen dem, was ihr vorgeworfen wurde, aber nur zu einer Geldstrafe von insgesamt 800 Euro.
Marion Zech, Anwältin des Opfers und Nebenklägers, forderte keine konkrete Strafe. Aber anders als die Staatsanwältin ging sie von versuchtem Mord durch den Angeklagten aus. Es sei zwar positiv, dass er Schmerzensgeld in Höhe von 15000 Euro zahlen wolle, doch ein Ende der psychischen Belastung für ihren Mandanten sei derzeit unabsehbar. Alle Beteiligten verzichteten auf Rechtsmittel.