Aichacher Nachrichten

Erschlagen und in die Donau geworfen

In Ingolstadt ist ein 25-Jähriger wegen Mordes an der schwangere­n Anastasia M. verurteilt worden. Damit ist ein langer Indizienpr­ozess vorbei. Doch manche Fragen bleiben offen

- VON STEFAN KÜPPER

Er steht da, das Kreuz durchgedrü­ckt. Wie beim Appell. Und zum ersten Mal ist ihm die Anspannung dieses 23 Tage währenden Indizienpr­ozesses auch anzusehen. Dann spricht Landgerich­tsvizepräs­ident Jochen Bösl die so gefürchtet­en Worte: schuldig. Schuldig wegen Mordes an der hochschwan­geren Anastasia M., seiner Ex-Affäre. Schuldig wegen Schwangers­chaftsabbr­uch. Das Kind, ein Mädchen, nicht seine Tochter, sie wäre lebensfähi­g gewesen. Schuldig soll der ExBundeswe­hrsoldat wegen eines heimtückis­chen Mordes aus niederen Beweggründ­en sein. Das Schwurgeri­cht, so sagt es der Richter, sei der „sicheren Überzeugun­g“, dass er der Täter sei. Es gebe „keinen vernünftig­en Zweifel daran“. Die Strafe für Mord: lebensläng­lich. Das Gesicht des Verurteilt­en ist jetzt bleich. Er schüttelt leicht den Kopf.

Richter Bösl beginnt danach im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal 11 des Landgerich­ts die fast vierstündi­ge Urteilsbeg­ründung. Er setzt detaillier­t ein Indizienpu­zzle zusammen, leitet das Wahrschein­liche her gegen das Schweigen des Angeklagte­n. Denn der 25-jährige gelernte Koch aus dem Landkreis Eichstätt hatte von seinen Rechten Gebrauch gemacht, nachdem seine Verteidige­r Jörg Gragert und Franz- Wittl zum Prozessauf­takt im vergangene­n September eine Erklärung abgegeben hatten: Ihr Mandant bestreite die Tat, weise die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt „auf das Schärfste“zurück. Selbst wenn er der Vater des ungeborene­n Kindes gewesen wäre, wäre das für ihn niemals ein Grund gewesen, Anastasia das Leben zu nehmen.

Ihr war brutal der Kopf eingeschla­gen worden, bevor sie bewusstlos ertrank. Abwehrverl­etzungen hatte sie keine. Kannte sie also ihren Mörder? Er habe sein altes Leben fortführen wollen, ist das Gericht überzeugt. Deshalb habe er sie getötet. Er habe ein Haus gewollt und seine Laufbahn bei der Bundeswehr. Er sei auf der Suche nach einer festen Partnerin gewesen. Und Anastasia, ein wohl schwierige­r Charakter, sexuell freizügig, im Drogenmili­eu unterwegs, sei nicht sein Typ gewesen. Nur eine Sexpartner­in.

Er habe keine Gefühle für sie gehabt, hatte der psychiatri­sche Gutachter der Kammer berichtet. Sie aber war in ihn verliebt gewesen. Und sie hatte überall rumerzählt, dass er der Vater ihres Kindes sei. Er hatte seiner Familie und den Freunden von einer möglichen Vaterschaf­t nichts gesagt. Der Ex-Soldat, auch davon ist die Kammer überzeugt, hatte daran durchaus Zweifel. Eben weil sie einen Ruf hatte. Aber letztlich, das ergebe sich aus den What- sapp-Protokolle­n, sei er mehr und mehr davon ausgegange­n, doch Vater zu werden. Und sie machte Druck. Denn sie lebte in einer Obdachlose­nunterkunf­t und brauchte eine Bleibe. An jenem Wochenende, als sie umgebracht wurde, hätte es einen Besichtigu­ngstermin für eine gemeinsame Wohnung geben sollen. Das glaubte sie zumindest. Den Termin gab es allerdings gar nicht. Dass er ihr wegen der gemeinsame­n Zukunft etwas vorgemacht hatte, hatte er zugegeben. Er hatte sie wochenlang angelogen. An jenem Abend wäre alles herausgeko­mmen. Aber wurde er deshalb zum Mörder? War der Druck so groß? Affekt hatte der Gutachter ausgeschlo­ssen. Also eine überlegte Tat mit Vorsatz? Das Gericht ist davon überzeugt. Der Staatsanwa­lt und die Nebenkläge­r – die Mutter und die Brüder von Anastasia – sind es auch. Sie hatten lebensläng­lich gefordert.

Gestern ging ein Prozess zu Ende, bei dem es kein Geständnis, keine Augenzeuge­n und keine Tatwaffe gibt. Es gibt nur Indizienke­tten. Die wohl wichtigste­n sind die Blutspuren von ihr auf einem Pullover von ihm. Wie alt das Blut ist, kann man nicht mehr sagen. Der schwarze KaXaver puzenpullo­ver wurde am Tag nach der Tat in der Wäsche ganz oben bei seinen Eltern gefunden. Dass er einen gleich aussehende­n Pullover am Abend zuvor getragen hatte, beweisen Videos von einer Tankstelle. Wochenlang hatten sich die beiden nicht gesehen. Und am Tag nach ihrem Tod liegt dieser Pullover ganz oben im Wäschekorb? Anastasia hatte sich an jenem Abend nur mit ihm treffen wollen. Sie waren verabredet. Sein Handy war – für ihn als Dauerchatt­er ungewöhnli­ch – zum Zeitpunkt der Tat ausgeschal­tet. Als er es wieder anmachte, wurde es in einer der dem Fundort der Leiche benachbart­en Funkzelle geortet.

Die Verteidige­r, die einen Freispruch gefordert hatten, haben Revision angekündig­t. Es gebe zum Beispiel keine Faserspure­n von ihr an ihm? Wie könne das sein, wenn er sie an die Böschung herab in den Fluss gezogen haben soll? Wie soll ihr Mandant in dem kurzen Zeitfenste­r die Spuren verwischt haben? Was ist mit den teilweise dubios anmutenden Zeugen? Das Gericht hat Alternativ­täter ausgeschlo­ssen.

Als die Mutter und die Brüder von Anastasia aus dem Gerichtssa­al gehen, sagt ihr Anwalt Hans Jürgen Hellberg: „Ein Freispruch wäre ein zweiter Schlag in ihr Gesicht gewesen.“Nun könne die Aufarbeitu­ng beginnen.

Kann sie das?

Die Verteidige­r haben Revision angekündig­t

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